Auf einem Maydan kam es tagelang zu Protesten. Nicht zum ersten Mal war der Ort Schauplatz von Kundgebungen, die von der Polizei blutig niedergeschlagen wurden. In zuweilen tagelangen Kämpfen wurden hunderte Personen verletzt, Beobachter sprachen vom "Staatsterrorismus". Die demokratische Bewegung gegen einen autoritären Staat beklagte erste Todesopfer. - Jetzt, so sollte man meinen, wäre die Zeit gekommen, in der sich europäische Außenminister auf den Maydan hätten begeben müssen, in der sie ein Konzept für einen Regierungswechsel aus der Tasche gezogen hätten und der Opposition zu Hilfe geeilt wären. Aber sie kamen nicht. Denn es war nicht der Maydan in Kiew, sondern der Taksim-Maydan im Istanbul des letzten Jahres. Und unter den Demonstranten waren keine bewaffneten Nazis. Aber der Hauptunterschied liegt auf der Hand: Die Türkei ist bereits in der NATO, war also durch den türkischen Staat auf dem Maydan bereits vertreten. Die Ukraine soll erst noch NATO-Mitglied werden.

Tapfer waren die türkischen Soldaten in den Korea-Krieg der USA gezogen, auch im Afghanistankrieg sind sie wieder dabei. Schon lange mischt sich die Türkei in den syrischen Bürgerkrieg ein: Spätestens seit dem Mai 2012 werden Kämpfer der syrischen Opposition vom türkischen Geheimdienst trainiert und bewaffnet. Die türkisch-syrische Grenze ist offen für die Waffenversorgung syrischer Islamisten. Zuweilen beschießt die türkische Armee syrisches Gebiet oder holt syrische Flugzeuge vom Himmel über Syrien. Der zunehmend größenwahnsinnige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gratuliert dann gern der Armee. Und nun das geleakte Gespräch zwischen dem türkischen Außenminister, dem Geheimdienstchef, dem stellvertretenden türkischen Generalstabschefs und dem Staatssekretärs im Außenministerium über einen fingierten Raketenangriff von Syrien aus auf türkisches Staatsgebiet. Nicht weil Syrien eine Bedrohung für die Türkei wäre. Sondern weil Kommunalwahlen bevorstanden. Und nichts, das weiß man von den NATO-Bruderstaaten Frankreich, England und den USA, stimuliert die patriotische Stimmabgabe besser als ein ordentlicher Krieg.

"Sie sind entschlossen (die Gründerstaaten der NATO), die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker . . zu gewährleisten", steht in der Präambel des 1949 beschlossenen Nordatlantik-Vertrages. Was mochte mit dem Erbe gemeint sein? Die Kolonien, die einige der NATO-Staaten damals noch besaßen? Und war mit der Zivilisation auch die faschistische Herrschaft in Portugal, einem Gründungsmitglied des Militärbündnisses, gemeint? - Die NATO ist nicht zimperlich: Man war schon im Irak und in Libyen. Und man hat, auf Wunsch der Türkei - nach vorgeblichen Raketeneinschlägen von Syrien - Patriot-Raketen an der Grenze stationiert. Gemäß Artikel 4 des NATO-Vertrages. Dass die deutsche Kriegsministerin den kühnen deutsche Raketenmannschaften jüngst einen Besuch abgestattet hat, gilt als Verschärfung der Lage.

In der NATO-Präambel wird die "Herrschaft des Rechts" beschworen. Im Fall der Türkei gilt dieser Schwur selten. Folter war und ist auf türkischen Polizeiwachen üblich. Der Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches stellt die "Beleidigung der türkischen Nation, der türkischen Republik und der Institutionen und Organe des Staates“ unter Strafe. Der Allerwelts-Paragraph zur täglichen Unterdrückung gilt vor allem für den aktuellen Ministerpräsidenten: Niemand ist so schnell beleidigt wie Erdogan. Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus räumt dem türkischen Staat die Möglichkeit ein, vorübergehend Zeitungen zu verbieten. Für ethnische und religiöse Minderheiten ist die "Herrschaft des Recht" weitgehend ungültig. Und wer als Schwuler zur türkischen Armee eingezogen wird, der lernt die widerliche Erniedrigung kennen, wenn er mit "Video-Beweisen" seine "psychosexuelle Störung" belegen muss. Danach bleibt ihm natürlich der Staatsdienst verschlossen.

Die Incirlik Air Base ist ein Stützpunkt der NATO bei Incirlik, rund 12 Kilometer östlich von Adana im Süden der Türkei. Von hier aus landete und startete die Luftwaffe der USA in den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak. Von hier aus versorgen die USA ihre Truppen in Afghanistan, dem Schauplatz des anderen völkerrechtswidrigen Krieges. In Incirlik warten 90 Atombomben vom Typ B61 auf ihren Einsatz, obwohl die Türkei den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben hat. Die Türkei galt und gilt den USA als unsinkbarer Flugzeugträger. Außerdem leistet sich der türkische Staat, die nach den US-Streitkräften, zweitgrößte Armee innerhalb der NATO mit etwa 612.000 Soldaten. Da kann man es einfach mit der "Herrschaft des Rechts" nicht so genau nehmen.

Wer auf der englischsprachigen Website der NATO den Übersetzungsknopf anklickt, der findet keine Übersetzung ins Deutsche. Was er findet ist das Klick-Feld "Українська", man spricht bei der NATO also vorsorglich schon mal Ukrainisch. Glaubt man den deutschen Medien, dann ging und geht es auf dem Kiewer Maydan um die "Freiheit". Es steht zu befürchten, dass es um jene Freiheit geht, die der Nordatlantik-Vertrag eigentlich meint: Wo und wann auch immer militärisch einzugreifen wenn es die USA für nützlich halten.

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Danke für die erneute Gegendarstellung zu den anzeigenabhängigen Medien.

George Orwell schrieb dazu:
In einer Zeit des Universalbetruges ist die Wahrheit zu sagen eine revolutionäre Tat.

Dafür danke ich dir, Uli!

den Orwell-Spruch habe ich...

Danke für die erneute Gegendarstellung zu den anzeigenabhängigen Medien.

George Orwell schrieb dazu:
In einer Zeit des Universalbetruges ist die Wahrheit zu sagen eine revolutionäre Tat.

Dafür danke ich dir, Uli!

den Orwell-Spruch habe ich gestern grafisch gestaltet und in mein Forum gestellt und dazu einen link auf diesen Artikel gesetzt.

http://www.pachizefalos.de/forum/thread.php?board=24&thread=16#1

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Rainald Irmscher
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Ihr Vergleich zwischen diesem und jenem Maydan soll doch nur die Russen in einem besseren Licht erscheinen lassen. Das gelingt nicht.

Günther Kupka
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Ein bewundernswerter Vergleich, der eins deutlich macht: Die Ukrainer haben von NATO-IWF-EU nichts zu erwarten.

Helge Johannsen
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Zitat : "Die Nato ist entschlossen, die Freiheit und das Erbe der Zivilisation zu verteidigen,"

Richtig, das können wir gerade derzeit wieder beobachten.
Zivisation bedeutet in deren Wahrnehmung immerwährende Kriege, Maßregelung und Einmischung in...

Zitat : "Die Nato ist entschlossen, die Freiheit und das Erbe der Zivilisation zu verteidigen,"

Richtig, das können wir gerade derzeit wieder beobachten.
Zivisation bedeutet in deren Wahrnehmung immerwährende Kriege, Maßregelung und Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder, Vormachtstellung beanspruchen und sie notfalls mit Kanonen zu verteidigen. Sie sind .der Taktgeber, was wie u. wo zu sein hat. Sie diktieren die Welt. Sie erheben den Anspruch, die allein "Seligmachenden " auf dieser Welt zu sein. Das ist die moderne Zivilisation der NATO und der USA. Wer nicht spurt, der wird überrollt mit Sanktionen und Kanonen.

Vor keiner üblen Nachrede schrecken sie zurück, wie derzeit zusehen ist, was man z. B. Putin und Russland alles andichtet. Fehlt nur noch, dass Putin schon bald in USA einmarschiert. De sollen nur weiter provozieren, Putin ist ihnen längst einen Schritt vorraus, er wird wissen, was zu tun ist. Er wird sich jedenfalls nicht abschlachten und vertreiben lassen, wie einst die Indianer von den Amerikanern.

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Melanie Gatzke
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Und wieder ein gekonnter Weit-Wurf, lieber Herr Gellermann! Aktualität, Landkarte, Inhalt, Vergleich, Botschaft, Stil – da passt alles!

Vor allem ist Ihnen für die Thematisierung dieser beiden Protest-„Maydane“ aus dem Blick der NATO bzw. mit...

Und wieder ein gekonnter Weit-Wurf, lieber Herr Gellermann! Aktualität, Landkarte, Inhalt, Vergleich, Botschaft, Stil – da passt alles!

Vor allem ist Ihnen für die Thematisierung dieser beiden Protest-„Maydane“ aus dem Blick der NATO bzw. mit Blick auf die groteske Heuchelei „des Westens“ zu danken! Hervorragend. Beim Lesen Ihrer Aufbereitung dieser doppelten Standards klappt sich das in meiner Dirndl-Schürze verborgene Messer ganz von alleine auf. Einfach unerträglich. Wie um Himmels Willen kann es möglich sein, dass diese sich nur aus höhnischen Euphemismen speisende Angriffskriegsorganisation nicht schon längst weltweit als kapitalistisch-imperialistische Killermaschinerie geächtet wird? Natürlich in den Bevölkerungen der Mitgliedsländer?

Lasst mal Putin für einen halben Tag den Zugang zu YouTube und/oder Twitter sperren – der dritte Weltkrieg stünde noch näher als jetzt schon! Wir erinnern uns, als gerade der Nachrichtendienst Twitter im so genannten Arabischen Frühling vom Westen sozusagen zum modernen, unerlässlichen Revolutionsinstrumentarium gekürt wurde, als er den eigenen Interessen diente. Oder wie andersherum regelmäßig die chinesische Internet-Zensur – zu Recht - akribisch gegeißelt wird. Aber was sich Zar Erdogan heute alles leisten kann – und seit Wochen und Monaten einzig Putin als die Inkarnation des Bösen durch die hiesigen Medien getrieben wird, das ist schon unglaublich. Aber nein, es ist eben nicht unglaublich, wie Ihr Artikel eindrücklich zeigt.

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Reyes Carrillo
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Ihr etwas heimtückischer Vergleich zwischen Maydan und Maydan macht deutlich, wovon die Maydan-Qualiät abhängig ist: Von der NATO-Mitgliedschaft.

Norbert Heisenberg
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Brillant, ohne Wenn und Aber.
Für mich bemerkenswert U. Gellermanns eindeutige Antwort auf die Frage: Wann und wie vollzog sich eigentlich ein von Zeitgeistern beklagter Charakterwandel der Nato vom Verteidigungsbündnis zur Aggressionsorganisation...

Brillant, ohne Wenn und Aber.
Für mich bemerkenswert U. Gellermanns eindeutige Antwort auf die Frage: Wann und wie vollzog sich eigentlich ein von Zeitgeistern beklagter Charakterwandel der Nato vom Verteidigungsbündnis zur Aggressionsorganisation (u.a. von Herrn Gysi)?
Das liest man heute selten. Danke!

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Ralf Thielken
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Sie schreiben, die Türkei habe syrische Flugzeuge im syrischem Luftraum abgeschossen. Das kann nicht sein. Schließlich hätte die Radarbegleitung der Bundeswehr-Patriotsysteme an der türkisch-syrischen Grenze das genau registriert und...

Sie schreiben, die Türkei habe syrische Flugzeuge im syrischem Luftraum abgeschossen. Das kann nicht sein. Schließlich hätte die Radarbegleitung der Bundeswehr-Patriotsysteme an der türkisch-syrischen Grenze das genau registriert und dokumentiert; anderntags wären unsere Medien voll von Politikerprotesten gegen einen solchen eklatanten Bruch des Völkerrechts gewesen.

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Rüdiger Becker
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Dass sehe ich genau so. Und wir hätten die Patriots nach Hause geholt, die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, der NATO gesagt entweder die oder wir, der syrischen Regierung unser Beileid ausgesprochen und anderntags den Sicherheitsrat um...

Dass sehe ich genau so. Und wir hätten die Patriots nach Hause geholt, die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, der NATO gesagt entweder die oder wir, der syrischen Regierung unser Beileid ausgesprochen und anderntags den Sicherheitsrat um meine Verurteilung des türkischen Vorgehens gebeten. Ich muss mich geirrt haben.

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Uli Gellermann
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Die im NATO-Vertrag behauptete "Herrschaft des Rechts" war doch damals schon verlogen. Ankündigte gerade die alliierte Freundschaft, erkor die Sowjetunion las Feind und zementierte die Teilung Deutschlands.

Jenny Bilstein
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Erdogan hat, von ihm selbst unbestritten, mit Handlangern einen inszenierten Kriegsgrund geplant. Damit auch den NATO-Bündnisfall und durch die an der Grenze der Türkei zu Syrien stationierten deutschen Patriot-Raketen die Verwicklung der...

Erdogan hat, von ihm selbst unbestritten, mit Handlangern einen inszenierten Kriegsgrund geplant. Damit auch den NATO-Bündnisfall und durch die an der Grenze der Türkei zu Syrien stationierten deutschen Patriot-Raketen die Verwicklung der Bundesrepublik in einen Angriffskrieg. Dies ist nach § 80 StGB strafbar: "Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.". Da bin ich gespannt, ob deutsche Juristen Klage einreichen - und wie die unabhängige Justiz unseres Landes reagiert.

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Marc Wöllner
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