Es droht ein kalter Sommer in Berlin: Die Bundesregierung stellt dem »Bund der Vertriebenen« von August bis Oktober 2006 Räume für eine Ausstellung in Berlin zur Verfügung: Unter dem Titel »Das Jahrhundert der Vertreibung« darf der mit Steuergeldern ausgehaltene Verband sein Wesen im "Kronprinzenpalais" treiben.
Noch warten die Wahlbürger auf Signale zur Besserung der wirtschaftlichen Lage, noch warten sie darauf, dass die Regierung der Vertreibung der Beschäftigten von ihren Arbeitsplätzen ein Ende macht und mit der Rückführung dieser Vertriebenen in geordnete Arbeitszusammenhänge beginnt, da richten Merkel & Co einen Blick in eine Vergangenheit, der sie zu Königen unter den Blinden werden lässt.
Wer das Konzept der Vertriebenen für ihr »Zentrum für Vertreibung« unter die Lupe nimmt, ein Konzept, das auch die Grundlage für die temporäre Ausstellung im »Kronprinzenpalais« bilden wird, dem fallen drei Besonderheiten auf: Dem Vertriebenenverband fällt nicht ein, dass wesentliche Teile seiner Verbandsmitglieder schon unter den Nazis »umgesiedelt« und keineswegs klassisch vertrieben wurden.
Dieser Ausblendung von Geschichte folgt eine merkwürdig asymmetrische Geographie: Die Vertreibung und Ermordung der Armenier, ein Verbrechen, das in Asien stattfand, wird unter den »europäischen Beispielen« geführt. Die Vertreibung der Palästinenser, die wie jene der Armenier sich außerhalb Europas abspielte, wird weder in der Sommerausstellung zu sehen sein noch im geplanten Zentrum. Und der Mord an Millionen Juden wird, mit leichter Hand, ebenfalls unter dem Titel »Vertreibung« geführt.
So mogelt man sich aus der deutschen Verantwortung: Die rassistisch motivierte Umsiedlungspolitik der Nazis verschwindet einfach, wird unter dem Begriff Vertreibung gefasst und fällt damit aus der Debatte. Der Genozid an den Armeniern wird als geschichtlicher Eckpunkt gewertet, mit dem Völkermord und Vertreibung begonnen habe, um den historisch einmaligen, industriellen Mord an den europäischen Juden zu verkleinern. Und die ungeheuerliche Einordnung des Holocausts als »Vertreibung« macht es möglich, die Deutschen in die Reihe der Opfer zu stellen so, als wäre das Schicksal der Ostpreußen das selbe, wie das der Toten in Auschwitz, Treblinka oder Bergen-Belsen.
Es geht nicht darum, das Leid der deutschen Heimatvertriebenen zu verneinen. Es muss aber immer noch darum gehen, den Ausgangspunkt für dieses Leid zu benennen: Der Angriffskrieg Deutschlands gegen seine Nachbarn und die damalige Einstufung der Polen, Russen und Slowaken als »minderwertig«. Nicht wenige Deutsche, auch und gerade in den Gebieten, aus denen sie später vertrieben wurden, haben diese Politik bis zum bitteren Ende unterstützt. Und wer sich die Litaneien des Sudetendeutschen Verbandes durchliest, wird nicht finden können, dass die »Henlein-Partei«, die Partei der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei, die fünfte Kolonne Hitlers, wenigsten heute verurteilt wird.
Die lauen Bemerkungen von Sozialdemokraten zum Ausstellungsvorhaben, von »eine berechtigte und interessante Stimme« (Markus Meckel) bis zu »interessant« (Angelika Schwall-Düren, Fraktionsvize), erklären sich aus der Koalitionsvereinbarung, nach der SPD und Union ein »sichtbares Zeichen zum Gedenken an Flucht und Vertreibung« setzen wollen. Millionen Deutsche warten auf ein sichtbares Zeichen gegen Arbeitslosigkeit und Armut. Das bleibt bisher aus.