Den Berliner Verdienstorden soll er bekommen, der ehemalige regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Und das ist auch gut so. Denn Diepgen hat an der Stadt verdient. Beweisbar zum ersten mal, als er 1982 zugeben musste, von einem Bauunternehmer vierzigtausend Mark angenommen zu haben und sie einem Konto zugeführt hatte, von dessen Existenz selbst langjährige CDU-Parlamentarier keine Ahnung hatten. Auch seine langjährige de facto Blockade der Entwicklung des Grossflughafens Schönefeld muss rückblickend als Verdienst angesehen werden: Wie anders hätten München und Leipzig an Berlin vorbeiziehen und damit weite Teile des umweltschädigenden Verkehrsaufkommens auf sich nehmen können. Letztlich ist sogar seine Mitverantwortung für den Berliner Bankenskandal ein Zugewinn für Berlin und die gesamte Republik: Es war Diepgen, lange vor Schröder, der im Ergebnis manipulierter Bilanzen der Landesbank und extremer Verschuldung der Landeskassen den Neo-Liberalismus entdeckte: Bei Obdachlosen sollte gekürzt werden, bei Asylbewerbern und anderen Gruppen, die sich nicht wehren konnten, um den von der Diepgen-Partei inszenierten Stadtbankrott zu sanieren.
Grosser Diepgen, wir loben Dich, Herr, wir preisen Deine Werke, diesen Bocksgesang hört man jetzt auch aus Kreisen der in Berlin mitregierenden Linkspartei und die verdankt dem Diepgen einiges. Denn ohne seinen Landesbankrott wäre die damalige PDS kaum in eine Koalition mit der SPD geraten und jemand wie der heutige Wirtschaftssenator Harald Wolf wäre womöglich immer noch in der Opposition und müsste über Diepgen schimpfen, statt ihm "hervorragenden Verdienste" um die Stadt zu attestieren, wie es in der Begründung für den Verdienstorden heißt. Diepgen wird ihn annehmen. Denn der vormalige Regierende, von den Berlinern liebevoll "das Diepgen" genannt, hat zwar die "Rote-Socken-Kampgane" gegen die PDS gebilligt und auch die homophoben Tendenzen des CDU-Wahlkampfes gegen Klaus Wowereit, aber Diepgen ist Mitglied einer christlichen Partei und weiß, was Vergebung heißt: Wer rote oder schwule Socken trägt muss an seinem schrecklichen Zustand nicht schuld sein, vielleicht ist er einfach so geboren.
Senatssprecher Michael Donnermeyer, der demnächst seinen Job verlässt, um bei einem Energiekonzern anzuheuern, rechtfertigte die Auszeichnung auch mit Diepgens 16-jähriger Amtszeit an sich: »Er hat sich aufgerieben für die Stadt, es geht um seine Lebensleistung.« Tatsächlich gab und gibt es Leute, die Diepgen für ziemlich gerieben halten: Seine Seilschaft aus RCDS-Tagen mit Landowsky und anderen düsteren Figuren des Westberliner Sumpfes galt lange als Muster für ein Netz von Abhängigkeiten und schwarzen Kassen, bis ihm und der gesamten Republik der damalige Bundesvorsitzende der CDU, Helmut Kohl, mit seinem Parteispenden-Skandal nachwies, das er es noch besser konnte. Auch Kohl konnte auf eine lange Amtszeit verweisen, als er das Parlament verhöhnte und seinen Amtseid zur Phrase degradierte. Man muss schon über die Qualität eines Senatssprechers verfügen, wenn man die Dauer eines Beschiss zur Grundlage einer Ehrung nimmt.
Die Linksfraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus , Carola Bluhm, übertraf den Senatssprecher bei weitem, als sie "großzügig und gelassen" mit der politischen Bilanz Diepgens umgehen wollte und versprach: "Wir wollen nicht zurückhassen". Großzügig und gelassen geht Frau Bluhm mit dem Geld der Steuerzahler um, denn denen hat der ehemalige Regierende Bürgermeister die bekannte, beträchtliche Schuldenlast aufgebürdet. Und dass sie nicht zurückhassen will, sondern geradezu drauflosehren, das kennzeichnet die reife Staatsbürgerin: Eine Hand wäscht die weiße Weste der anderen und vielleicht möchte sie ja auch mal so ein Glitzerding haben, das schmückt die Brust und noch die Enkel könnten sagen: Oma Carola hat auch was verdient.
Nun mag es Leute geben, die von der Berliner Linkspartei sagen, sie sei angekommen, arriviert in der alten Bundesrepublik, dem Land der Kompromisse und der staatlichen Wohltaten für die regierende Schicht. Und haben sie nicht recht, die Leute? Sollten wir nicht alle froh sein, wenn sich die alte, orthodoxe PDS zu einer modernen, flexiblen Partei wandelt, wenn sie die besten Traditionen der Demokratie übernimmt, jenes Wissen darum, dass Opposition Mist ist und nur Mitregieren und Mitmachen jenen Hauch von Weltläufigkeit verleiht, der Eröffnungsreden von Verbandstagungen so spannend und Besuche im Kleingartenverein so glänzend gestaltet. Tatsächlich ist es wohltuend zu sehen, dass nicht der dräuende Mantel der Geschichte die Berliner Linke umweht, sondern dass es die Strickjacke der Amnesie ist, die über Diepgen und andere Unfälle ausgebreitet wird. Die einzig denkbaren Verderber dieses artigen Spiels könnten die Wähler sein, die schon bei den letzten Berliner Wahlen mit ihrer Stimmzurückhaltung deutlich bekundeten, dass sie Demokratie anders begriffen haben. Aber vielleicht hat Harald Wolf nach den nächsten Wahlen schon seine Rente durch.