Zuweilen kam die DDR als Film zurück. Mal eher sonnig auf der Sonnenallee, mal eher traurig mit Veronica Ferres. Pünktlich, zu passenden Ereignissen, erinnerte die Stasi-Beauftragte daran, dass Gregor Gysi aus der DDR stammte und daher im Stasi-Generalverdacht stand. So wurde der Chef der Linkspartei zum Erben der DDR. Keine leichte Rolle. Ansonsten ist es eher ruhig um die DDR geworden. Sie heißt inzwischen Ostdeutschland, stellt die meisten Arbeitslosen, spricht Sächsisch und findet einmal im Jahr als 17. Juni statt: Ein guter Tag für das Kranz- und Gebinde-Gewerbe. Doch plötzlich ist sie wieder da: Als Hort des Antisemitismus.
Die Reichspogromnacht jährt sich im November zum 70. Mal und da möchte der Bundestag einen Text beschließen, der die Verfolgung der europäischen Juden verurteilen wird. Aber, sagt die CDU, auf keinen Fall mit der LINKEN, denn die DDR habe ein schlechtes Verhältnis zu Israel gehabt und sei antisemitisch gewesen. Nun wäre zu fragen, was denn Oskar Lafontaine und die vielen anderen Westdeutschen, die Mitglieder der linken Partei sind, mit der Politik der DDR zu tun haben. Aber das ist eine langweilige, weil sich selbst beantwortende Frage. Die interessantere Frage lautet anders: Was ist Antisemitismus?
Antisemitismus wird gern dem Begriff des Rassismus zugeordnet. Spräche aber heute einer von der jüdischen Rasse, der afrikanischen oder der asiatischen, würde ihm das bereits zu Recht verübelt: Die genetische Forschung lässt den Begriff Rasse als wissenschaftlichen Terminus ziemlich blödsinnig erscheinen. Und die Sprachästhetik hat ihn ohnehin nur noch für die Hundezucht reserviert. Also bleibt der Antisemitismus als gesellschaftlicher Begriff: Wenn jemand seiner jüdischen Herkunft wegen beleidigt, benachteiligt oder gar unterdrückt wird, dann gilt das als Antisemitismus.
Als es die DDR noch gab, machten sich manche Palästinenser in Deutschland zuweilen ein merkwürdiges Vergnügen, jene hochrangigen DDR-Politiker aufzuzählen, deren Eltern sich noch als Juden begriffen, also der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten. Darunter waren Politbüro-Mitglieder wie Albert Norden, Hermann Axen oder Kurt Hager. Auch der Vater von Gregor Gysi, zeitweilig Kulturminister, zählte dazu. Denen ging es nicht schlecht. Wer mehr über die DDR weiß, der könnte auch wissen, dass sie ein Zufluchtsort für Tschechen jüdischer Herkunft war, die in den Fünfziger Jahren wegen einer ekelhaften antisemitischen Kampagne aus der CSSR in die DDR wechselten. Aber das war zu einer Zeit, als der Beamten-Appartat Westdeutschlands noch voller alter Nazis und Antisemiten steckte. Nicht wenige von denen waren Mitglieder der CDU. Das liegt für die heutige CDU eindeutig zu weit zurück.
Bleibt der Vorwurf, die DDR habe den Staat Israel nicht völkerrechtlich anerkannt. Dieser Vorwurf relativiert sich ein wenig, wenn man erinnert, dass auch die Bundesrepublik bis 1965 brauchte, um Israel anzuerkennen, und dass die DDR auf der Seite der jungen arabischen Nationalstaaten stand, die in Israel einen Besatzer arabischen Territoriums sahen. Aber vor allem kritisierte die DDR den Zionismus, jene staatliche Machtfantasie, die sich im Bündnis mit den USA mehr und mehr palästinensisches Land aneignete. Wie schön, wenn die CDU wüsste, dass es auch in Israel lebende Juden gibt, die den Zionismus kritisieren. Aber die Verwechslung von Juden und Zionisten, von der Kritik am Staat Israel und dem Antisemitismus hat Methode.
Insbesondere Deutsche, die mit einer Rundumverteidigung Israels hausieren gehen, hoffen damit der immer noch wirkenden Schuld am deutschen Judenmord zu entgehen: Ich bin nett zu Israel, also bin ich nett zu Juden, also habe ich mich von der deutschen Vergangenheit reingewaschen. Soweit ist die blinde Liebe zu Israel nichts anderes, als ein Stück Selbstschutz. Zum anderen schützt sie auch vor differenziertem Denken: Wenn Israel unbedingt gut ist, dann sind die Palästinenser und andere Araber unbedingt böse. Und nicht zuletzt ist diese obskure Form des Philosemitismus auch eine Waffe. Siehe DDR, siehe Linkspartei.
Denn mit dem Vorwurf des Antisemitismus an die Adresse der verblichenen DDR lässt sich Geschichte wundersam vereinfachen, so dass plötzlich die DDR als genuine Nachfolgerin des Nationalsozialismus erscheint und die Linkspartei, im bewährten Gleichsetzungs-Schema von Links und Rechts, als Schuldnachfolgerin der DDR, also tendenziell eigentlich rechts. Auch gut ist, dass hinter dem Antisemitismus-Vorhang die Blockparteien der DDR verschwinden und mit ihnen das beträchtliche Erbteil, das sich die West-CDU in Form von Mitgliedern und Vermögen der Ost-CDU aus der DDR angeeignet hat.
So kehrt die DDR als Farce zurück. Denn tief in ihr begraben liegt die Möglichkeit, über staatliches Eigentum wirtschaftliche Regulative zu bewirken. In Zeiten privatwirtschaftlichen Versagens reicht deshalb das einfache Scheitern der DDR nicht. Da muss man ihr mehr Schuld zuweisen, als ihr ohnehin zu eigen ist. Die Mafia soll ihre Gegner einbetoniert haben. Die Marktgläubigen versuchen es mit Ideen.