Können Sie sich noch an die Bundestagswahl 2005 erinnern, an diesen Oktobertag an dem das wirklich Spannende am Abend vor den TV-Kameras geschah, als Gerhard Schröder in einem historischen Moment der Polit-Comedy die »Axt-im-Walde« gab und die Dame Merkel beinahe in Tränen ausgebrochen wäre? Schröder hat dann das Fach gewechselt, die Gas-Mafia zahlte mehr als die Theaterbranche, und den Kleinkunstpreis wollten sie ihm auch nicht geben. So wie die Vertreter der heutigen Großkoalitionäre an diesem Abend agierten hätte man denken können, sie wären miteinander verfeindet. In Maßen sind sie das auch. Aber um zu erkennen, dass die geübte Kumpanei, das täglichen Treffen in der Bundestagskantine und bei den Lobbyisten-Terminen nicht immer tragfähig ist, mussten die Damen und Herren erst eine große Koalition eingehen.

Im Ergebnis dieser Wahl wäre eine linke Regierung möglich gewesen. SPD, Grüne und Linkspartei brachten gemeinsam 51 Prozent der Wählerstimmen zusammen, während für die CDU, die Regionalpartei CSU und die FDP nur 45 Prozent übrig blieb. Es war das, nächst seiner Haltung zum Irak-Krieg, einzige Verdienst des Gerhard Schröder am Abend des Wahltages drauf hinzuweisen, dass die CSU eben auch nur eine dritte Partei, eine bayerische Sammlungs- und Regionalbewegung sei. Es hätte also zu einer gefühlten linken Mehrheit reichen können. Zwar hatte sich gerade die Schröder-SPD den Neoliberalismus auf die Agenda 20/10 geschrieben. Aber, nach Lesen der Umfragen, hatte Heuschrecken-Münte der SPD, ein paar Wochen vor der Wahl, einen hastigen, öffentlichen Linksruck verschrieben und die schon gründlich verloren geglaubte Wahl sah die SPD fast mit der CDU gleichauf. Die Grünen galten bei ihren Wählern ohnehin als Links, so als ob der Abgeordnete Ströbele mehr sei als ein Feigeblatt und die Linkspartei hieß sogar schon so.

Natürlich erinnern Sie sich noch an die beliebten Argument für eine Große Koalition: Man habe nur so eine tragfähige Mehrheit, die Regierungsfähigkeit sei gesichert, anderer Koalitionen seien zu instabil. Peter Struck nannte die Koalition damals einen »soliden Grundstock«. Und wenn er heute jeden Knüppel den er findet aufhebt, um damit auf CDU oder CSU einzudreschen, dann hat er das damals mit dem Stock sicher anders gemeint. Rund 70 Prozent der Wähler haben heute kein Vertrauen in die Koalition: Ungefähr so viele Wähler hatten vor einem Jahr die drei Parteien gewählt, die jetzt die Koalition stellen. Was auch immer die Regierung beschließt, die Ränder sind dagegen. Der Vorsitzende der bayerischen Landespartei, Herr Stoiber, vor einem Jahr als Wichtigminister für das Kabinett der Doktor Merkel vorgesehen, verschwand aus der Verantwortung, um fürderhin grundsätzlich dagegen zu sein. Die CDU-Bundeskanzler im Wartestand, Wulf, Koch und Rüttgers, werden nicht jünger und würden die Wartezeit gerne verkürzen. Der hessische CDU-Landeschef will »keine Große Koalition um jeden Preis«, so als ob er den Preis für die Unfähigkeit der Regierenden zahlen müsse. Die Große Koalition ist nur deshalb nicht am Ende, weil sie nie wirklich begonnen hat.

Den regierenden Parteien macht immer noch die gefühlte Linke Mehrheit zu schaffen. Denn tatsächlich glaubten die Wähler der SPD damals an den verkündeten Linksruck. Und mit den Wählern von Grünen und Linkspartei zusammengenommen stieg der Anspruch auf eine, wie auch immer geartete, Besserung der Lebensumstände. Die haben sich aber, für fast alle Wähler, durchweg verschlechtert. Ein typisches Beispiel ist die Gesundheitsreform, deren letzte Entgleisung bei acht Euro liegt, jenen acht Euro, die von der CDU als Zuzahlungsbetrag für alle gewünscht wird während die SPD eher zu sechs Euro tendiert. Die zwei Euro Differenz ist für manchen im Land nicht wenig: Bei vielleicht 600 Euro Monatsverdienst, bei steigender Mehrwertsteuer und Inflation ist dieser Betrag keineswegs lächerlich. Lächerlich erscheint, dass eine Große Koalition solch kleine Beträge mit großem Theater öffentlich verhandelt.

Während die Große Koalition nur noch mit 30 Prozent Zustimmung rechnen darf, ist eine andere Partei, in Mecklenburg mit 41, in Berlin mit 42 Prozent auf dem Vormarsch: die Partei der Nichtwähler. Wer den Trend zum Nichtwählen auf die Landtagswahlen und den wilden Osten schieben will, der sollte sich die deutschen Europawahl-Ergebnisse der letzten Jahre anschauen: 1994 gingen 40 Prozent nicht zur Europawahl, 1999 waren es 55 Prozent, und 57 Prozent der Wähler verweigerten sich in 2004. Der Weg vom Wohnzimmer zum Wahllokal scheint sich für die Hälfte der Deutschen nicht mehr zu lohnen. Die Erklärung für die Europawahlen liegt nahe: Es gibt zwar einen gemeinsamen Markt und manchmal, wenn die Engländer und Polen es gestatten, auch eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Steuer- und Sozialpolitik fehlt aber ebenso wie eine gemeinsame Verfassung. Nun haben die Deutschen zwar eine Verfassung, aber eine gemeinsame, die da unten und jene da oben versöhnende Steuer- und Sozialpolitik hat die Bundesrepublik auch nicht. Wie denn auch, wenn nur ein knappes Drittel der Bürger 85 Prozent der Steuern zahlt.

Der gelernte Elektriker Beck, von einer stromlinienförmigen SPD auf den Vorsitzendensessel gehievt, redete jüngst von den »Menschen in Deutschland, die keinerlei Hoffnung mehr haben« und davon, dass es früher »in armen Familien das Streben der Eltern gab: Meine Kinder sollen es einmal besser haben«. So wie er das beklagt, klagt er die Eltern an, nicht die Regierenden. Es ist gibt eben doch nur eine gefühlte linke Mehrheit. Anlässlich der Berliner Landeswahlen war sie nicht mal mehr zu fühlen. Da hatten die Senatoren der Linkspartei sich bis zu Kenntlichkeit der SPD angeschmiegt, um mehr als die Hälfte der Stimmen einzubüssen. Die Damen und Herren haben das nicht als Signal verstanden in die Opposition zu gehen. Sie machen tapfer weiter, die Koalitionsverhandlungen mit der SPD stehen auf Durchmarsch. Die Sache mit der Opposition ist vielen Deutschen eher unheimlich, Kritik kann doch sehr störend wirken. Bis die Wahlenthaltungen über 60 Prozent reichen oder bis die NPD mehr als 15 Prozent bekommt?

In den Nebeln einer Politik die, von Afghanistan über Harz IV bis zum Zusatzbeitrag von acht Euro zur Krankenkasse, ihre eigene, hermetische Sprache entwickelt hat, deren Interesse am Erhalt des eigenen Postens schon für eine Position gehalten wird, verschwinden die Wähler. Noch ist ihr Ziel unbekannt.

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