Ein ganzes Jahr lang wird der Mann bespitzelt. Seine Freunde werden überwacht. Sein Telefon wird abgehört. Er wird verfolgt. Dunkle Männer mit Mikrophonen belauschen Treffen. Der Mann spürt den Druck. Dann stürmt ein Einsatzkommando seine Wohnung. Ohne Beweise, ohne Anklage wird der Mann ins Gefängnis geworfen. Sogar seine Frau zweifelt an ihm. Was da so klingt als würde die BILD-Zeitung Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit beschreiben, hat sich in den Jahren 2006/2007 im vereinigten Deutschland ereignet. Zielperson der staatlichen Repressions-Maßnahmen war der Soziologe Andrej Holm. Genau: Jener Holm, der noch Staatssekretär in Berlin ist, jetzt aber unter dem Druck eines Stasi-Vorwurfs rausgeworfen werden soll.

Als Andrej Holm vor 27 Jahren Offiziersschüler im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ war, einer Gliederung der DDR-Staatssicherheit, bespitzelte er niemanden. Er brach in keine Wohnung ein und verhaftete auch niemanden. Holm war 18. Das Wachregiment dem er angehörte war eine Art Objektschutz-Truppe: Zuständig für die Bewachung wichtiger Grundstücke von Partei und Staat. Manchmal durften die Soldaten auch mit blank geputzten Stiefeln den Stechschritt proben: Bei Kranzniederlegungen, an hohen staatlichen Feiertagen. Beim „protokollarischem Ehrendienst“ wie es auch in der Dienstvorschrift des Wachbataillons der Bundesrepublik Deutschland heißt.

Die Frau, die 2006/2007 den Soziologen Holm, einen aktiven Gegner der Gentrifizierung, wegen „Terrorismus-Verdacht“ bespitzeln und inhaftieren ließ, ist für dieses und anderes Unrecht nie zur Rechenschaft gezogen worden: Monika Harms, eine Beauftragte des Koffer-Ministers Schäuble, war von 2006 bis 2011 Generalbundesanwältin beim Bundesgerichtshof der Bundesrepublik Deutschland. Die Harms ordnete im Mai 2007 im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm 40 polizeiliche Razzien an, die zwischenzeitlich vom Bundesgerichtshof für widerrechtlich erklärt worden sind. Die Harms ließ Mitarbeiter von „tagesschau.de“, einen Redakteur der Hörfunkwelle „NDRInfo“ und andere Journalisten, etwa vom Berliner "Tagesspiegel", bei Recherchegesprächen überwachen. Der damalige Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Jobst Plog, hatte die Abhörmaßnahmen als „einen massiven Angriff auf die Rundfunk- und Pressefreiheit“ bezeichnet. Frau Harms wurde nie belangt, sie kann in aller Ruhe ihre beachtliche Rente genießen.

Jetzt in diesen Tagen wird eine offene Rechnung beglichen: Andrej Holm kam damals nach massivem öffentlichen Druck frei. Und der Staatsapparat sah aus wie er ist aber ungern ertappt wird: Wie eine Repressionsmaschine, der die Gesetzeslage ziemlich gleichgültig ist. Diese Bloßstellung ist nicht vergessen. Das wird jetzt mit einem alten, bekannten Stasi-Vorwurf heimgezahlt. Und pünktlich zum Start der rot-rot-grünen Kolatition aufgewärmt. Und mehr noch: Einen Mann wie Holm, der zu Recht im Verdacht steht auf der Seite der bedrängten Mieter zu stehen, der darf, nach Maßgaben der Profiteure, keinesfalls Staatssekretär für Wohnungspolitik im Berliner Senat werden. Und noch mehr: Die Rot-Rot-Grüne Koalition in Berlin gilt als Modell für eine mögliche Rot-Rot-Grüne Regierung auf Bundesebene. Dass dieses Projekt nur über die Leiche der SPD oder über die Leichen der linken LINKEN zustande kommen wird, also eher nicht, irritiert den tiefen Staat nicht. Schäubles Nebenregierung aus Geheimdiensten, Polizeioffizieren und sympathisierender Justiz kann weder die Niederlage im Fall Harms noch die kleinste demokratische Öffnung durch eine alternative Regierung zulassen. Sowas muss torpediert werden.

In den nächsten Tagen wird sich erweisen, ob der Berliner Versuch gelungen ist, mit Andrej Holm einen engagierten Wissenschaftler für Stadterneuerung, gegen Gentrifizierung und für eine soziale Wohnungspolitik in Stellung zu bringen. Der Berliner LINKEN-Chef, Klaus Lederer, beginnt schon mit dem Zurückrudern: "Wir müssen uns nun darüber verständigen,“ sagt Lederer nachdem der Regierende Bürgermeister Holms Entlassung verlangt hatte, „wie wir künftig miteinander umgehen wollen." Ein klares NEIN zur Entlassung Holms klingt anders.


AKTUELL
War der Fall von Andrej Holm geplant?
Berliner Landes-Chef fingerte an der Verfassung

Wie nebenbei meldet das Berliner Info-Radio plötzlich eine interessante, bisher unbekannte Tatsache: Im neuen Vertrag der rot-rot-grünen Koalition hat sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller ein Recht vorbehalten das es bisher in der Landesverfassung nicht gab: Er darf laut Vertrag ausgerechnet in dieser Koalition Staatssekretäre entlassen. Der Regierenden Bürgermeister (s. Anhang aus der Verfassung von Berlin) hat eine vergleichbar schwache Stellung im Kabinett. Das resultiert noch aus der Zeit der Besatzungszonen. Er hat mehr den Charakter eines Grüß-August als den eines Ministerpräsidenten. Denn: jedes Mitglied des Senats (Landesminister) leitet seinen Geschäftsbereich selbständig.

Die im Koalitionsvertrag festgelegte, faktische Änderung der Verfassung deutet daraufhin, dass die Entlassung geplant war. Neben vielen anderen Fragen stellt sich auch diese: War die Linkspartei zu naiv, um diese Falle zu erkennen, oder ist sie einfach sehenden Auges in diese Falle gelaufen

Holm tritt zurück
Ein dreifacher Verlust

Andrej Holm ist von seinen Amt als Berliner Staatssekretär zurückgetreten. Das ist ein dreifacher Verlust:

Holm war ein Aktivposten für eine soziale Wohnungspolitik, einer, der den Hausbesetzern und den Mietern näher stand als vielen privaten Investoren. Zu einer Zeit, in der die Umwandlung Berlins von einer früheren Mieterstadt zu Profitopolis schneller und schneller fortschreitet, ist sein Rücktritt eine Schwächung der Schwächeren in den sozialen Auseinandersetzungen der Stadt.

Sei Rücktritt ist aber auch ein Verlust an Klarheit: An Holm hätte gezeigt werden können, wie links die Linkspartei ist. Oder aber eben auch nicht. Durch seinen Rücktritt ist die LINKE in Berlin – die wesentlich vom rechten Flügel der Partei dominiert wird – nicht gezwungen Farbe zu bekennen: Für oder gegen Holm, das wäre auch die Entscheidung gewesen, ob man die Koalition höher stellt als das eigene Profil als soziale Partei. Nun schwiemelt die links-rechts Auseinandersetzung in der LINKEN bundesweit weiter und der Wähler kann raten was er denn wählt wenn er links wählt: Bartsch oder Wagenknecht.

Schließlich haben mit dem Rücktritt von Holm auch jene gewonnen, die bis heute in der DDR nur eine Stasi-Veranstaltung sehen und mit dieser Keule die Biografien der DDR-Bürger entwerten und den großen Treuhand-Raubzug ebenso legitimieren, wie sie damit die Auswechselung der DDR-Eliten zugunsten der Profiteure aus dem Westen rechtfertigen.

Kein guter Tag für Links.

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Von FAZ bis TAZ: Niemand hat diesen Hintergrund des "Fall" Andrej Holm geliefert. Das kann/will nur die RATIONALGALERIE. Inzwischen kann man schon sagen: Wer sonst?

Lisa Petersen
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Sehr geschätzter Herr Galerist.
zu ihrem heutigen Artikel modifiziere ich mal ein bekanntes Zitat von Theobald Tiger: "Ich habe ja nichts gegen die 'Arbeit' der Geheimdienste. Mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie beschäftigt - und das sie...

Sehr geschätzter Herr Galerist.
zu ihrem heutigen Artikel modifiziere ich mal ein bekanntes Zitat von Theobald Tiger: "Ich habe ja nichts gegen die 'Arbeit' der Geheimdienste. Mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie beschäftigt - und das sie noch so tut, als diene deren Tätigkeit der Sicherheit der Nation - das ist hart und bekämpfenswert"
Manchmal bedauere ich sehr, dass ich Atheist bin. Denn wenn ich Christ wäre könnte ich mir wünschen, dass diese Brunnenvergifter ewig in der Hölle schmoren ! ! !

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Aleksander von Korty
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Ja, ja. 100.000 Euro von einem Waffenschieber bekommen und dann nicht wissen wohin?

Es soll ja Rollstühle mit doppeltem Boden geben und einen geheimen ADAC-Straßenatlas: Wald- und Schleichwege ins Fürstentum Lichtenstein:-)

Michael Burkhardt
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SUCHET, SO WERDET IHR FINDEN! Wie gut, dass ich bei meinem Bestreben mir ein Bild von der Welt zu machen nicht darauf angewiesen bin in Demut und Dankbarkeit nur das zu schlürfen was mir die staatstreuen und überwiegend unkritischen Medien...

SUCHET, SO WERDET IHR FINDEN! Wie gut, dass ich bei meinem Bestreben mir ein Bild von der Welt zu machen nicht darauf angewiesen bin in Demut und Dankbarkeit nur das zu schlürfen was mir die staatstreuen und überwiegend unkritischen Medien täglich anbieten. Dann wäre mir gar nicht aufgefallen, wie erbärmlich sich der Berliner Bürgermeister verhält, wenn er Holms Rücktritt fordert und wie kümmerlich die LINKEN, wenn sie dem Druck nachgeben. Ein fein recherchiertes und glänzend geschriebenes Stück über den Sumpf hinter den Kulissen. Ein Hoch auf den Verfasser!

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Wolfgang Schiller
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Die DDR war völkerrechtlich anerkannt, soviel ich weiß. Jeder Staat hat seine Geheimdienste und seine Sicherungen im Land. Diese elenden Heuchler im Land, in unserem.
Da reib ich am Morgen die Augen.
Noch nicht lange her, da wurde die "Rosenberg...

Die DDR war völkerrechtlich anerkannt, soviel ich weiß. Jeder Staat hat seine Geheimdienste und seine Sicherungen im Land. Diese elenden Heuchler im Land, in unserem.
Da reib ich am Morgen die Augen.
Noch nicht lange her, da wurde die "Rosenberg Akte," von unseren Schreiberlingen ungern, wenn nicht gar nicht zur Kenntnis genommen. Ich wiederhole mich sehr gerne. Die Adenauer Ära, mit seinem Staatssekretär Globke, Verfasser der Rassegesetze im Faschismus, war neben vielen anderen Faschisten, nach 1945 im Justizministerium wieder aufgenommen worden in den "Schoß der deutschen Familie:" Bis in die 1970ziger Jahre waren die Faschisten mit ihrem braunen Gehirnen an tragenden Gesetzen in der Bunderepublik beteiligt, zur Freude Adenauers, der aus seiner Sympathie für die Schergen, die Schreibtischmassenmörder nie einen Hehl machte, und Hauptsache, es ging gegen die "Russen." Die Frauen und Männer, die die Lager überlebt hatten, trafen genau die wieder, die sie, wenn es denn Gerichtsurteile gab, während des Faschismus verfolgt und weggesperrt hatten, So sind denn viele an den Folgen der Haft, der Folter, der Unmenschlichkeiten gestorben, ohne jemals eine Anerkennung und Entschädigung erhalten zu haben.
Nun kann Rot-Rot-Grün beweisen, dass sie eine andere Politik machen wollen. Die Immobilien-Mafia mischt kräftig mit, und das nun wieder kräftig diskrediert und diffamiert wird, passt in die Zeit. Stehen die Linken hinter und zu ihrem Staatssekretär ? Das ist die Frage , die es zu beantworten gilt. Stehen sie für eine wirklich linke Wohnungspolitik mit ein? Herr Holm soll. weil er Veränderungen anstrebt, die der Allgemeinheit dienen weg. Eine Linke, die keine linke Politik macht brauchen wir nicht. Auf der Seite, der Arbeiterklasse, der erniedrigten und gedemütigten Menschen hat sie zu stehen, und das heißt, dass Andrej Holm volle Unterstützung zu erfahren hat, weil er für eine Wohnungspolitik einsteht, die den Namen verdient. Die LINKEN wollen nun einmal um jeden Preis mit regieren, und übersehen, gewollt oder ungewollt, dass sie als LINKE nur mit klarer, politischer Botschaft und linker Politik eine Berechtigung hat. Sollte sie dieses nicht umsetzen, ist sie nichts anderes, bis auf einige Wenige, die den Neoliberalismus irgendwie akzeptieren, und die Arbeiterklasse verraten, und satt am Honigtopf der Republik schlürfen, den die Rentner, Hartz4 und Niedriglöhner beständig nachfüllen.Links dürfen sich nur die nennen, die die rote Fahne der Arbeiterklasse tragen, mit all den Forderungen für eine menschenwürdige Gesellschaft, vor allem aber bereit zu sein, gegen alle Widerstände mit Verbündeten, diese durchzusetzen. Geschenkt bekommen wir nichts, und jeder Veränderung in der Verschiebung der Macht- und Kräfteverhältnisse zugunsten der Menschen im Land ist und bleibt Klassenkampf. Nun kann die LINKE beweisen, wessen Interessen sie vertritt.

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Ulrike Spurgat
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Wer sich ein Bild über Andrej Holm machen möchte kann dessen Interview vom 23.12. bei ZEIT Online lesen.

Das Bild würde vollständig, wenn der Berliner Bürgermeister seine Entscheidung transparent macht. Dazu könnte er darlegen, wer genau aus...

Wer sich ein Bild über Andrej Holm machen möchte kann dessen Interview vom 23.12. bei ZEIT Online lesen.

Das Bild würde vollständig, wenn der Berliner Bürgermeister seine Entscheidung transparent macht. Dazu könnte er darlegen, wer genau aus welchen Gründen bei ihm wegen Holm interveniert hat.

Sofern Vertreter der "Wohnungswirtschaft" bei ihm interveniert haben, müsste er aber schon belegen, dass deren Interessen keine Auswirkungen auf seine Personalentscheidungen hatten. Das wäre glaubhaft, wenn er ausdrücklich an den wohnungspolitischen Zielen Holms festhält.

Dann wäre der Weg frei für eine ernsthafte Debatte über den Umgang mit dem Thema "Stasi" - Biografien.

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Heinz Schneider
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@Lisa Petersen ,
da schließe ich mich gerne an, und hoffe, dass uns die Galerie mit dem Galeristen, weiterhin, mit politischem Weitblick, Klasse, Stil, Humor, Haltung und Niveau, lange, lange Zeit in den politischen Wirren unsere Zeit erhalten...

@Lisa Petersen ,
da schließe ich mich gerne an, und hoffe, dass uns die Galerie mit dem Galeristen, weiterhin, mit politischem Weitblick, Klasse, Stil, Humor, Haltung und Niveau, lange, lange Zeit in den politischen Wirren unsere Zeit erhalten bleibt, und in meine Gedanken sehr oft die notwendige Klarheit bringt..

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Ulrike Spurgat
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@l. petersen
"wer sonst?"
die heutige ausgabe der "jungen welt" berichtet zum "fall" holm. heute ist erst montag, entscheidungen, begründungen und die neuen deals werden folgen.

aber noch umfänglicher wird einer diskussion auf der...

@l. petersen
"wer sonst?"
die heutige ausgabe der "jungen welt" berichtet zum "fall" holm. heute ist erst montag, entscheidungen, begründungen und die neuen deals werden folgen.

aber noch umfänglicher wird einer diskussion auf der rosa-luxemburg-konferenz platz gegeben, wo riexinger als parteichef mit seiner kom. plattform, seinem basisverein und der dkp über die zusammenarbeit mit der spd bzw. über sinn oder unsinn bei regierungebeteiligungen und r2g sich austauschen.
https://www.jungewelt.de/2017/01-16/002.php
https://www.jungewelt.de/2017/01-16/061.php

der unschätzbare vorteil der rationalgalerie ist der mögliche gedankenaustausch dazu.

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altes Fachbuch
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@ altes Fachbuch

Aus den von Ihnen mit Links zitierten Artikeln der JW kann ich weder den von der RATIONALGALERIE recherchierten, wesentlichen Hintergrund erkennen noch die politischen Zusammenhänge, die Gellermann analysiert.

Lisa Petersen
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Danke für den höchst aktuellen Zusatz zur Verfassungsänderung. Aber so eine Änderung der Berliner Verfassung verlangt doch eine Abstimmung im Berliner Parlament, im Abgeordnetenhaus. Warum ist das denn nicht geschehen?

Jens Berger
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Da müssen Sie bitte die beteiligten Parteien dieser Koalition fragen.

Uli Gellermann
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