Der Russe ist undankbar. Immerhin hat man ihm doch vor Jahren die Sorge um den Warschauer Pakt, das Ost-Pendant zur NATO, abgenommen. Auch die vielen Verbündeten, die ihm wahrscheinlich ziemlich lästig waren, sind von ihm zur von den USA dominierten NATO gewandert. Demnächst wird der Russe sogar von einem Anti-Raketen-System der USA, das in Polen und Tschechien stationiert werden wird, geschützt. Wahrscheinlich vor sich selbst. Im Zuge der Entrussifizierung des ehemaligen Jugoslawiens (Mancher Beobachter wundert sich darüber immer noch, galt Jugoslawien doch Jahrzehnte eher als Russenfeindlich) erfand man, nur zur Erleichterung des Russen, einen niedlichen Staat nach dem anderen: Montenegro, Mazedonien, Kosovo. Doch plötzlich, nach all den Wohltaten, die man dem Russen hat angedeihen lassen, wütet er plötzlich an seiner Grenze zu Georgien. Das ist nicht recht.

Die Wahrheit ist, der von den USA unterstütze Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili, hat Südossetien überfallen lassen. Mit Mitteln, die man sonst eher von Milosevic kannte, dem ehemaligen Regierungschef Jugoslawiens. Doch während man beim Auftreten jugoslawischer Truppen und Milizen in den deutsche Medien sofort die serbische Aggression erkannte, erscheinen im Falle von Südossetien, im Spiegel deutscher Medien, die zurückschlagenden Truppen Russlands als Aggressoren. Das will untersucht werden.

Südossetien: Das ist eines jener Gebiete aus der sowjetischen Konkursmasse, für die sich eigentlich keiner interessierte. Die Osseten erklärten sich 1990 erstmalig für unabhängig. Immerhin, die Sowjetunion war verschwunden und wer in dieser Gegend wollte, so galt das damals allgemein auch im Westen für richtig, der konnte einen eigenen Staat aufmachen. Das sahen georgische Milizen anders, sie marschierten im selben Jahr in Südossetien ein. Etwa einhunderttausend Osseten wurden vertrieben. Von Protesten der USA oder der EU ist nichts bekannt. Die Osseten, die tatsächlich in ihrer Geschichte auch mal zu Georgien gehörten, in den garantiert demokratischen Verhältnissen des Mittelalters zum Beispiel, riefen dann im Jahr 1991 eine eigene Republik aus und stürzten sich 1992 in ein Referendum über ihre Unabhängigkeit: Rund neunzig Prozent waren dafür. Das fand die georgische Armee falsch: Ständige militärische Interventionen waren die Folge.

Immerhin unterschrieben 1996 der damalige georgische Präsidenten Schewardnadse und der Präsident Südossetiens ein Abkommen über den künftigen Status Südossetien. Nach dem Verständnis des Völkerrechts, wenn zwei Präsidenten zweier Staaten ein Abkommen treffen, wurde damit Südossetien von Georgien anerkannt. Da dieser kaukasische Randstaat für fast niemanden von Interesse war, gab es im Westen keinen, der ihn anerkannte. Wohl deshalb kann man in diesen Kriegstagen so penetrant die Formulierung hören, Südossetien sei "international nicht anerkannt". Das mit dem Interesse am Kaukasus und seinen Streitigkeiten sollte anders werden.

Noch wird über Abchasien, ein weiteres Gebiet in dem Kämpfe zwischen georgischen Truppen und denen Abchasiens seit Jahren virulent sind, in den deutschen Medien wenig berichtet. Bevor auch hier die triumphierende Meldung eintrifft, diese kleine Republik sei "völkerrechtlich nicht anerkannt", ein paar Fakten: Abchasien war zu Zeiten der Sowjetunion eine autonome Republik. Wenn auch die Autonomie solcher Republiken gegenüber der Moskauer Zentralgewalt wenig galt, waren die Sowjets in kultureller Hinsicht ungewöhnlich pingelig: Es gab Zeitungen, Rundfunksender und Schulunterricht in den jeweiligen Landessprachen der autonomen Gebiete. Als Georgien einseitig alle früheren Verträge, die mit der Sowjetunion bestanden hatte, aufkündigte, erklärte sich das abchasische Parlament 1992 für unabhängig. Prompt besetzten georgische Truppen Abchasien. Außer den Russen interessierte das, wie schon im Falle Südossetien, niemanden.

Spätestens Ende der 90er Jahre, als die erste Öl-Pipeline vom aserbeidschanischen Baku bis zum georgischen Hafen Supsa geplant und gebaut wurde stieg die Aufmerksamkeit für Georgien: Auch wenn diese erste Pipeline nur kleine Mengen Öl transportierte, wurden die konkurrierenden russischen Pipelines doch umgangen. Als dann ein Konsortium unter Führung der britisch-amerikanischen BP/Amoco eine neue Pipeline mit viel größerem Transportvolumen von Baku bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan plante (Fertigstellung 2006), war das Interesse der USA und ihrer Partner endgültig fixiert: Georgien, unter Führung des US-freundlichen Präsidenten Saakaschwili musste dringend zum engen Bündnispartner mit NATO-Status werden. Wie sollte man sonst in Ruhe sein Öl in dieser Gegend fördern können.

Saakaschwili, der Präsident Georgiens, ist natürlich ein lupenreiner Demokrat. Vielleicht deshalb hat er 2004 die "Rückführung" Südossetiens und Abchasiens in den georgischen Staatsverband verlangt und dieses Verlangen mit militärischem Druck begleitet. Die USA und die EU, wahrscheinlich arg vom Nation-Building im ehemaligen Jugoslawien strapaziert, fanden offenkundig keine Zeit sich mit den kaukasischen Problemen zu beschäftigen. Nach Massenprotesten in Georgien, ausgelöst vom korrupten und autoritären Führungsstil des Präsidenten, kam es Anfang diesen Jahres zu Neuwahlen. Im Vorfeld dieser Wahlen gab es eine Änderung des Wahlrechts. Die ermöglichte den Wählern ihre Stimme mehrfach abzugeben. Manche Parteien, z. B. die georgischen "Grünen" wurden aus "formalen" Gründen nicht zur Wahl zugelassen. Während des Wahlkampfes wurde von der Saakaschwili-Regierung Gutscheine für Elektrizität, Gas und Medikamente an ihre potentiellen Wähler verteilt. In den elektronischen Medien kam nahezu ausschliesslich die Regierungspartei vor. Gewaltsame Überfälle auf die Opposition waren üblich. Dass eine internationale Wahlbeobachterkommission unter Leitung von Alcee Hastings (einem Mitglied des US-Repräsentantenhauses) die Wahlen als "rechtsgültig" bezeichnete, war so demokratisch wie eine Pipeline nur sein kann.

Die deutschen Medien sind voll von "russischer Provokation" von "abtrünnigen Republiken", "Separatisten" und "russischem Imperialismus". Der Satz "Georgischer Überfall auf Ossetien" ist nicht zu lesen und zu hören. Wahrscheinlich entspricht der zu sehr dem Faktischen. Wer will damit schon zu tun haben. Auch von der Rolle Georgiens als Nachschublager im eindeutig völkerrechtswidrigen Irak-Krieg ist wenig zu hören. Manchmal werden die amerikanischen Militärberater in Georgien, dem natürlich ansonsten völlig unabhängigen Land, erwähnt. In einem der vielen, sich ähnelnden Kommentare ist zu lesen: "Der russische Bär ist zurück aus den Wäldern". Hätte ich den Satz "Der amerikanische Adler scheißt mal wieder auf das Völkerrecht" in jüngster Zeit in den selben Medien lesen können, würde ich vielleicht an die schuldhafte Verantwortung Russlands glauben wollen.