Ein Weltereignis lässt den Blätterwald erbeben, sendet sein Echo wie Schockwellen durch die Medien und wirft seinen langen Schatten über die Leser soweit die deutschen Zunge und das dazu gehörende Auge reicht: Das neue, das wiedergeborene ZEIT-Magazin ist auf dem Markt. Immerhin wurde es erfunden, so schreibt ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, als 1969 das Ende der ZEIT drohte und mit ihm »der Weltuntergang, wenn nicht Schlimmeres.« Der Untergang konnte abgewandt werden und jetzt, hosianna, weilt es wieder unter uns Sterblichen, die schöne, bunte Beilage jener Zeitung, die der gewollt Gebildete als Expander nutzt und als Ausweis dafür, dass er liest.

Umhüllt von den gewöhnlichen, achtzig Zentimeter breiten ZEIT-Seiten lässt der Verlag sein Magazin unter die schmatzenden Leser perlen und feiert es mit der Titelseite, auf der nichts anderes vermeldet wird als eben diese Wiedergeburt. Was sonst auch? Was soll dem ZEIT-Chef das Klima, der Afghane oder ein profaner G-8-Gipfel, ihm ist seine Zeitung genug und den Lesern ein Wohlgefallen. Und weil der Doppeltitel so schön war - einmal der zur Ankündigung der Beilage und dann die zweite, eigentliche Titelseite - wird das Kunststück mit dem Magazin wiederholt: Erst ein blonder uns vage bekannter Mann auf dem ersten Cover, dann ein zweiter, ohne blonde Perücke, aber mit Brille, und er ist es: Günter Wallraff, der Under-Cover-Agent wird enthüllt, diesmal als zweifacher Coverboy des ZEIT-Magazins.

Wallraff, das ist die Botschaft, ist wieder da, genau wie unser Magazin und der große Enthüller der siebziger Jahre, so soll es ankommen. Es knüpft an Zeiten an, als die ZEIT noch kämpferisch war, noch wußte auf welcher Seite sie stand. Falls sie das wirklich je gewusst haben sollte, ist zur Beruhigung gleich ein Zweitaufmacher-Mann im Blättchen: Wie zur Versicherung blickt uns der Chef der deutschen Bank aus dem Blatt treuherzig an und legt die Hand auf sein Herz, jedenfalls auf die Stelle, an der Menschen Herzen haben. »Mannesmann wurde überwiegend politisch gesehen«, lässt uns der große schweizerische Enthüller wissen und »Bei Wirtschaftsführern ist ein menschlicher Ausrutscher lebensbegleitend.« Insgesamt ist das Interview nach der Methode »Jawoll-Mein-Wirtschaftsführer« gestrickt, scheinkritische Fragen geben Ackermann die Gelegenheit zur menschelnden Selbstdarstellung: «Sie wären also lieber ein kleiner Fisch im großen Teich als ein großer Fisch im kleinen Teich?« fragen die ZEIT-Autoren und sofort sind wir für erhöhte Fangquoten und Nachhilfe in Journalismus. Denn die Frage hätte heißen müssen: Warum stinkt ihre Geschäftspolitik schlimmer als ausgerutschter Kabeljau und warum verwenden wir in unserem Artikel nirgendwo das Wort Shareholder-Value?

Der Kolumnist Harald Martenstein gibt uns eine Ahnung, warum im Blatt niemand substantielle Fragen stellt: Weil die Redaktion äußerst selbstgenügsam ist. Martenstein zum Beispiel genügt es, eine ganze lange Spalte mit dem Nachdenken über die Länge, pardon, die Kürze seiner Kolumne zu füllen. Das ist natürlich der Gipfel der Intellektualität: Eine Kolumne ist eine Kolumne ist eine Kolumne. So viel Inhalt kann nur der erprobte ZEIT-Leser vertragen und auch der nur, wenn er schon sehr lange Abonnent ist. Damit der mögliche Nachwuchsleser nicht gleich überfordert wird, gibt es eine Seite weiter die deutsche Scheidungslandkarte zu bestaunen: Emden ist die Hauptstadt der Scheidungen und in Mecklenburg-Strelitz lassen sie sich überhaupt nicht scheiden! Jetzt wissen wir, ja, was wissen wir denn jetzt?

Ein Jonas Grünenberg liefert eine Love-Story ab, die auf dem Prinzip des Kurschattens beruht, aber extrem modernisiert wurde: Diesmal ist es der Wochendseminarschatten und der wird mit süßen kleinen Schmetterlingen illustriert weil der Autor während des von ihm beschriebenen Seminars mal den »Rausch des Lachens« erlebt hat. Der allerdings konnte einem bei Sätzen wie »Die drei Tage waren ein Gesamtkunstwerk, stimmig und rund« eher als hysterischer Anfall begegnen. Auch ein Artikel über einen der auszog sich Botox spritzen zu lassen, kam dem Grusel näher als dem Lesevergnügen. Erst der Ex-Kanzler Helmut Schmidt führt uns wieder auf den Boden, den er als Tatsache vermutet, wenn er zum G-8-Gipfel anmerkt: »Die Proteste sind verständlich, aber sie erleichtern das Geschäft nicht.« Aber lieber Schmidt, das sollen sie auch gar nicht, im Gegenteil.

Wer einen kennt, der zugibt die ZEIT zu lesen, der sollte sich die sehr ordentliche Wallraff-Story aus der Beilage ausleihen. Denn vom Klauen der zwei Pfund schweren ZEIT inklusive Magazin und ausgerechnet dabei erwischt zu werden, ist abzuraten. Intelligente Richter könnten auf einer Therapie bestehen.