In den letzten Tagen des deutschen Krieges gegen alle anderen rief der Wehrmachts-Kommandant in Paris, von Choltitz, die Bevölkerung auf: "Pariser verteidigt Euch gegen die Terroristen!". Der Aufruf galt der Bekämpfung der Resistance. Wenige Tage später übernahm der französische Widerstand die Stadt, der Krieg war, zumindest in Paris, für die Deutschen gelaufen. Wer wann für wen Terrorist ist, war immer schon Ergebnis einer Machtmomentaufnahme. Doch noch nie ist das Wort von der terroristischen Gefahr so weltumspannend zur dreisten Lüge benutzt worden wie in diesen Tagen, in denen die USA ihre Truppen im Irak um weitere 20 000 Mann verstärken, "im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus", wie uns Herr Bush in seiner Rede an die Nation erklärt. Und wer die US-Oppositionsführerin, Nancy Pelosi, hört, die nicht die US-Aggression beklagt, sondern die schlechte Ausrüstung der Truppen im Irak und deren schlechte Strategen, der darf seine Hoffnungen nicht auf einen Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten richten.

Auch wenn die Bush-Rede nicht gerade von deutschem Beifall begleitet worden ist, erhebt sich doch kein Sturm der Entrüstung in den Reihen von Regierung und Medien. Obwohl es Gründe genug gäbe: Die USA stehen gegen jedes Völkerrecht im Irak, ihre Vorwände zur Aggression habet sich allesamt als verlogene Propaganda herausgestellt, das Begleitprogramm des Krieges besteht in und außerhalb der USA in der Demontage von Recht und Gesetz, das Folterzentrum in Guantanamo existiert, zeitgleich zum Termin der Bush-Rede, seit fünf Jahren. Statt der Empörung liefert uns das, was als die deutsche Öffentlichkeit bezeichnet wird, die übliche Kompetenz-Scharade: Ob die Truppen-Verstärkung denn den Krieg wirklich verkürzen, ob Bush das alles politisch überlebt und ob die Welt wie sie ist denn so sei oder ganz anders. Es ist das Vasallen-Syndrom, eine schwere Krankheit, die auf Dauer zu politischer Blödheit, moralischer Blindheit und zum Erbrechen von Ergebenheitsaddressen führt, die unser Land infiziert hat.

Immer noch kommen wundervolle Filme aus den USA. Danke Hollywod, danke George Clooney. Mit Philip Roth und anderen verfügt das große Land über Schriftsteller - geprägt von tiefem Humanismus - die internationale Resonanz auslösen. Wer einen "Mac" benutzt, darf mit einem guten Stück USA rechnen: Eine freundliche Benutzeroberfläche reagiert auf schnelle Prozessoren und ist Ergebnis eines glänzenden Betriebssystems. "Google" kommt aus den USA, das ganze, die Welt bewegende Netz wurde dort erfunden und, aus dem militärischen, in den privaten Dienst überführt. Wer e-mails sendet, der schreibt, gleich in welcher Sprache, amerikanisch. Es gibt gute Gründe die USA gut zu finden. Die letzte verbliebene Supermacht ist tief in unserer Kultur verankert und nicht auf McDonalds zu reduzieren.

Der bedeutendste Terror-Komplex der Welt ist das US-amerikanische Gefängnis-System. Mehr als zwei Millionen Bürger sitzen hinter Gittern, proportional zur Gesamtbevölkerung deutlich mehr als in China oder Russland. Die Mehrheit der Inhaftierten sind Farbige, Gefangenenarbeit zu Hungerlöhnen ist in den Gefängnissen ebenso an der Tagesordnung wie Folter, Erniedrigung und permanente politische Unterdrückung. In den Städten der USA herrscht ein unerklärter Krieg der Reichen gegen die Armen, die endgültigen Verlierer sitzen hinter Gittern, 70 Prozent zum zweiten mal und damit, der Justizpraxis entsprechend, nicht selten lebenslänglich. Erhebliche Teile der Gefängnis-Industrie sind privatisiert: Die C.C.A. (Correction Corporation of America) beispielsweise, größter privater Betreiber von Gefängnissen in den USA, steigerte den Wert ihrer Aktien innerhalb von 10 Jahren von 50 Millionen auf 3,5 Milliarden. Die privaten Knäste werden als Profit-Center betrieben, denn pro Häftling wird ein staatlich garantierter Betrag pro Tag bezahlt und so empfehlen Börsen-Fachleute die Aktien der C.C.A. mit dem Spruch, die Firma gleiche "einem Hotel, das immer zu 100 Prozent belegt (...) und bis zum Ende des Jahrhunderts ausgebucht ist".

"Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika verbindet eine vitale Freundschaft", so steht es auf den Netzseiten des Auswärtigen Amtes und die Gründe werden weiter unten geliefert: Die deutschen Exporte in die USA haben die 60-Milliarden-Grenze weit überschritten, die amerikanischen Direktinvestitionen in Deutschland liegen bei 90 Milliarden Euro, die deutschen Direktinvestitionen in den USA erreichen um 140 Milliarden Euro. Die USA sind die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt, rund ein Fünftel des jährlichen Welteinkommens werden dort erwirtschaftet. Deutschland liefert vorzugsweise Kraftfahrzeuge in die USA, Nobelmarken wie Mercedes, BMW oder Audi, Autos mit großem Hubraum und erheblichem Spritverbrauch liegen an der Spitze des Importes.

Auch deshalb sind die USA Spitzenreiter des weltweiten Ölkonsums, jedes Jahr steigt er weiter. Denn in den Energie-Spartechniken liegen die USA eher am Ende der Standards entwickelter Staaten: Marode Raffinerien, lecke Pipelines und ein populistischer Benzinpreis runden das Bild ab. So bleibt es nicht aus, dass die USA auch auf anderem Gebiet Rekordinhaber sind: Mehr als ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Vereinigten Staaten, sie gelten als der höchste Pro-Kopf-Verschwender von Energie und leisten sich die höchste Pro-Kopfrate an Treibhausgasen. Da die Ölförderung der USA zurück geht, sind die Öl-Importe auf 65 Prozent gestiegen. Offenkundig haben wir "eine vitale Freundschaft" mit dem grössten Klimaverbrecher der Erde.

Hatte man je gehört, dass Mexiko in den letzten Jahren versucht hat die USA zu überfallen? Bereitet Kanada einen Aggressionskrieg vor, droht die kubanische Flotte den USA mit Invasion? All diese Fragen sind zu verneinen. Auch die Sowjetunion, einst potentieller militärischer Widerpart der USA ist verschwunden. Und doch nehmen wir wie selbstverständlich hin, dass die Streitkräfte der USA die mächtigste, modernste und teuerste Armee der Welt sind. Die Militärausgaben der USA entsprechen etwa der Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben und wer sich die rund 700 Stützpunkte der US-Armee in mehr als 130 Ländern anschaut, der wird eine interessante geopolitische Besonderheit feststellen: Immer dort wo Öl gefördert, transportiert oder in größeren Mengen gehandelt wird, gibt es eine besonders hohe amerikanische Truppenkonzentration. Wer das für Zufall hält, muss zum Arzt, wer das für normal hält, muss auch zum Arzt, und wer das als notwendig für eine gerechte Weltordnung hält, dem ist nicht mehr zu helfen.

"Deutschland ist bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ein enger Verbündeter der USA" schreibt das deutsche Auswärtige Amt auf seine Website und beschwört die "vitale Freundschaft" der beiden Länder in ebenso hohen wie falschen Tönen. Das offizielle Deutschland, so müsste es ehrlicherweise heißen, versteht sich als Trittbrettfahrer des amerikanischen Imperialismus. Diesem Deutschland ist es völlig egal, wie viele Amerikaner Gefangene im eigenen Land und wie viele Völker Gefangene der Amerikaner sind. Das Deutschland der Merkels und Becks braucht die in den USA erfundene Islamophobie als Bestandteil einer Regierungssystematik, die am Interesse der Wenigen zuungunsten der Vielen orientiert ist.

Natürlich können auch die neuen amerikanisch Soldaten im Irak die Lage nicht letztlich wenden. Denn die Supermacht ist krank. Sie krankt an Ölgier, Selbstüberschätzung und dem rapiden Abbau demokratischer Rechte. Wer mit ihr kopuliert, steckt sich an. Das Vasallen-Syndrom führt auf Dauer zum Tod der Demokratie.

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