Weil ja "alle Staatsgewalt vom Volke" (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschlans) ausgeht und das Volk, zwischen den Wahlterminen, durch den Bundestag vertreten wird, sollte man annehmen, dass unser Parlament über Politik und Geschick der deutschen Bevölkerung bestimmt. Aber wer nicht "Phoenix" sieht, und wer tut das schon, der weiß gar nicht, was im Parlament geschieht. Längst hat sich das Land von der parlamentarischen zur TV-Republik gewandelt. Die Kurzfomeln der Medien bestimmen den politischen Diskurs, nicht die langen Reden der Abgeordneten.

Ein Blick in das TV-Programm der laufenden Woche ist überzeugend: Der populäre, quotenträchtige TV-Samstag wird natürlich nicht mit direkter Politik belastet, aber mit "PISA - der Ländertest" nimmt sich eine "ARD"-Spielshow eines der wichtigsten Politikfelder, der Bildung, an. Sonntagabend dürfen die Herren Fischer (grün) und Gerhard (gelb) schon mal das Fell des nicht erlegten Bären verteilen: Eine von den beiden, so meint Sabine Christiansen, die Wahlen vorweg nehmend, wird ja wohl Außenminister werden. Das "ZDF" schiebt am gleichen Abend ein Spezial zu "Die FDP und ihr Wahlprogramm" nach. Montag dürfen wir auf "ARD" den Kandidaten Schröder, Merkel, Gysi, Fischer, Westerwelle und Stoiber lauschen, das "ZDF" berichtet von den zentralen Wahlkampfveranstaltungen der Parteien und der "MDR" lässt uns an einem Polit-Talk teilnehmen. Dienstag widmet "arte" den deutschen Wahlen einen Themenabend, das "ZDF" sendet ein Wahlforum, der "WDR" bringt seine Serie "Stimmenfänger", der "SWR" zeigt "Die Wahlkampfreportage" und der bayerische Rundfunk ein Portrait des Gerhard Schröder. So geht es dann die ganze liebe Woche lang von "Wahl-Check" über "Auf Stimmenfang" und den Talk bei Kerner, bis zum Freitag, an dem die "ARD" noch einmal "Live von den Abschlusskundgebungen der Parteien" berichtet. Tatsächlich geht alle Meinungsgewalt vom Fernsehen aus und das Parlament hat Ausgang.

Die Vermittlung politiischer Positionen über TV-Sender und andere Medien müsste nicht notwendig das Parlament beschädigen. Aber in Zeiten, in denen sich die beiden bisher bestimmenden politischen Blöcke programmatisch kaum noch unterscheiden, in denen SPD-CDU-Grüne-FDP zu einer großen Blockpartei zusammenwachsen, sind die Medien in eine arge Verlegenheit geraten. Denn Einschaltquote verlangt Spannung und spannende politische Berichterstattung verlangt Unterschiede, Konkurrenz und Kampf zwischen den Parteien. Da dem Wähler es ziemlich egal ist, ob ihm die SPD oder die CDU die Rente kürzt, brauchen die Medien das Kirchhof-Schattenboxen oder die Mehrwertsteuer-Spiegelfechterei. Denn die Anhebung dieser Steuer, zum Beispiel, hatte schon die SPD vor Monaten versucht durchzusetzen, sie scheiterte damals am Widerstand der CDU im Bundesrat. Statt diese und die vielen anderen Gemeinsamkeiten zu hinterfragen, verlangen die Quoten und Auflagezahlen gebieterisch, den Scheinunterschied zwischen den Blöcken zu gigantischen Meinungsverschiedenheiten aufzublasen. Würden diese Kulissen nicht den Blick auf die Wirklichkeit verstellen, wären Fragen nach der seltsamen Uniformität der ökonomische Rezepte dringend angebracht. Solche Fragen bringt der besser verdienende Redakteur nicht über die Lippen, da betet er lieber "die Wirtschaft" gesund um ja nicht selber krank zu werden.

Dabei gäbe es spannenden Stoff zur echten Polarisierung. Zum einen wäre da die "Linkspartei", die grundsätzlich andere Konzepte anbietet als die Blockparteien. Aber über die kann der Mainstreamjournalismus natürlich nicht schreiben oder reden. Denn die Linke ist nach Auffassung des großen Manipu nicht ernst zu nehmen. Statt dessen nimmt das herrschende Meinungskartell den Slogan "Wachstum schafft Arbeit" ernst, obwohl zum Beispiel die deutsche Exportwirtschaft ohne Ende boomt und trotzdem fleißig entlässt. Zum anderen gibt es in der Außenpolitik von SPD und CDU einen wirklichen Unterschied. Während die Merkels in unverbrüchlicher atlantischer Treue verharren, setzen die Schröders im "Great Game", dem globalen Kampf um Rohstoffe, auf eine vorsichtige Annäherung an Russland und China, um einen Spielkraum füpr eigene Positionen zu gewinnen. Da dieser Dissens kaum thematisiert wird, muss man davon ausgehen, dass die Mehrheitsmedien Frau Merkel und deren Nähe zu den USA bereits als Gewinnerin sehen und lieber nichts riskieren. Wer das nicht glaubt, der sollte sich an den Irak-Krieg erinnern: Erst als Demonstrationen und Meinungsumfragen klar und deutlich die deutsche Distanz zum amerikanischen Abenteuer belegten, mochten die Medien sich mit der Kriegs-Abstinenz von Schröder abfinden.

Eine Mediendemokratie könnte also durchaus zur Politisierung und nötigen Differenzierung beitragen. Aber wer kein Ziel hat, wie die Blockparteien und die mit ihr verbündeten Medien, der muss auch nichts über den Weg wissen. So bleibt der Versuch, den Bundstag durch die Medien zu ersetzen, im inhaltlichen Nichts stecken.

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