Nahezu jeden Samstag prügeln sich junge Männer untereinander und mit der Polizei. Eine Nachricht ist das nur noch dann, wenn jemand während dieses wöchentlichen Rituals stirbt. Der Einsatz der Polizei kostet jedes mal Millionen Euro, Verletzte aller Art sind obligatorisch. Der Vorwand für diese Prügeleien heißt Fußballspiel und es prügeln sich die einen mit den anderen wegen einer Schiedsrichterentscheidung zum Beispiel oder weil die Weiß-Blauen ohnehin einer feindlichen Rasse angehören oder die Schwarz-Gelben schlecht riechen.
Eine ganz andere Nachrichtenqualität gewinnt die Randale, wenn sie Teil von politischer Veranstaltung ist. Nichts ist dämonischer als der Schwarze Block, niemad begehrter als die Damen und Herren von der Autonomie. Gierig suchen die TV-Kameras nach den meist jungen, schwarz gewandeten Gestalten. Und sie wären enttäuscht, wenn die nicht ein paar Steine in der Hand hätten. Geht es doch darum, die politische Botschaft der Demonstration X oder der Kundgebung Y in eine andere Nachricht umzuwandeln: Wer gegen die Regierung opponiert, ist mit der Gewalt liiert, ist ein Umstürzler.
Alle Gewalt geht vom Volke aus, sagt das Grundgesetz. Das Gewaltmonopol allerdings, die legale Ausübung von Gewalt, liegt beim Staat und seinen Organen. Der darf, geht es nach dem Innenminister, meinem Computer Gewalt antun, ihn penetrieren. Der darf seine Nase in meine Unterwäsche stecken. Und sein Ohr in mein Telefon. Es reicht ihm aus, wenn er mich für verdächtig hält. Weder zu solchen noch zu anderen Maßnahmen hat die Regierung die Zustimmung der Bevölkerung. Tatsächlich gab es schon lange keine deutsche Regierung mehr, die sich auf so wenig Zustimmung stützen konnte. Die letzte mit ähnlich geringer Resonanz war die Regierung Honecker.
Wenn jeden Tag Tausende Kinder im Ergebnis ungleicher Vermögensverteilung sterben, dann wird denen Gewalt angetan. Wenn, wegen der gierigen Aneignung und Verbrennung von Rohstoffen, demnächst eine gewaltige Flut die Niederlande verschwinden lässt, dann werden die Holländer und andere gewaltsam aus ihren Ländern vertrieben. In diesen Gegenden fliegt zwar kein Stein, aber es bleibt auch keiner auf dem anderen. Wenn die staatliche Gewalt Mauern um ihre Tagungsorte errichtet, sich absurde Bannmeilen ausdenkt, um das Volk auszusperren, dann wird die beanspruchte Legalität immer fadenscheiniger: Wem gehört das Land, dem Volk oder den acht Regierungschefs, die sich in Heiligendamm treffen?
Wer in den letzten Jahren demonstriert hat, kennt das Gesicht der Gewalt. Auch wenn nicht ein einziger Autonomer in der Nähe ist, werden die Demonstranten von paramilitärischer Polizei umstellt, mischt sich der zivile Staatsschutz unter die Marschierenden. Wer es wagt sich unangemeldet zu versammeln, wird gerne eingekesselt: Stunde um Stunde ohne Toilette wurden und werden Studenten ohne Haftbefehl festgehalten. Gerne hält man auch zufällig am Ort befindliche Bürger fest: Selber schuld, was laufen sie auch gerade dort herum. Dass man Menschen zwingt, sich in die Hose zu machen, ist im offiziellen Katalog von Gewaltdelikten nicht vorgesehen.
Auch und gerade in Rostock ging, anders als die gewöhnliche Berichterstattung vermuten lässt, der erste Schritt zur Gewalt von der Polizei aus. Die Phoenix-TV-Leute, die so ziemlich alles aufzeichneten, hatten die Bilder: Ein notorischer Berliner Polizeiführer ließ seine grünen Jungs Demonstranten schubsen. Damit fing es an, der Rest ist bekannt. Freude breitete sich in den Nachrichtenredaktionen aus. Die langweiligen friedlichen Aktionen bildeten nur noch die Folie für den beliebten Schwarzen Block, so schön düster, so schön bürgerschrecklich. Das Gewalt-Marketing hatte die Zielgruppe erreicht, das deutsche Wohnzimmer fühlte sich bestätigt. Ein devoter Demonstrations-Leiter entschuldigte sich. Eine Entschuldigung der Gipfel-Teilnehmer für das Elend, dass sie weltweit anrichten, ist nicht zu erwarten.