Wir wissen alle, was uns mit einer verfassten EU gedroht hätte: Englisches Essen, lettisches Wetter, spanisches Umweltbewusstsein, holländische Tomaten und deutscher Fussball für alle Europäer. Wer kann das wollen? Nur diese düstere, gesichtslose Eurokratie, diese Zwerge in Brüssel, die in ihren Tiefbunkern hocken und sich immer wieder neue Gesetze ausdenken. Spätestens nach einer Ratifizierung der EU-Verfassung durch alle Staaten müssten die Engländer, Dänen und Schweden auch den Euro übernehmen, die Währungen in Europa wären komplett uniform und nicht einmal die Briten bekämen mehr Sonderrabatte auf ihre EU-Mitgliedsbeiträge. Noch schlimmer: Beitrittsverhandlungen mit der Türkei könnten in zehn Jahren erfolgreich abgeschlossen sein und der Islam käme über uns.

Am härtesten hätte uns natürlich die Abwehr von Globalisierungsfolgen getroffen. Mit einer beschlossenen Verfassung wäre der Prozess der Annäherung von Steuer- und Sozialsystemen in Gang gekommen, Steuerflucht und Firmenumsiedlungen zur Vermeidung von Lohnnebenkosten wären erschwert worden, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsländer hätte auf Dauer harmonisiert werden müssen. Die grauenhafte Vorstellung, mit der EU eine weitere Supermacht neben den USA zu etablieren und damit die politische Weltperspektive ein wenig offener zu gestalten, konnte gerade noch verhindert werden.

Dass alles haben uns die Franzosen und Holländer erspart. Danke. Aber nicht nur unsere Nachbarn haben tapfer am Erhalt eines Auslaufmodells, des Nationalstaates in all seiner Begrenztheit gearbeitet. Unser Dank gilt insbesondere all jenen Politikern, die den Europäern ein 500-Seiten-Werk weitgehend unerklärt auf den Kopf gehauen haben. Die solch poetischen Sätzen wie "Für die Abgrenzung der Zuständigkeit der Union gilt der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung." in die Verfassung formulierten. Deren europäische Ideen sich in Konferenzen und Posten erschöpften. Da sagt sich doch der EU-Bürger, wenn ich schon im eigenen Land kaum was zu sagen habe, warum soll ich dann im größeren, europäischen Rahmen noch weniger entscheiden dürfen. Und wählt die EU ab, wenn er denn darf.

Bleibt noch die unbequeme Wirtschaftsunion, in der wir Deutschen schutzlos dem Treiben polnischer Spargelstecher und portugiesischer Schuhputzer ausgeliefert sind. Auf weitere Hilfe durch Holländer und Franzosen kann man kaum rechnen. Aber wir haben ja noch Angela Merkel. Aus ihrer Umgebung dringen Nachrichten, die hoffnungsfroh stimmen. Die ehemalige FDJ-Sekretärin, als Internationalistin in der DDR geschult, weist den Ausweg: Deutschland wird ein Bundesstaat der USA! Angela, die sich schon in Vorbereitung des Irak-Krieges als Freiwillige gemeldet hatte, wird uns aus dem europäischen Zwangssaat in die offene, liberale Föderation der Vereinigten Staaten führen. Schwupps wären wir auf der Seite der Sieger. Auch die besonders ärgerliche deutsche Verantwortung für Krieg und Genozid könnten wir hinter uns lassen, wir wären ein westlicher Alliierter und fein raus.

Daran, dass Frau Merkel gewählt wird, besteht ja kaum ein Zweifel. Zum einen liest und hört man es überall. Die deutsche Medienlandschaft, gestern noch mäkelig bis in die Haarspitzen der Merkel, weiß sich heute vor Devotion kaum zu lassen. Zum anderen haben Schröder und Fischer ihr Bestes gegeben, um die Aussen- und Wirtschaftspolitk-Konzepte der CDU hoffähig zu machen: Hier ein kleiner, völkerrechtswidriger Krieg, dort ein paar Reförmchen zu Ungunsten der abhängig Beschäftigten. Was kann die Kandidatin dazu schon sagen, außer: Ich nehme die Wahl an, Herr Präsident.


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