Hat die CDU-CSU, die gern von anderen Entschuldigungen einfordert, eigentlich schon beim chilenischen Volk Abbitte geleistet? Für Franz Josef Strauß etwa, der den 73er Putsch in Chile, mit seiner anschließenden Diktatur und ihren Folterorgien als „gewaltigen Schlag gegen den internationalen Kommunismus“ lobte und behauptete, es sei „Unsinn, davon zu reden, dass in Chile gemordet und gefoltert würde". Oder für den CDU-Bundestagsabgeordneten Heck, der das Folterstadion in Santiago de Chile mit seinen 5.000 Häftlingen besichtigte und befand: "Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Frühlingswetter recht angenehm". Bisher blieb jede Entschuldigung aus. In diesen Tagen, in denen hunderttausende Chilenen auf den Straßen Gerechtigkeit fordern, wird die Frage wieder virulent. Denn die Ursachen der Proteste liegen in der Zeit der Diktatur. In den Pinochet-Tagen, als das Regime in enger Kooperation mit den USA, mit einer radikalen Steuerreform die Mehrheit der Chilenen in die Armut trieb und eine Minderheit noch reicher werden ließ als sie es ohnehin schon war. In dieser Zeit machte der Staat auch die Schulen für die Kinder der Ärmeren schlechter, damit die Kinder der Besserverdienenden nur ja in bessere Schulen gehen konnten. Diese radikalen Einschnitte in das Leben der Chilenen dauern bis heute an. Sie sind es, die Studenten und deren Eltern, Bergarbeiter und auch die Mapuche-Indianer auf die Barrikaden treiben.

Als sich nach dem erfolgreichen Putsch - mit Hilfe der CIA versteht sich - die Diktatur in Chile etablierte, wurde das Land umgehend zum Experimentierfeld des Neoliberalismus. Immer schön längs der Lehren der Herren Milton Friedman und August von Hayek wurde der Staat umgebaut: Der Kündigungsschutz wurde ebenso abgeschafft wie das Streikrecht, bisher staatliche Betriebe wurden kräftig privatisiert, ein wesentlicher Teil der staatlichen Sozialversicherung ging in Liquidation, Arbeitgeberbeteiligung und Solidarausgleich wurden weitgehend abgeschafft, und natürlich verschwand die Vermögens- und die Kapitalertragsteuer zugunsten der allgemeinen Mehrwertsteuer. Wem das bekannt vorkommt, der weiß spätestens jetzt, dass in Chile jenes amerikanische Ökonomie-Labor eingerichtet wurde, dessen Rezepte dann nach und nach in England, den USA und natürlich auch in Deutschland wirksam geworden sind. Das dieses Muster des neoliberalen Umbaus zuerst in einer brutalen Diktatur gelang, stört die Nachahmer bis heute nicht.

In allen Teilen Chiles hat sich der Protest formiert: Von den Januar-Streiks gegen die Erhöhung der Gaspreise im Süden Chiles, über den seit Wochen andauernden Ausstand in der Kupferindustrie, bis zu den Aktionen der Studenten in Santiago de Chile. Die Antwort der Regierung, an deren Spitze der Milliardär Piñera steht, auf die Massenbewegung ist auch aus anderen Ländern bekannt: Hunderte Studenten und minderjährige Schüler wurden festgenommen. Die Mapuche-Indianer, die sich mit dem Protest der Studenten solidarisch erklären, riskieren besonders viel. Denn sie fallen, weil sie ihr angestammtes Land zurück haben wollen, unter das chilenische Antiterror-Gesetz, das noch aus der Zeit der Diktatur stammt. Die Verfahren werden vor Militärgerichten geführt, das Gesetz ermöglicht Untersuchungshaft bis zu zwei Jahren und natürlich sind die Strafen drakonisch. Denn die Mapuche begehen das schlimmste Verbrechen, das im Kapitalismus möglich ist, sie kämpfen um ihr Land, das sich längst große Konzerne angeeignet haben. Von der deutschen Regierung, die sonst gern über Menschenrechte redet, bisher kein Wort.

Ob bei den jüngsten Ereignissen in England oder bei den Auseinandersetzungen in Chile: Die Medien sind geradezu entsetzt über die "Gewaltbereitschaft". Der tantige Berliner "Tagesspiegel" merkt beleidigt an: "Nicht nur in London brennt es, auch in Santiago de Chile gibt es Trümmer, Vermummte und Verletzte. Dabei wollten die Menschen eigentlich für bessere Bildung demonstrieren." Die "Welt" spricht von "Exzessen", der Stern zitiert zustimmend den britischen Premier, der die Armee gegen das eigene Volk einsetzen will, und natürlich fällt ihm die Parallele zu Libyen nicht auf, und das Wort "Randale" bestimmt die deutschen Nachrichten. Deshalb weiß auch "ntv", genau, dass die "Chilenen randalieren". Es sind natürlich immer "Ausschreitungen", wenn die Leute auf die Straße gehen und dabei etwas zu Bruch geht. Dass bei denen, die sich gegen ihr schlechtes Leben zu Wehr setzen, längst vorher etwas zu Bruch gegangen ist: Ihre Zukunft, ihre Hoffnung, ihr Leben, das interessiert nicht. Auf eine Entschuldigung der CDU werden die Chilenen lange warten können. Das muss man verstehen: Die CDU-geführte Regierung ist zur Zeit schwer damit beschäftigt, die Folgen des Neoliberalismus im Bankensektor zu sanieren. Da bleibt für demokratische Regungen nicht viel Zeit.