Ein Einparteiensystem kündigt der venezolanische Präsident Hugo Chavez an, Gesetze sollen demnächst per Dekret erlassen werden, der Präsident immer und immer wieder gewählt und die begonnene Verstaatlichung weiter betrieben werden. Ziemlich pauschal beruft er sich auf Marx, Lenin und Trotzki. - Einparteiensystem und Totalverstaatlichung: Dieses bekannte Modell, im lange Zeit existierenden Sozialismus der Kern von Politik und Ökonomie, ist nicht nur gescheitert, es hat die sozialistische Theorie gründlich diskreditiert und erschwert bis heute eine offene Debatte über alternative Formen der Ökonomie. Allerdings hat die Politik des von den Neoliberalen dominierten "Internationalen Währungsfonds" (IWF) und der Weltbank, die ganze Nationalökonomien, wie die Argentiniens, in den Bankrott getrieben hat, einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der gewöhnliche Kapitalismus nicht mehr als die allein selig machende Form des Wirtschaftens begriffen wird: Neben Venezuela sind es vor allem Bolivien, Ecuador und Nicaragua, die sich vom gescheiterten neoliberalen Experiment abwenden.

Es waren die Hungerrevolten im Venezuela des Jahres 1989, in denen der spontane Protest eines verelendeten Teils der Bevölkerung gegen die Auswirkung der IWF-Politik zum Ausdruck kam und letztlich Chavez Erfolg wurzelt. Und es war und ist der Ölpreis, der Auf- und Abstieg des venezolanischen Wohlstandes diktiert. Der jetzige Ölpreis ist es, der es dem Präsidenten ermöglicht Lebensmittel zu subventionierten Preisen an seine Anhänger, im wesentlichen der ärmere Teil der Bevölkerung, zu verteilen und Programme zur Alphabetisierung und zu Verbesserung des Gesundheitswesens einzuleiten. Wenn die venezolanische Opposition sich heute über diese Verteilungspolitik beschwert, dann hat sie ein kurzes Gedächtnis. Der nationale Ölreichtum war schon einmal, in der ersten Amtszeit des Präsidenten Pérez (1974 - 1979), das Mittel zur leichten Egalisierung krasser sozialer Widersprüche in Venezuela: Er wurde verteilt, zumeist an die alten Eliten, und kaum zur Verbesserung der Infrastruktur des Landes eingesetzt, Auch deshalb gab es, nach dem Verfall des Ölpreises in den achtziger Jahren, keine Reserven, von denen das Land hätte zehren können.

Die Regierung Chavez handelt bisher so, als würde der Ölpreis ewig steigen: Von größeren Investitionen keine Spur, statt dessen ein subventionierter Benzinpreis, der umgerechnet bei etwa zwei Eurocent pro Liter liegt. Während die Subvention von Lebensmitteln den Ärmsten der Armen zugute kommt, fördert das Billigbenzin nichts anderes, als den Import von Luxusautomobilen für die Mittel- und die Oberschicht des Landes. Nahrungsmittel verteuern sich ständig (70 Prozent müssen importiert werden), der Agrarsektor ist trotz der Verteilung stillgelegter Flächen nicht wesentlich ausgeweitet, die reale Arbeitslosigkeit (ohne Berücksichtigung des "informellen" Sektors, der Schwarzarbeit) liegt bei etwa 45 Prozent. Eine Arbeitslosenzahl, die natürlich noch unter den alten Eliten entstanden ist, die aber jemand, der vom Sozialismus träumt, ein wenig hätte senken dürfen. Die Erschließung neuer Gas- und Ölvorkommen im Orinokogebiet zeichnen sich bisher nicht ab, ein Aus- und Aufbau der petrochemischen Industrie, die das heimische Öl veredeln könnte und neben neuen Arbeitsplätzen eine Rückversicherung für fallende Ölpreise bedeuten würde, ist nicht zu sehen.

Es war für alle Bush-Gegner, und welcher vernünftige Mensch ist das nicht, natürlich ein Vergnügen venezolanische Tanklastwagen in der New Yorker Bronx zu sehen, die billiges Heizöl an Bedürftige austeilten. Aber sobald der Verstand die Schadenfreude - denn natürlich wurde Bush mit dieser Geste herausgefordert und beleidigt - zügeln konnte, durfte man sich an das bis heute strategisch ungelöste Armenproblem Venezuelas erinnern und die Geste erschien dann als das was sie war: Bestenfalls Donquichotterie, schlimmstenfalls Hanswursterei. Durchaus sinnvoll ist der Aufbau eines neuen TV-Senders, Telesur, ein Kanal, der von Venezuela, Argentinien, Kuba und Uruguay betrieben wird und erklärtermassen gegen den Kommunikationsimperialismus von CNN gerichtet ist. Wer über das Informationsmonopol des US-Amerikanischen Senders weiß und dessen sklavische Weitergabe von Regierungspositionen im vorgeblichen Kampf gegen den Terror erinnert, der kann den neuen Sender nur begrüßen.

Chavez gilt den sich selbst als seriös bezeichnenden Medien als Linkspopulist oder auch Linksnationalist. Gemessen an den bisher von den USA unterstützten Rechtsregierungen wie zum Beispiel dem Chile des Augusto Pinochet oder den diversen Juntas in Argentinien ist Chavez bisher ein Muster an Legalismus: Zwei Wahlen, deren Korrektheit durch die Organisation Amerikanischer Staaten und das Carter Center bestätigt wurden, keine Massenermordungen, keine Folter, kein Rachekrieg gegen die Opposition, nur das auch früher in Venezuela übliche Auswechseln des Personals. Und wer sich über die aktuelle, beträchtliche Korruption beklagt, der darf sich an den früheren Präsidenten Pérez erinnern, der vom obersten Gerichtshof wegen Veruntreuung und Korruption abgesetzt werden musste. Allerdings gibt es auf den Straßen von Caracas eine CD zu kaufen, die fast 14 Millionen Namen und Adressen von Leuten enthält, die versucht haben Chavez per Referendum aus dem Amt zu drängen: Wer dort zu finden ist, der ist zumindest für Jobs, die von der Regierung direkt oder indirekt vergeben werden, erledigt.

Verstaatlichungen erscheinen in einer Zeit, in der nur noch die Privatisierung als Heil- und Treibmittel des wirtschaftlichen Wachstums angepriesen wird, als Anachronismus. Gerne vergessen die venezolanischen Kritiker des Präsidenten, dass die heimische Erdölindustrie auch früher schon im staatlichen Besitz war und erst unter dem Einfluss des IWF privatisiert wurde. Und die internationalen Schamanen des Privateigentums übersehen penetrant die extrem steigenden Wachstumsraten Chinas, die mit einem erheblichen staatlichen Sektor erreicht werden. Es gibt also keinen seriösen volkswirtschaftlichen Grund, staatliche Betriebe nicht als Instrument zur Steuerung der Wirtschaftspolitik einzusetzen. Verfassungen wie die der Bundesrepublik zum Beispiel, sehen solche vergessenen Möglichkeiten durchaus vor. Die Verfassung von Venezuela sieht allerdings neben dem staatlichen Sektor ausdrücklich den Respekt vor dem Privateigentum vor. Trotzdem wäre es legitim, wenn eine Mehrheit in der Bevölkerung eine Änderung der Verfassung wünschen würde, eine komplette Verstaatlichung anzusteuern. Und wer sich in diesem Zusammenhang darüber beschwert, dass Chavez großzügige Wahlgeschenke verteilt, um Mehrheiten herzustellen, der hat bürgerliche Demokratie nicht verstanden: Es gibt Städte in Deutschland, da kann man nicht Schul-Hausmeister werden ohne das jeweils aktuelle Parteibuch zu haben, geschweige denn Intendant eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders. Von den USA soll im Zusammenhang mit demokratischen Wahlen besser geschwiegen werden. Gefragt werden muss nach Umfang und Nützlichkeit von Verstaatlichungen und danach wer sie einleitet.

Schon die Frage nach dem "Wer" ist in Venezuela nur mit größten Bedenken zu beantworten: Chavez hat den iranischen Präsidenten jüngst als "Bruder" und "Revolutionär" bezeichnet. Hier steht er in der schlechten Tradition der USA, die zu gerne den Feind ihres Feindes als Freund betrachtet haben, gleich wie dämlich oder mörderisch der Freund gewesen sein mag. Denn dass ein wie auch immer Linker, und als solchen sieht sich Chavez wahrscheinlich, im Iran keinen öffentlichen Auftritt wagen dürfte ohne vor ein Religionsgericht zu geraten, das ist sicher. Spätestens mit seinem Achmadinedjad-Lob hat sich der Hans-Wurst-Vorwurf gegen Chavez bestätigt. Bliebe die Frage nach der Nützlichkeit. Das Sozialismus-Muster, das Chavez mit dem Namen Trotzki anpreist, ist verbunden mit der Militarisierung der sowjetischen Wirtschaft, mit Gefängnis-Fabriken und der völligen Liquidierung der Demokratie inner- und außerhalb der Betriebe. Das mag für eine kurze Zeit erstaunliche Wachstumszahlen herstellen. Die Kosten aber, präziser die Opfer, wiegen solche Zahlen nicht auf: Mit diesen Methoden wurde die Grundlage für das Gulag-System auf Kiel gelegt. Wer die Demokratie ausschaltet, schaltet eine wesentliche Ressource gesellschaftlicher Entwicklung aus: Nur aus der Vielfalt lässt sich Kreativität und Produktivität entwickeln. Das gilt mit Sicherheit auch für die Eigentumsformen.

Es war der Wunsch von Hugo Chavez Mutter, dass ihr Sohn Priester werden solle. Und wer den jüngst verkündeten Slogan des venezolanischen Präsidenten von "Sozialismus oder Tod" hört, der spürt die schlichte Religiosität, die hinter seinen Verstaatlichungsplänen steht. So wie die Religionen immer den Tod als höchsten dramatischen Faktor bemühen müssen, um ihre Glaubenssätze zu inszenieren, so braucht der Vulgärsozialismus dieses letzte Mittel, um seiner Propaganda theatralische Würze zu verleihen. Chavez glaubt an sich und seine Politik, von Wissen keine Spur. Zu solcher Sorte Sozialismus ist Leben ein prima Alternative. Eins allerdings muss, angesichts der wirklichen, terroristischen Bedrohung durch die Militärpolitik der USA der die Völker ausgesetzt sind, angemerkt werden: Völker dürfen, wenn sie es mit Mehrheit entscheiden, Dummheiten an sich selber anrichten, sofern sie nicht Minderheiten unterdrücken. Andere Völker, namentlich die USA, haben sich tunlichst um die Balken im eigenen Auge zu kümmern.

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