Es begann schon im Abflughafen, die deutschen Touristen, in Erwartung der türkischen Riviera, waren am Krieg nicht interessiert: Wieso Krieg, ich fahre doch in Urlaub. Oder: Man kann überall sterben, hier wie dort, wenn die Türken die Grenze zum Irak überschreiten, ist das nicht mein Problem. Nur ein Tag vor dem Beginn des "Golden Orange Film Festival" in Antalya hatte das türkische Parlament einen Militärschlag gegen die kurdischen Milizen genehmigt, die vom Boden des Irak, aus dem weitgehend von Bagdad unabhängigen kurdischen Gebiet, operieren. Auch die türkischen Geschäftsleute, vor dem Flug nach Istanbul, sahen den Krieg weit entfernt: Wenn, marschieren wir dort nur im Notfall ein. Oder: Krieg mit den Kurden haben wir seit Jahrzehnten, was macht es, wenn wir mal eben über die Grenze gehen. Die Amerikaner haben uns nichts zu sagen.
Die treuesten und sichersten Verbündeten der USA im Irak sind die Kurden. Immerhin kämpften sie an der Seite der USA gegen Saddam Hussein und wurden deshalb nach dem Krieg mit einer faktisch autonomen Region im Grenzgebiet zur Türkei belohnt. Selbst der irakische Staatspräsident, Dschalal Talabani, ist Kurde. Auch wenn das Amt eher repräsentativer Natur ist, kann an Talabani der geschlängelte Kurs der irakischen Kurden nachvollzogen werden: Er war noch in den sechziger Jahren Mitglied des Kabinetts von Saddam Hussein und hatte die begründete Hoffnung zum Vizepräsidenten aufzusteigen. Die Macht in der irakisch-kurdischen Region teilen sich die Clans der Talabani und der Barzani weitgehend. Doch trotz der Clanstruktur der Kurden existiert, seit dem Zerfall des osmanischen Reiches, der alte Traum eines großen, kurdischen Nationalstaates.
Tatsächlich wäre es ein großes Land unter kurdischer Flagge, wenn das erträumte Kurdistan Wirklichkeit werden würde. In der Türkei leben rund vierzehn Millionen, im Irak und im Iran je fünf, und immerhin noch mehr als eine Million Kurden wohnen in Syrien. In all diesen Staaten sind die Kurden eine unterdrückte Minderheit. In der Türkei war die kurdische Sprache lange verboten, Kurden siedelten mehrheitlich in den ärmsten Gebieten und ihr Kampf um Autonomie wurde einerseits von der türkischen Armee grausam unterdrückt, andererseits waren die bewaffneten Formationen der Kurden weder im Umgang mit den Türken noch mit den eigenen Leuten, wenn die sich nicht dem Kampf anschlossen, besonders zimperlich. Dass nicht wenige Kurden bei den letzten türkischen Wahlen ihre Stimme dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gaben, hat sowohl mit dessen pro-islamischer Politik, als auch mit einer sozialen Besserung in den kurdischen Gebieten zu tun.
Eine Änderung der Kurden-Unterdrückung kann zur Zeit nur in begrenzter Autonomie bestehen. Eine Veränderung bestehender Grenzen in den aufgeführten Gebieten käme dem Werfen einer Atombombe gleich. Auch wenn die Türkei, als einziges Land mit einer weitgehend islamische Bevölkerung, als Darling der USA gilt, ist die Gegenliebe seit dem Krieg gegen den Irak um vieles schwächer geworden. Sowohl die amerikanische Ignoranz gegenüber der staatlichen Souveränität der Türkei, als auch die Bevorzugung der irakischen Kurden durch das US-Regime im Irak, haben den NATO-Partner Türkei in seiner Bündnistreue schwankend gemacht. Unter den türkischen Bürgern sind die USA inzwischen so wenig populär wie in den meisten Ländern West-Europas: Auf Dauer schätzt niemand den Grossen Bruder.
Einer der beiden Eröffnungsfilme des Festivals, "Janjan" thematisierte den auf dem Land immer noch üblichen Brauthandel in Form einer Burleske. Frische Tochter gegen alten Grundbesitz, so hätte es laufen können, wenn sich die junge Schönheit nicht ausgerechnet in den Dorftrottel verliebt hätte. Auch der zweite Film, eine Arbeit von Ang Lee, hatte mit der Verkauf eines weiblichen Körpers an ein doppelt so altes Männchen zu tun. Vor dem Hintergrund der Besetzung Chinas durch die Japaner während des Zweiten Weltkrieges, versucht eine chinesische Widerstandsgruppe einen Kollaborateur zu erledigen. Sie setzt eine junge Frau auf den ständig von Leibwächtern umgebenen Mann an. Ein langer und wegen seiner Länge langweiliger Fick dominiert den Film und klärt den Zuschauer auf: So ist der Widerstand, er opfert Mädchen für seine politischen Interessen. Dass die junge Frau sich auch noch in den Kollaborateur verliebt, soll wohl den ganzen Unsinn gesellschaftlichen Engagements zeigen. Vom Krieg, von der schweren Schuld der Japaner und der schweren Lage der Chinesen wird zwar hie und da mal geredet, die Kamera aber bleibt an den nostalgischen Klamotten und ausgesucht schöner nackter Haut hängen.
Niemandem sonst als dem Chef des Festivals, Engin Yiğitgil, kamen die Worte Krieg und Frieden über die Lippen, als er zur Eröffnung über das Kino als Instrument der Massenkommunikation sprach. Auch wenn es keine direkte Anspielung auf den möglichen Konflikt an der türkisch-irakischen Grenze gab, war der Zusammenhang erkennbar und, in einem Land wie der Türkei, war sein Auftritt auch nicht ohne Mut. Konnte man im Publikum des prächtigen, nach Atatürk benannten Festival-Centers, ein Nachdenken spüren? Wenn ja, war davon auf dem abendlichen Empfang nichts zu registrieren. Das Festival tanzt. Was das Militär macht, war nicht zu erfahren.