Es knallt und zischt, es bombt und bebt, die Pyrotechniker haben viel zu tun und auch die Kostümbildner. Man darf sicher sein: Im neuen Eichinger-Film "Der Baader Meinhof Komplex" stimmt jede Krawatte, jede Waffenmarke, er bebildert eins zu eins die kurze, heftige Geschichte der Baader-Meinhof-Gruppe, jener sonderbaren, sich politisch verstehenden Formation, die Ende der sechziger bis in die siebziger Jahre die Medien beschäftigte und den Politkern ausreichend Vorwände lieferte, allerlei Gesetze zu verschärfen. Mehr als sechs Filme gibt es schon zum Thema, aber Bernd Eichinger hatte noch keinen gemacht. Und vielleicht musste nach dem "Untergang" nun der Abgang kommen, jener Abgesang auf die neue westdeutsche Linke, die mit dem Auftritt der Baaders und der Meinhofs eingeläutet wurde. Dass ein Terror-Film in Zeiten des "Kampfes gegen den Terror" auch Herrn Schäuble nicht unwillkommen ist, versteht sich.

Sie gehören zur ersten Reihe des deutschen Films: Martina Gedeck (Ulrike Meinhof), Moritz Bleibtreu (Andreas Baader), Bruno Ganz (Chef des Bundeskriminalamtes), selbst eine Nebenrolle ist noch mit Alexandra Maria Lara besetzt und natürlich agieren sie alle blendend und natürlich sind sie vergeudet. Denn wie jede ordentliche Terror-Gruppe lernen sie alle, Bruno Ganz ausgenommen, erstmal schießen und der Zuschauer darf ihnen staunend zusehen wenn sie ihre Kenntnisse bei Banküberfällen oder Befreiungsversuchen anwenden. Baader ist ein unangenehmer Macho, Ulrike Meinhof ist ein hochintelligentes Seelchen und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) ist ein Biest. Und immer wenn im Film über Politik geredet wird, zuckt der politische Mensch zusammen: So wenig Substanz! Da hätte Helmut Kohl auch Terrorist werden können.

Aber Helmut Kohl war auf der anderen Seite. Ihm war die brutale Gewalt des Vietnamkriegs schon recht, und auch Willy Brandt hatte nichts dagegen, dass die West-Berliner Studenten mal ordentlich Polizeiknüppel auf den Kopf bekamen. Dieser Vorspann zur RAF-Story, diese Schilderung, warum aus staatlicher Gewalt die private entstehen kann, dieses ohnmächtige Steinewerfen als ultima ratio, gehört zum besten, was der Film zu geben hat. Die folgenden Gewaltbilder, der Showdown RAF gegen Staat, kommt eher als eine deutsche Bonnie-und Clyde-Version daher, bedient schamlos die Schusslöchergucker und die Köperzuckungsfetischisten. Und nach dem ausreichend Crime abgefilmt worden war, kam noch der Sex: Blanke Busen im palästinensischen Ausbildungslager, das fördert die Kasse, das erschliesst ganz andere Kinokarten-Käuferschichten.

Es wird mit jedem weiteren RAF-Film müßiger, daran zu erinnern, dass die RAF, inclusive ihrer Sympathisanten, nur einen winzigen Teil der westdeutschen Linken ausmachte. Längst müssen Studenten dieser Tage annehmen, dass die Linke in den Siebzigern durchweg bewaffnet und gewalttätig war, dass der Kampf wesentlich in Westberlin stattfand und der Staat ernsthaft herausgefordert wurde. Nichts von dem stimmt. Der Staat hat die nützlichen Idioten der RAF und die Polizeiaktionen gegen sie als Ersatz für Politik genommen, die absolute Mehrheit der Deutschen hätte die Seile gedreht, hätte man sie zum Hängen eingeladen und der linke Anstrich der RAF resultierte aus der Verneinung politische Wirklichkeit.

Natürlich darf man dem Film als Kunstgattung nicht vorrangig einen pädagogischen Auftrag aufhalsen. Er hat, mehr oder minder intelligent, zu unterhalten, zu erzählen. Aber ich hätte einen Spielfilm über die Karriere von Otto Schily, damals Vetrauensanwalt von Gudrun Ensslin, außerordentlich unterhaltsam gefunden: Wie einer vom RAF-Anwalt zum Bundesinnenminister aufsteigt. Was einen linken Führer befähigen muss. Warum sich so einer, von den Grünen zur SPD wechselnd, zum Obersicherheitsminister entwickelt und auch noch die Quelle seiner Nebeneinkünfte nicht aufdeckt. Auch der erstaunliche Marsch durch die politischen Vorstellungen von Horst Mahler (Simon Licht) hätte mich interessiert: Wie wird man man vom RAF-Terroristen und -Anwalt zum Holocaust-Leugner? Vielleicht liegt bei beiden, Mahler wie Schily, nichts anderes zugrunde als ein unendlich aufgeblasenes, durch nichts gedecktes Ego, ein Ego dem es gleich ist, in welchem Gewand es seine Befriedigung findet.

Fast hätte Stefan Aust, dessen Buch dem Film als Richtschnur gilt, mitgeheult, sagte er im Interview mit der "Zeit", zu der Stelle im Film, an der auch Ulrike Meinhof hatte weinen müssen, nach ihrer Verhaftung. Es werden bei Aust Tränen der Erleichterung gewesen sein. Denn sein Aufstieg vom Redakteur beim Polit-Porno-Blatt "St. Pauli Nachrichten" zum Oberweichspüler beim "Spiegel" hat dem Jungen vom Land viel eingebracht: Eine Nilpferdpeitsche über dem Schreibtisch, einen Rennstall und den Ruf eines Experten zu Fragen der Linken. An ihm wäre der nächste Film zu exekutieren: Über wie wenig Bildung und Moral man verfügen muss, um diesen Aufstieg zu schaffen. Aber dafür gibt es in Politik und Wirtschaft doch noch mehr und geeignetere Kandidaten. Und das wäre ein anderer Film.
Kinostart: 25. September 2008