Geht es Frauen auch so? Männer jedenfalls kennen das Symptom der Altersgeilheit: Man ist über die Jahre körperlicher Attraktivität hinaus, die Flirtrate sinkt beträchtlich und die Fähigkeiten, so glaubt Mann, übersteigen bei weitem die Möglichkeiten. Da in dem alten Körper aber immer noch ein junger Geist ackert, entwickelt sich die Fantasie und der alte Mann zuckt noch, wo doch das Zagen näher läge. Ein solches Zucken liegt mit Philip Roth jüngstem Roman "Die Demütigung" vor.
Simon Axler war ein gefeierter Theaterschausspieler. Doch pünktlich mit dem sechzigsten Geburtstag verliert er jenes ungewisse Etwas, dass den großen Mimen auszeichnet. Und noch schlimmer: Er verliert den Glauben an sich. Jetzt wäre es denkbar, dass er, dessen Arbeit ausreichend Geld akkumulierte, sich einem anderen, beschaulichen Leben zuwenden würde. Aber Roth's Protagonist kann nicht fliehen, er bricht zusammen. Es wäre keine Arbeit von Roth, wenn dieser Prozess nicht in wunderbar klaren Sätzen beschrieben wäre. Axler sieht auch seinen Zusammenbruch als Schauspiel, als die Rolle "Eines gefestigten Mannes, der einen gebrochenen Mann spielt".
Doch mitten in der meisterlichen Versuchsanordnung, mitten in die Sprachmächtigkeit des großen Romanciers, schleicht sich eine Vermutung ins lesende Hirn: Das beginnende Drama könnte auch zur Farce werden, zum Spiel an sich und nicht für etwas. Axlers Frau verlässt den Schauspieler seiner Verzweiflung wegen und dessen Gedanken kreisen um den Freitod: Fast zärtlich mustert er seine Repetierflinte. Doch ehe der Gedanke zur Tat wird, schafft er den Absprung in eine Klinik, gut gefüllt mit potentiellen Selbstmördern. Hier gelingt dem Autor eine geistvolle Passage über den selbst gewählten Tod, der eine letzte Freiheit sein kann.
So, wie der Schauspieler nur noch auf sich und sein Problem zentriert ist, so lässt Roth fast alles um ihn herum fallen. So, wie die Welt dem Darsteller und Protagonisten öde wird, so verkarstet sie auch für den Leser: Keine gesellschaftlichen Bezüge nirgends, wenn nicht vom Scheitern die Rede ist, dann vom Theater, in dem Axler einst reüssierte und wo er heute versagt. Also geht es weiter mit dem Scheitern, aus dem nichts gelernt werden kann, weil dessen Grund unbekannt bleibt.
Schon nach den ersten fünfzig Seiten taucht sie auf, die jüngere Frau. Nicht nur, dass sie mehr als zwanzig Jahre weniger zählt als Axler, sie ist auch lesbisch und das immerhin seit ihrer Jugend. Roth beschreibt uns diesen Schritt - Lesbe kapert alten Schauspieler - als Willensakt. Sie wird von einer langjährigen Freundin enttäuscht und wendet sich deshalb spontan einem Mann zu, den sie kaum kennt, mit dem sie aber jetzt, sofort eine heterosexuelle Beziehung haben will. Basta.
Mag sein, dass es in freier, sexueller Wildbahn hie und da einen Fall von spontaner Änderung langjähriger sexueller Orientierung gibt. Im Roman ist dieser Fall nur als Konstrukt ohne sonderlichen Anlass zu erkennen. Spätestens als das gemischte Doppel sich temporär einer weiteren weiblichen Person zuwendet, wird die fiebrige Altersfantasie, der Wunsch nach der vielleicht letzten, ultimativen Abwechslung, sichtbar. Die Umgangssprache nennt es einen "flotten Dreier", der Dichter beliebt es als einen "Zirkus mit drei Arenen" zu bezeichnen und gibt dem Leser die freie Sicht auf das, wovon angeblich alle Männer träumen.
Es war seit der fünfzigsten Seite transparent: Die Affäre mit einer Lesbe, "die er zum ersten Mal an der Brust ihrer Mutter gesehen hatte" konnte nicht gut ausgehen. Sie verlässt ihn und die Heterosexualität nach kaum anderthalb Jahren. Auch wenn die Eltern der Liebschaft im Roman besorgt erscheinen, ist doch deren Blut durch Konvention so verdünnt, dass selbst sie dem feuchten Traum keinen Bezug zur Wirklichkeit verschaffen. Der Mann, der mit "Der menschliche Makel" einen großen Roman zum ungebrochenen Rassenwahn der USA vorlegte, der Schriftsteller, der mit dem Buch "Verschwörung gegen Amerika" scharfsichtig erkennbar machte, dass Faschismus überall möglich ist, der selbe Autor wendet sich dem Fall eines "dreizehnmonatigen Irrtums einer Lesbe" zu. Schade.