Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist -
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?
Bertolt Brecht

Es ist ein Buch, wie nur die Meister Bücher schreiben können: Reich in der Sprache, zaubrisch in der Handlung, den Leser verstörend. Amos Oz schreibt sich und uns ein Dorf in Israel: Tel Ilan. Fast das ganze Israel wird in Tel Ilan abgebildet, in einer Gegend, die der Provence ähnlich sein soll und doch nur die Provinz ist. Ein fiktives Dorf, immerhin erkennbar nicht weit vom Berg Karmel gelegen, ein Ort, dessen Wurzeln weit in die israelische Geschichte reichen, dessen scheinbare Idylle einen gewöhnlichen Alltag vortäuscht, unter dessen Fläche die Rätsel liegen. Sieben "Geschichten aus Tel Ilan" erzählt der israelische Autor und knüpft ein Netz aus Schicksalen, die scheinbar zufällig Knoten bilden, sich lösen, um sich doch wieder in den Maschen der Geschichte zu verfangen.

Inmitten von Weinbergen liegt das Dorf, alte Häuser, noch vor der Gründung Israels gebaut, erzählen von den frühen zionistischen Bauern, Zitronenbäume beschatten Innenhöfe, in denen Limonaden aus Eiswasser, Zitronenscheiben und frischer Minze auf Gäste warten. Doch schon in der ersten der Geschichten verliert einer seine Frau, denkt über den Tod seiner Mutter nach und ergibt sich einer ebenso stumpfen wie geheimnisvollen Situation. Im Buch ist häufig vom Verlust die Rede: Ein Neffe verschwindet, ein alter Mann verliert sich in der Vergangenheit, ein Junge begeht Selbstmord, ein Immobilienmakler schließlich geht im Labyrinth eines der alten Häuser verloren, das er gerne kaufen würde - und abreissen auch.

Der Text zupft die Saiten eines Instruments, das uns einst gemeinsam gehörte: Den jüdischen Deutschen und den christlichen. Natürlich sind die meisten der dünnen Stränge längst gerissen und doch ist dem Medium noch eine Melodie zu entlocken: Dissonant, bedrohlich und zugleich wehmütig. Es sind diese oder jene Namen, die im Buch erwähnt sind, die erinnern: Die Levins, die Bittstellers, kommen vor, auch die Rubins. Namen, die man auf den später verbrannten Seiten der Adressbücher des Deutschen Reiches hatte lesen können. Doch während noch diese vergangene Musik nachhallt und im Buch ein langer Gesangsabend mit den Liedern zionistischer Pioniere aufklingt, sucht man nach den geographischen Haltepunkten auf dem absteigenden Weg des Textes: Nicht weit von den Menashe Bergen findet sich das Dorf. Von den Bergen kann man die Westbanks sehen, die "Grüne Linie": die Grenze zu den arabischen Nachbarn ist zu Fuß zu erreichen, das israelisch-palästinensische Drama ist kaum einen kräftigen Steinwurf entfernt, doch das Buch kennt nur einen einzigen Palästinenser, einen Studenten, einquartiert in einem der Häuser Tel Ilans. Einmal noch tauchen "fremde Lohnarbeiter" auf den Feldern auf. Woher wohl werden sie kommen? Sie bleiben singulär und eben fremd, als ob nicht alle billige Lohnarbeit in Israel von den Arabern erledigt würde.

Manchmal legt der Autor Spuren: In den Erinnerungen eines zänkischen, alten Mannes taucht Wladimir Zeev Jabotinsky auf: Jener aus Russland ausgewanderte Zionist, der als Oberkommandierender der "Irgun", einer zionistischen Terrorgruppe, mit Attentaten auf Briten und Palästinenser den Staat Israel herbei bomben wollte. Auch lässt Oz im Buch Lieder des "Palmach" singen, des bewaffneten Arms der jüdischen Untergrundbewegung in einem Palästina, das noch nicht dem Staat Israel gehörte. Man singt Weisen, lässt der Autor eine seiner Figuren erzählen ". . . aus einer Zeit, in der allen noch alles klar war." Wem war was klar, was ist warum unklar geworden? Das mag Oz nur verschlüsselt beantworten und man darf nicht sicher sein, ob er die Schlüssel selbst kennt, weiß wo sie liegen und auch benutzt. Seinem Leser jedenfalls gestattet er nur Blicke durch ein Schlüsselloch, das im letzten der Kapitel die Sicht auf die Zeit nach Harmagedon freigibt. "An einem fernen Ort zu einer anderen Zeit" ist es überschrieben und berichtet, dass die Erde Blasen werfen wird: "Und wer nicht mehr kann, bitte, der soll sterben. Und Schluss." Kaum glaubt man eine Spur im Buch zu erkennen, ist sie schon im Sand der Geschichte verweht.

Amos Oz war Mitgründer von "Peace now", einem wesentlichen Teil der israelischen Friedensbewegung. Das hat ihn in jüngster Zeit weder gehindert den Gaza-Krieg zu verteidigen noch daran, die Mauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten für richtig zu befinden. So einer, der mit dem Zweifel bekannt ist, ihn aber unterdrückt, schreibt ein Buch in Israel in diesen Zeiten ohne auf die Frage von Krieg und Frieden einzugehen. So einer sieht Harmagedon, die letzte, entscheidende Schlacht voraus, nach deren Ende die Apokalypse herrschen wird. Oz ist ein angenommener hebräischer Name und bedeutet "Stärke". Wenn der Schriftsteller doch die Kraft aufbrächte, die Untaten beim Namen zu nennen. Wenn er versuchen würde Klarheit zu schaffen, könnten Gespräche über Bäume ein gutes Thema für Nachbarn sein.