Italien, das Land deutscher Sehnsucht, von Goethe bis zum Massentourismus der Fünfziger Jahre, war auch der westdeutschen Linken ein Ort der Projektion. Ob es sich um die Toscana-Fraktion der SPD handelte oder die Gramsci-Leser der linkeren Linken, von Italien glaubte man, es habe es besser: Ein starke kommunistische Partei, leicht entflammbare Gewerkschaften und diese wunderschönen Unita-Feste. Italien schien lange Zeit der Ort des westeuropäischen Wandels zu sein, die Gegend, in der das revolutionäre Projekt zuerst hätte stattfinden können. Spätestens seit der Regierung Berlusconi weiß man es, schmerzlich durch die Wirklichkeit belehrt, besser. Mit dem neuen Buch von Rossana Rossanda, der italienischen Ikone der Linken, »Die Tochter des 20. Jahrhunderts«, werden Erklärungsmodelle für die Niederlage nachgeliefert, für eine Niederlage, die doch nicht spezifisch italienisch war, sondern die komplette Welt traf.

Die Rossanda nimmt es persönlich: »Die Sache des Kommunismus und der Kommunisten im 20. Jahrhundert hat so kläglich geendet, dass man sich unbedingt damit auseinandersetzen muss«, schreibt sie. Der Ton des Buches ist wütend, immer noch hartnäckig und leidenschaftlich arbeitet die betagte Autorin an der Nachkriegsgeschichte der Kommunisten und ihrem eigenen Anteil an Erfolgen und Fehlern. Rossana Rossanda war immer mittendrin: Schon in der Illegalität, im Widerstand gegen die Faschisten wurde sie Mitglied der PCI, lange Jahre verantwortete sie die Kulturpolitik ihrer Partei bis sie schließlich, in der Auseinandersetzung um die Sozialdemokratisierung der PCI, gemeinsam, mit der Gruppe um die Zeitung »il manifesto« von der Partei verstoßen wurde.

Die Erinnerungen der Rossanda an ihre Kindheit, ihre Jugend, geben dem Buch einen warmherzigen Beginn, »Mädchen sind schwermütig und verrückt«, behauptet sie und macht sich bis heute Vorwürfe, warum sie so lange die Wirklichkeit des Weltkrieges und die Faschisierung ihres Landes nicht wahrgenommen hat. »Mir graute davor gehenkt zu werden, ich habe sie gesehen, die Gehenkten, mit schiefem Hals und langen, schlaffen Gliedern«, erinnert sie sich und hatte doch den Kampf angenommen und auch das Risiko, den Nazis in die Hände zu fallen. Wen immer ich von denen kenne, die sich später, als die Rossanda längst mit ihrer Partei überkreuz lag, den Kommunisten angeschlossenen haben, dessen Beweggrund lag dort: In den Leichenbergen, den unerträglichen Bildern hilfloser Ermordeter, im grauenhaften Unrecht, dass man vor uns hatte verheimlichen wollen und das bis heute mit einer süßlich-dummen Geschichte vom adligen Widerstand bedeckt wird.

Sie hatte sich eingelassen die Funktionärin Rossanda, eingelassen auf die Fabrikarbeiter, denen sie so nahe kommt wie es der bürgerlichen Intellektuellen möglich war und eingelassen auf einen Parteiapparat, der, getragen von Gleichheit und Disziplin, voller »Einfachheit und Überheblichkeit« war. Eine Partei in der die Einheit, die Angst vor der Fraktionierung, zum Götzen geriet, der schließlich zur Unbeweglichkeit führen sollte. Wen dieser zwingende Wunsch nach Einheit verwundert, der sollte sich an die Bedingungen in Europa erinnern: In Spanien und Portugal wurden die Kommunisten mit dem Tod bedroht, in Westdeutschland riskierte man immerhin noch ein paar Jahre Gefängnis und selbst in Italien musste erst das Jahr 1963 anbrechen, bevor ein Kommunist im Radio oder Fernsehen auftreten durfte. Der kalte Krieg spaltete die Welt und ließ auf beiden Seiten die Denkverbote wachsen.

Undenkbar war es auch lange die Zeit, an der Sowjetunion zu zweifeln: Was oder wen sah man sonst an seiner Seite, in den Ländern, in denen die Kommunisten die Aussätzigen waren, welche Hoffnungen auf eine bessere, andere Welt sollte es geben, gäbe es die Sowjetunion nicht. Das mochte auch in der PCI bis zum Ungarnaufstand gegolten haben. Die Autorin wurde in diesem Jahr zweiunddreißig Jahre alt und bekam über die Nacht, in der in Budapest die Panzer rollten, graue Haare und ihre Partei begann sich von der KPdSU zu lösen. In jener Zeit waren in den katholischen Gemeindehäusern Deutschlands die Filme über Don Camillo und Peppone zu sehen. Das Fernsehen war noch keine Massenerscheinung und der Kulturkampf mit den Kommunisten ging in die zweite, die Nachkriegsrunde. Der gewitzte italienische Dorfpfarrer Don Camillo, gespielt vom populären Schauspieler Fernandel, trickste regelmäßig den tölpelhaften, kommunistischen Bürgermeister Peppone aus. Manches brave westdeutsche Kind lernte so seinen ersten Kommunisten kennen. Das Rattern der Projektion im dunklen Raum gab den Takt für den antikommunistischen Reflex, der den politischen Alltag des westlichen Deutschland bestimmen sollte.

Ähnlich wie in Frankreich gelang es den Kommunisten in Italien zunehmend, die öffentliche Debatte mitzubestimmen, obwohl die Denkansätze augenscheinlich anders waren: Rossanda empfindet die französischen Kommunisten auch rückblickend unverhohlen als stalinistisch und sieht die PCI als eine vergleichsweise flexible Partei. Sie kreidet aber beiden Parteien an, die achtundsechziger Revolte nicht begriffen und gegenüber diesem gesellschaftlichen Phänomen tragisch versagt zu haben: "Nicht nur die Trottel der PCF hatten sich zurückgezogen, sondern auch wir, die intelligentesten Kommunisten Europas." Das zweite, andere Achtundsechzig, der Einmarsch der sowjetischen Armee in Prag, beschwerte die PCI zumindest soweit, als die sowjetischen Genossen sie nicht informiert hatten, es berührte sie nicht genug, als dass einer der exilierten Tschechen den Weg zur PCI gefunden hätte.

Den Resten der PCI, die sich in der "Democratici di Sinstra" unter dem früheren KP-Funktionär und jetzigen Aussenminister D´Alema zusammenfinden, bringt die eher rätedemokratisch geprägte Rossanda nur Verachtung entgegen. Unter anderem wegen solcher Sätze, die der italienische Außenminister jüngst in der FAZ am Sonntag absonderte: "Ich bin heute jedoch überzeugt, daß sich die Linke gegenüber der liberalen Tradition öffnen muß. Der Sozialismus der kollektivistischen Art hat keine Zukunft mehr." Die orthodoxen westeuropäischen Kommunisten, in Spanien, Frankreich oder Westdeutschland, marschierten nach 1990 in die Bedeutungslosigkeit, die "intelligentesten Kommunisten Europas" sind schlichte Sozialdemokraten geworden, eine Logik, die bei mir eine heitere Verzweiflung auslöst.

Die Rossanda weiß viel. Sie kann von den Anfängen der kubanischen Revolution erzählen, von der Zeit, als Castro die Sowjetunion eher unangenehm empfand. Sie merkt an, dass die kommunistische Bewegung den kämpfenden Vietnamesen anfänglich kaum Unterstützung gewährte. Maliziös erinnert sie Cohn-Bendit an eine Verteidigung des Extremismus gegen Lenin, die der "heute auch nicht mehr schreiben würde." Manchmal weiß sie zu viel über das Innenleben der PCI, Namen und Stichworte überfallen den Leser. Vielleicht aber sollte ich mehr wissen, der Wissenskaskade der Autorin besser standhalten. Ein Wissen teilen Autorin und Rezensent: La lotta continua, sogar hinter dem Rücken derer, die sich längst enttäuscht in das sogenannte Private zurückgezogen haben.

Kommentare (0)

Einen Kommentar verfassen

0 Zeichen
Leserbriefe dürfen nicht länger sein als der Artikel
Anhänge (0 / 3)
Deinen Standort teilen
Gib den Text aus dem Bild ein. Nicht zu erkennen?
Bisher wurden hier noch keine Kommentare veröffentlicht