»Wo gehsse?
Im Kino.
Wat gibt dat da?
Quo vadis.
Wat heißt dat?
Wo gehsse?
Im Kino . . .«
(Ruhrgebiet, Fünfziger Jahre)
Wohin geht Amerika, wenn das Kapitel Bush erledigt ist, fragt die »edition Blätter« und versammelt 24 ansehnliche Autoren, die meisten von Ihnen kommen aus den USA, um diese Frage zu beantworten. Auch wenn manche Beiträge schon ein wenig älter sind, auch wenn sie nahezu sämtlich schon in den »Blättern für deutsche und internationale Politik« veröffentlicht wurden: Den Herausgebern ist ein vorzüglicher Sammelband gelungen, der natürlich die Frage nicht beantwortet, sondern weitere, neue aufwirft und zugleich dem Leser die Chance gibt, die USA in ihrer komplizierten Einfachheit besser zu verstehen.
Der schlechteste aller in »Quo vadis, Amerika?» veröffentlichten Beiträge ist der des Kandidaten Obama, dessen Wahlkampflogo »Hope» die Titelseite des Bandes ziert. Ein lang ein breit erklärt Obama, in einer Rede aus dem März 2008, warum Reverend White, der zeitweilig sein Mentor bei der Glaubensfindung war, heute nicht mehr sein Berater ist. Viel Raum nimmt das Erweckungserlebnis ein, das der Kandidat in eben jener Trinity-Kirche hatte, der White lange Jahre vorstand. Und dann, nach längeren Ausführungen über das Schwarz und Weiß der amerikanischen Gesellschaft, mutet Obama seinen Lesern ein »Patt zwischen den Rassen» zu, das es in der amerikanischen Gesellschaft gäbe, weil »der schwarze Zorn» häufig ähnlich unproduktiv sei wie die weißen »Ressentiments«. Nun ist der Mann im Wahlkampf, will schwarze wie weiße Wähler an sich binden und Wahlkämpfe haben immer ein gewisses Maß an Lug und Selbstbetrug. Bleibt die Hoffnung, dass, wenn der Kandidat gewinnen sollte, er mit sich und den Amerikanern ehrlicher umgeht: Das Logo auf dem Titel wird verständlicher.
Unmissverständlich, erfrischend offen und brutal ist der Aufsatz des rechten Vordenkers Robert Kagan. Er macht sich über jene Leute, Europäer wie Amerikaner, herzhaft lustig, die ein wunderbares, friedfertiges Land in den USA gesehen haben und nun, nach George W. Bush, die Welt nicht mehr verstehen: Natürlich, so Kagan, wollten die USA immer ihre »Revolution« exportieren, jene Mischung aus puritanischer Gottgläubigkeit und Geschäftssinn, von happiness durch property. Und zum Export gehöre nun einmal die Expansion: »Wenn also amerikanische Kaufleute irgendwo im Ausland auf Hindernisse stießen, die ihre Geschäfte beeinträchtigten«, zitiert Kagan einverständig die Geschichte der USA, »dann verlangten sie, dass die amerikanische Regierung ihnen zu Hilfe komme und ihre Rechte schütze«. Es ist der selbe Kagan, der in seinem neuen Buch (The Return of History an the End of Dreams) mit einem düsteren Wohlbehagen den Georgien-Konflikt vorausgesagt hat und die Rückkehr der alten, klassischen Kriege. Happiness durch Pipelines, so einfach kann die USA gelesen werden.
Den komplizierteren, also intelligenteren Rückblick auf die amerikanische Geschichte bietet William R. Polk, der den Irak-Krieg mit dem in Vietnam vergleicht und der in seiner Analyse der Aufstände (Algerien, Kuba, Afghanistan zum Beispiel) sich dem für Amerikaner naheliegendsten Aufstand zuwendet: Dem eigenen gegen die Engländer. Polk erkennt die frühen Widerstandsgruppen der Siedler gegen das Mutterland umstandslos als »terroristische Vereinigungen«, die »teerten und federten« und auch ansonsten nicht vor Brutalitäten aller Art zurückschreckten. Er erzählt vom Guerillakrieg, von den Kommandos, die ihr Leben riskierten, wenn sie ihre Nachbarn umbrachten, nur weil die Freunde der Briten waren. Da kommt einem der Selbstmordattentäter nicht mehr so fremd vor. Im Spiegel amerikanischer Geschichte wird an die vielen Kriege erinnert, die von den USA in der Rolle der Engländer geführt wurden und Polk kommt zum simplen Schluss: Die Kriege der Fremden gegen die Einheimischen seien nicht zu gewinnen: "Beenden wir schnellsten diesen Krieg (Irak) und beginnen wir, um unserer Kinder und Enkel willen, keinen neuen». Da könnte dem deutschen Leser einfallen, dass dies auch für Afghanistan gelten müsse.
Von den deutschen Autoren ist es Hauke Ritz, der mit einer Einschätzung des Obama-Beraters Zbigniew Brzezinski den kühlenden Wind der Vernunft über die Obama-Emotionen wehen lässt. Vieles spricht dafür, schreibt Ritz, dass mit Obama die geopolitischen Vorstellungen der Brzezinski-Fraktion zum Tragen kämen. Zu gerne wurde, auch von den Linken, die Kritik Brzezinskis am Irak-Krieg zitiert und übersehen, dass dem alten antikommunistischen Haudegen nur ein anderes imperialistisches Vorgehen vorschwebt: Über die Kooperation mit Europa und China soll Russland isoliert werden, damit die USA nicht nur die einzige sondern auch die »letzte« Weltmacht werden könne. »Zentrale Bedeutung», schreibt Ritz, »kommt dabei der Region um das Kaspische Meer zu.» Und wir erinnern uns, dass die jüngste Pipeline in dieser Gegend von Baku (Kaspisches Meer) über Georgien (Potentieller NATO-Partner) zum Mittelmeer (Standort der 6. US-Flotte) führt. Überhaupt ist Ritz bedrohlich aktuell: Wenn er im im Zuge der Entblätterung des Amerikanisch-Polnisch-Tschechischen Raketenschildes darauf aufmerksam macht, dass die als Vorwand genommenen iranischen Raketen mitnichten über eine ausreichende Reichweite verfügen, also nicht der Iran, sondern Russland gemeint ist. In einem Szenario, das Ritz aus Brzezinskis Texten liest, sorgt sich der Autor um «Stellvertreterkriege», um einen »eurasischen Balkan» und einen von dort ausgehenden, denkbaren letzten Weltkrieg. Diese Sorge ist, seit dem Georgien-Konflikt, noch ein wenig näher gerückt.
Es ist nicht möglich, all die guten Autoren von »Quo Vadis Amerika« mit einem eigenen Abschnitt zu würdigen. Von Peter Bender, der für eine Allianz der EU und Russland plädiert, um den Europäern Handlungsfreiheit zu sichern; über Chas W. Freeman jr., der in den USA einen »von Geheimhaltungsobsessionen getriebenen Garnisonstaat« sieht; bis zu Norman Birnbaum, der auch im Hinblick auf Barack Obama formuliert: »US-Präsidenten genießen die Freiheit, als Vollstrecker des imperialen Erbes zu handeln - nicht jedoch, dieses Erbe als die erdrückende Bürde zu behandeln, zu der es geworden ist.” Einer der Autoren allerdings, Seymour M. Hersh verlangt nach einer Hervorhebung. Mit fulminanter Sprache, mit ironischer Wut und verzweifeltem Patriotismus schreibt er über seine USA, die er in den falschen Händen weiß, das muss man gelesen haben: »Es steht einem Journalisten auch nicht an zu sagen, der Präsident habe Wahnvorstellungen. Das ist ein medizinischer Fachbegriff. `Durchgeknallt ´ geht in Ordnung.«
Als es noch das Ruhrgebiet gab, jene Gegend, die von seltsam selbstbewussten Arbeitern bewohnt wurde, da kam Anfang der Fünfziger Jahre der Film »Quo Vadis» in die Lichtspielhäuser. Dramatischer Höhepunkt des monumentalen Sandalenfilms ist der Brand Roms, angezündet vom durchgeknallten Kaiser Nero. Das Hollywoodmärchen erzählt vom bösen Imperator und dem guten Volk, dass sich dem Christentum zuwendet. Wo gehsse? Die volksmundige Frage der Ruhrgebietler endete in einer Endlosschleife: Im Kino. Wünschenswert wäre, wenn der amerikanische Gewaltfilm dieser Tage nicht in der immer gleichen dummen und brutalen Wiederholung enden würde.