Mutig sind sie im Deutschen Historischen Museum. Die jüngste im Berliner Zeughaus eröffnete Ausstellung widmet sich einem eigentlich schwer darstellbaren Thema: »Parteidiktatur und Alltag in der DDR«. Das ist auch für den nolens volens diktaturerfahrenen Ossi spannend. Denn er weiß um die Techniken, sich im Alltag von Losungen, Kampagnen, unliebsamen Versammlungen, eifernden Subbotniks und in dieser Richtung lästig werdenden Medienbeiträgen möglichst frei zu halten. Oder sie doch wenigstens zu ironisieren. Und er kennt gleichermaßen das nimmermüde Bemühen der nicht sehr abwechslungsreichen Obrigkeit, ihn damit dennoch immer wieder dranzukriegen. Außerdem fragt er sich interessiert, ob sich die Ausstellung wirklich dem täglichen Leben in der DDR widmet, oder ob es vielleicht mehr um Privatheit geht, was dann doch etwas anderes wäre. Um wenigstens dies vorwegzunehmen: Die Exposition kann sich in dieser Hinsicht nicht entscheiden, das ist eine ihrer Schwächen, aber bei Weitem nicht die größte. Auf der Pressekonferenz sagte Carola Jüllig, eine der beiden übrigens westdeutschen Kuratorinnen, es ginge im ersten Raum um die Arbeitswelt, denn die DDR sei ja eine Arbeitsgesellschaft gewesen. Und im zweiten »um privat«. Das erwies sich als Missverständnis, denn um Privates geht es wenig, und auch wichtige Teile des Alltags werden kaum oder stark vereinfachend angesprochen.

Wer das Sammelsurium der in einzelnen Stücken natürlich interessanten, aber nur schwer miteinander korrespondierenden Exponate hinter sich gebracht hat, alle aus dem Bestand des Museums, muss als westdeutscher Bürger die DDR für eine ziemliche Wunderlichkeit halten, in der es in 40 Jahren so gut wie keine Entwicklungen gegeben hat. Zwar wies Jörn Schütrumpf für die beteiligte Luxemburg-Stiftung eingangs darauf hin, dass sich die DDR von einem Land mit anfänglich großem Utopie-Überschuss in den 1970er Jahren zu einem Staat mit großem Utopie-Defizit wandelte, mit dem sich immer weniger Menschen identifizieren wollten. Aber die Genesis der Dinge bleibt in der Ausstellung dann doch recht unterbelichtet, und damit ist sie auch für Ostdeutsche in weiten Teilen zu belanglos. Es fehlen beispielsweise fast jegliche Bemühungen, den antifaschistischen, wirklich identitätsstiftenden Impetus der Staatsgründung und der in dieser Hinsicht sehr legitimierten Staatsgründer zu belegen. Das geht mit den eingangs gezeigten Kopfbedeckungen, die sie trugen, nun wirklich nicht. Und damit gebricht es auch an authentischer Erinnerung an die Hoffnung und den Elan, die viele Bürgerinnen und Bürger nicht nur anfänglich einbrachten.

Stattdessen gibt es in zentralen Fragen eine Reihe von ärgerlichen Fehleinschätzungen und Falschinformationen, bei denen man sich fragt, wie seriös recherchiert wurde. Zum Thema »Das Kollektiv« beispielsweise wird, platziert in der Nähe von Fotos mit einem leer getrunkenen Bierkasten und einer Brigade beim Töpfern, das verlautbart: »Um die Arbeiter ihrer Kontrolle zu unterwerfen, hatte die SED-Führung 1948 die Betriebsräte zerschlagen. Als nächsten Schritt ließ sie 1950/51 nach sowjetischem Muster die Meisterbereiche durch Brigaden ersetzen. Mit der Entmachtung der Meister sollte jegliche Autonomie beseitigt und der ‘demokratische Zentralismus’ auch in der Produktion durchgesetzt werden.«

Was soll der Eingeborene dazu sagen? Ganz abgesehen davon, dass die Autorin dieser Zeilen, als sie 1958 zum praktischen Jahr nach dem Abitur in einem Landmaschinenwerk antrat, dem Bereich des Meisters Walter Venus zugeordnet wurde, den es laut dieser Ausstellung eigentlich gar nicht mehr hätte geben dürfen: Wer glaubt denn ernstlich, dass ein einzelner Meister schwerer zu disziplinieren ist als eine ganze Brigade? Die Brigaden waren zumindest in den ersten Jahrzehnten durchaus Orte der Mitbestimmung und der Selbstfindung des einzelnen, auch der uneigennützigen Weitergabe von Erfahrungen. Gegen sie etwas durchzusetzen, das als unvernünftig gelten musste, blieb ein schwieriges Unterfangen. Auch die weitere Behauptung im Ausstellungstext, dass innerhalb der Brigaden die Arbeitsnormen gemeinsam unterlaufen werden konnten, ist sehr linkshändig. Wir in unserer Brigade hätten gern mehr gearbeitet, weil wir dann auch mehr verdienten. Aber es scheiterte öfter an fehlendem Material und an fehlenden Teilen, weil es woanders klemmte.

Natürlich ist die spätere Bewegung, den Titel »Kollektiv der sozialistischen Arbeit« massenhaft zu verschleudern, die Urkunde ist in der Ausstellung zu sehen, eine ziemliche Perversion gewesen. Die so genannten Kampfprogramme schrieb einer vom anderen ab, und nach einer angemessenen Zeit wurde dieser Titel verliehen, ohne dass sich vor Ort im Vergleich zu vorher groß etwas geändert hatte. Aber das gibt niemandem das Recht, schon gar nicht dem Deutschen Historischen Museum, die ganze Sache von vornherein einzuebnen und Beteiligte unter der Hand zu Tätern zu machen, die für die Abschaffung von Betriebsräten und Meistern in Haftung genommen werden. Wir wählten zum Beispiel einen Vertrauensmann oder eine -frau, und die ließen wir uns auch von niemandem vorschreiben.

Außerordentlich einschichtig geht es auch zu, wenn es um die Rolle der Frauen in der DDR und besonders um ihre Berufstätigkeit geht. Da wird jeder emanzipatorische Ansatz glatt bestritten. Frauen erscheinen in den erklärenden Texten als Lückenbüßerinnen, um die in leitende Positionen aufgestiegenen Männer zu ersetzen und, später, um dem allgemeinen Arbeitskräftemangel abzuhelfen. Die zahlreichen sozialpolitischen Maßnahmen, ihnen das Leben leichter zu machen, werden als »väterlich« seitens der SED-Führung abgetan, als hätten Forderungen und Erwartungen der Frauen dabei gar keine Rolle gespielt. Gipfelleistung zu diesem Thema ist die Behauptung, dass sich die Frauen in der DDR angesichts ihrer Wertschätzung für gleichberechtigt hielten, aber die traditionelle Männerrolle öffentlich unangetastet blieb. Das ist in dieser Plattheit schlicht unwahr, bei allen Widersprüchen, die sich auftaten. Jedenfalls legt die Schreiberin dieses Beitrags Wert auf die Feststellung, dass sie die größte Zeitung der DDR, die »Wochenpost«, nicht geleitet hat, weil sie sich für gleichberechtigt hielt, sondern weil sie gleichberechtigt war. Auch tat sie es nicht, weil gerade kein geeigneter Mann zur Hand gewesen ist, der hätte sich auftreiben lassen, sondern weil sie im Verdacht stand, es zu können. Und als große Besonderheit wurde das nicht empfunden.

Eine erhebliche Fehlstelle der Ausstellung ist die de facto Nichtwürdigung des modern aufgebauten Schulsystems der DDR. Gerade erreicht es über Finnland, wo man es adaptierte und bei PISA gut dasteht, wieder deutschen Boden, was besonders etikettösen Wessis erlaubt, die Wahrheit nicht beim Namen nennen zu müssen. Da seit 1965, nicht seit 1959, wie in der Ausstellung behauptet, da wurde es nur angekündigt, für alle Schüler der DDR zehn Klassen obligatorisch waren und sich für beinahe alle Berufsausbildung oder der weiter führender Schulbesuch anschloss, war die Schule eine zentrale Achse des DDR-Alltags. Viele Väter und Mütter wirkten über die Jahre in Elternaktivs und Beiräten mit, durchaus auch konflikthaft, aber davon findet sich nichts in der Exposition. Nur ein Bild von Altstoffe sammelnden jüngeren Kindern und ein paar andere mehr oder weniger große Nebensächlichkeiten. Immerhin verzichtet man darauf, die Kinderkrippen niederzumachen. Aber kein Zeugnis, keine Schulbücher, die übrigens von Lehrern im Westen gern genommen wurden. Auch das über die Jugendweihe Gezeigte streift die Grenze zur Denunziation.

Eine ähnliche Mängelliste lässt sich über die Darstellung von Kultur, Kunst und Künstlern aufmachen. Namentlich Literatur und Filmkunst haben in der DDR für die Bewertung des Alltags mit seinen in jeder Bedeutung des Wortes eng gezogenen Grenzen eine bedeutende Rolle gespielt. Da ist die Reduktion auf die ausgebürgerten und ausgereisten Biermann, Bettina Wegner, Sarah Kirsch und Hans Joachim Schädlich zu wenig. Es sind auch Künstler geblieben und haben sich an Ort und Stelle und inmitten der Leute mit den Dingen auseinandergesetzt. Ganz abgesehen davon, dass man vom kulturellen Alltag – Kinokarten, Theaterkarten und ihre Preise zum Beispiel – so gut wie nichts erfährt.

Dafür sind zwei Bereiche ganz stark vertreten. Eine Platz greifende Galerie elitär geschmackloser Staatsgeschenke, von denen gleich einschränkend bemerkt wurde, dass die auch heute noch so sind, wie sie eben sind. Was sagen sie dann über den Alltag in der DDR? Kaum ein Mensch hat das Zeug je zu Gesicht bekommen.

Der andere überbordende Aspekt sind ausführliche Hinweise auf die mehr als gelegentlich auftretenden militanten Züge im Leben des so genannten ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden. Die gab es ohne Frage und sie müssen in so einer Präsentation, wie selbstverständlich die ausgereisten Künstler, ihren Raum finden. Aber dass in dem als privat bezeichneten Teil zentral eine MP hängt, die bei der vormilitärischen Ausbildung der Gesellschaft für Sport und Technik Verwendung fand, zwingt einen dann doch zu der Replik, dass keiner im Osten so ein Ding unterm Bett liegen hatte. Und reflexartig wird man an die durchaus militanten Seiten der heutigen deutschen Außenpolitik erinnert. Aber das nützt nun gar nichts. Die DDR muss sich schon an ihren eigenen Maßstäben messen lassen. Sie wird nicht schöner, weil auch heute viel Fragwürdiges geschieht.

Unter den anwesenden Journalisten wurde beim Rundgang auch geäußert, dass der irgendwie unbefriedigende Eindruck das Ergebnis ideologischer Vorsätzlichkeit sein könnte. Soweit muss man nicht gehen. Vielleicht hat das Material für die anspruchsvolle Aufgabe dann doch nicht ganz gereicht. Und es kam wohl auch ein Maß schlichter Unkenntnis dazu über den Facettenreichtum des Themas. Ob das allerdings für das Deutsche Historische Museum der weniger unangenehme Vorwurf ist, steht dahin.

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