Die Deutsche Demokratische Republik fördert und schützt die sozialistische Kultur, die dem Frieden, dem Humanismus und der Entwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft dient. Sie bekämpft die imperialistische Unkultur, die der psychologischen Kriegführung und der Herabwürdigung des Menschen dient.
Verfassung der DDR von 1968, Art. 18

Vieles an der DDR bleibt paradox. Guido Knopp wird es uns kaum erklären können. So fragte mich ein Westberliner Rentner 1994: „Du hattest sichere Arbeit? Genug zu essen? Reichlich Alkohol? Und Du konntest nachts durch einen dunklen Park gehen ohne Angst? Warum hast Du die DDR nicht mehr gewollt?“
Die Antwort war simpel – ich hatte sie satt.

Jede Gesellschaft entwickelt ihre eigenen Zwänge. Manche davon sind bösartig, andere peinlich, einige nur lächerlich. Aber alle verlangen Anpassung. Beispielsweise die absurde Sommerzeit, ursprünglich eine Erfindung der deutschen Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg, hat sich wie vieles Sinnlose international hervorragend durchgesetzt. Zweimal im Jahr bringen wir unseren Schlafrhythmus durcheinander, verstellen die Uhren, ändern die Fahrpläne usw. Eine Zwangsmaßnahme, die außerdem noch ökonomisch zu begründen war, wurde in der DDR natürlich mit Begeisterung eingeführt.

Und damit sind wir beim Thema. Stellen Sie sich die DDR vor als ein kleines, abgeschirmtes System aus lauter Parallelwelten, verbunden durch ein stabiles Gespinst aus guten Beziehungen, gegenseitigen Abhängigkeiten, Geschäftemacherei, Überwachung und Irreführung, Hilfsbereitschaft, Geselligkeit, Konsumdenken, Erfindungsreichtum, Lüge und Verrat, Solidarität, Grauzonen, Leidenschaften und unterdrückten Gefühlen, Spitzelei, Sorglosigkeit und Angst, Humor, Wärme und Mitgefühl, Liebe und Trotz – dann kommen Sie der Sache näher, schreibt Jan Josef Liefers im „Soundtrack meiner Kindheit“, den Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in der DDR. Diese Charakteristik eines Unrechtsstaates irritiert unsere demokratisch gezeugten LeserInnen, weil sie auf viele menschliche Gemeinwesen passt.
Null Problemo, J.J. liefert die passende Erklärung gleich mit: Falls das zu kompliziert klingt, stellen Sie sich hilfsweise Ihr eigenes Leben vor, addieren Sie enorme staatliche Subventionen auf Mieten und Grundnahrungsmittel sowie weitestgehende soziale Absicherung, und ziehen Sie nun Reisefreiheit, Pressefreiheit, das Recht, sich zu versammeln, und das Recht auf freie Meinungsäußerung ab. Dann bliebe immer noch eine ganze Menge übrig, worin Sie es sich irgendwie gemütlich machen könnten, wenn Ihnen nichts anderes übrig bliebe. Denn Sie sind auch ein Überlebenskünstler, stimmt’s?

Jan Josef Liefers wuchs unter Frauen auf. Es hatte sich so ergeben. Die DDR war (neben Weißrussland) das weiblichste Land Europas – und das mit der höchsten Scheidungsrate. Bedingt durch die Kriegsfolgen hatte sie den größten Frauenüberschuss. Da lernt man früh Konfliktbewältigung.
Von wegen! J.J. ist keine graue Maus, er liebt ein wenig den Eklat. Es kostet die Lehrer- und ErzieherInnen, die Verkehrshelfer- und PionierleiterInnen, überhaupt alle, die den sozialistischen Menschen Liefers formen wollen oder sollen, viel Kraft, diesen unangepassten Sprössling einer Schauspielerdynastie halbwegs zu disziplinieren.

J.J. erzählt die Geschichte seiner sozialistischen Formungen und Deformationen unprätentiös, unterhaltsam und unaufgeregt. Wir bekommen Antwort auf Fragen, die sonst nur im Familienkreis thematisiert werden. Was hatte ein Kind auszuhalten von der Geburt über die Einschulung bis zur Jugendweihe? Wie drückte man sich um ungeliebte gesellschaftliche Arbeit, wie entging man dem Wehrdienst und fand die Lehre, die einem zusagte? Was bedeutete „Vitamin B“ überhaupt? Wo lauerten die Fettnäpfe auf dem Weg zum Kommunismus?

Liefers Erinnerungen sind nicht nur locker und flockig geschrieben, auch die Besonderheiten diverser DDR-Einrichtungen werden erklärt für all jene, denen sie fremd sind. J.J. nennt das Widerliche beim Namen, scheut sich aber auch nicht, eine Menge gut zu finden, im Gegensatz zur gezielten Medien-Propaganda, die den Osten komplett schlecht redet. Familienfotos, Szenen aus Schmalfilmen des Vaters und immer wieder die Texte von Ost-Rocksongs sind wie Beweismittel in die Niederschrift montiert.

Liefers Vorliebe für ostdeutsche Rockballaden lässt sich vielleicht aus seiner Herkunft erklären. Er wuchs in Dresden auf „im Tal der Ahnungslosen“, seine Identifikationsphase war weitgehend ungetrübt vom Einfluss der Westsender. Ich erinnere mich, dass ich zu J.J.s Kinderzeit einmal auf ein Dorf bei Meißen eingeladen wurde, wegen einer Inversionswetterlage. Die Gastgeber hofften ZDF vom Sender Ochsenkopf zu empfangen und starrten begeistert in den weißen Grieß auf der Mattscheibe. Weil alle Liedtexte der Zensur unterlagen, war die gerockte Kritik ähnlich unscharf.

Wie fast alle seiner Generation macht J.J. erst einmal mit. Er eckt öfters an, aber er verweigert sich nicht. Gleich vielen strebsamen Sachsen zieht es ihn nach Berlin, in die Hauptstadt der DDR. Dort wird er auf der Schauspielschule zum GOL-Sekretär der FDJ (ausgeschrieben: Sekretär der Grundorganisationsleitung der Freien Deutschen Jugend) gewählt. In Grundorganisationen, die nicht von Karrieristen dominiert wurden, traf die Wahl immer die Gutmütigen. Um die Wichtigkeit des Postens zu verdeutlichen, ziehe ich für unerfahrene LeserInnen einen schiefen Vergleich: Liefers war plötzlich so etwas wie der Vorsitzende der Ortsgruppe der Jungen Union in diesem Laden.
Zum Anführer muss man geboren sein – J.J. fehlen ein paar entscheidende Gene, darunter bestimmt der fürs Sitzfleisch. Er erdreistet sich, auf einer der drögen Delegiertenkonferenzen einen Zettel ins Präsidium zu geben, auf dem er sich über grässliche Langeweile beschwert. Man muss sich vorstellen, diese Versammlungen waren noch bedeutend lahmer als ein Talk mit … – aber lassen wir das, auch der gereifte Liefers hat sich ja mittlerweile der „ultimativen Spielshow“ verschrieben.

Auf der großen Berliner Demo am 4. November 1989, wo die Totenglocken für das Regime geläutet wurden, durfte Liefers als Dritter sprechen. Leider hat er seine Worte nicht im Wortlaut überliefert. Damit endet das Buch und seine kleine Karriere als Revolutionär und die Große als Schauspieler beginnt. Am Schluss steht ein Songtext von Tamara Danz aus dem Silly-Album „Hurensöhne“ (1993).

Das Traumpaar des Jahrhunderts
Die Schlampe und der Held
Tanzen mit großer Geste
Auf dem Parkett der Welt
Die feuerroten Haare
Hat man ihr schwarz gemacht
Ich hab den blassen Schimmer
Die wachsen wieder nach