Binsenweisheiten sind in Deutschland anscheinend wieder
lebensgefährlich: Als Georg Restle, Moderator der WDR-Sendung
»Monitor«, im letzten Juli die AfD wegen ihrer personellen Nähe zu
der vom Verfassungsschutz bereits als rechtsextrem eingestuften
„Identitären Bewegung“ als ebenfalls rechtsextrem bezeichnete,
erhielt der Journalist dafür prompt eine Morddrohung. Diese Bedrohung
soll hier als Anlass genommen werden, einmal zu beleuchten, wer und was
sich hinter jener rechtsextremistischen Bewegung verbirgt, die laut
Restle ihre Stärke und ihre Hoffnung aus den Wahlerfolgen der AfD
bezieht.
Die in Deutschland ebenfalls im Juli vom Verfassungsschutz als
rechtsextremistisch eingestufte, aber immer noch europaweit aktive
„Identitäre Bewegung“ (im folgenden IB genannt), entstand
ursprünglich in Frankreich unter dem Namen „Bloc Identitaire.“ Die
IB versteht sich selbst als intellektuelle, jugendlich-aktionistisch
auftretende, konservative politische Avant-Garde, deren Ziel die
Erhaltung einer von ihr postulierten geschlossenen, ethnisch homogenen
europäischen Kultur ist, deren „Identität“ derzeit hauptsächlich
durch eine zumindest von der Bewegung als real empfundenen Islamisierung
Europas bedroht sei. Stichwortgeber in Sachen Islamisierung ist der
französische Schriftsteller Renaud Camus. Er geht in seinen Buch „Le
grand remplacement“ von einem „Großen Austausch“ aus, bei dem
technokratische Eliten angeblich mit willkürlich herbeigeführten
Migrationsbewegungen aus Profitgier den europäischen
Bevölkerungsschwund gezielt mit nichteuropäischem Menschenmaterial
ausgleicht. Mit Bezug auf Camus‘ Buch ruft die IB dazu auf,
öffentlichkeitswirksamen Widerstand gegen diese angeblich von den
europäischen Regierungen geplanten „Auflösung“ der indigenen
Völker zu leisten. Von besonderem Interesse im Zusammenhang mit der
Morddrohung gegen Restle ist aber die Tatsache, dass dieses Buch von
Martin Lichtmesz ins Deutsche übersetzt wurde und dass es im Verlag
Götz Kubitscheks erschien. Diese beiden Männer wiederum sind nicht
irgendwelche dahergelaufenen Sympathisanten der IB, sondern gelten
mittlerweile als Vordenker der sogenannten „Neuen Rechten“ in
Deutschland und mit guten Günden auch als ideologische Einflüsterer
von AfD-Politikern wie Höcke, Kalbitz und Gauland.
Bevor allerdings näher auf die personelle und ideologische Verbindung
zwischen IB und AfD eingegangen werden kann, ist es unerlässlich, den
Begriff der „Neuen Rechten“ zu klären. Erst vor dem Hintergrund
dieser Ideologie und ihrer Protagonisten wird Restles
„Binsenweisheit“ auch kulturtheoretisch plausibel. Vertreter der
Neuen Rechten beziehen sich hauptsächlich auf Autoren der Weimarer
Republik, deren Biographien in einer von Karl Jaspers betreuten
Dissertation des ehemaligen SS-Angehörigen Armin Mohlers aus dem Jahre
1949 unter dem Sammelbegriff der „Konservativen Revolution“
zusammengefasst wurde. Hauptvertreter dieser Ideologie waren unter
anderen der Philosoph Martin Heidegger, dessen nekrophile Ontologie
alles menschliche Handeln unter einer fundamentalen Todesnähe
subsumierte; der Privatgelehrte Oswald Spengler, dessen chauvinistische
Gechichtsorganik Deutschland als letztes Bollwerk gegen einen
anderweitig unausweichlichen Untergang des Abendlandes einordnete; der
Rechtswissenschaftler Carl Schmitt, dessen quasi-theologische
Konzeptionen die Herrschaft über den Ausnahmezustand politisch
essenzialisierte; oder der Schriftsteller Ernst Jünger, dessen
hedonistischer Militarismus stilprägend für das in Europa bald
allseits „beliebte“ Auftreten deutscher Offiziere war. Gemeinsam war
ihnen die strikte Ablehnung von Parlamentarismus und Liberalismus vor
dem Hintergrund des zerfallenen Kaisereiches, sowie die glühende
Verachtung des Marxismus. Dass sie den Hitler-Nazismus bei
gleichzeitiger Bewunderung für den Faschismus Mussolinis als vulgär
und dumpf ablehnten, liess sich in der späteren Bundesrepublik
trefflich ausnutzen. Man sprach dann gern von innerer Immigration.
Mohlers Schrift erschien dann auch 1950 als Buchausgabe und gilt unter
Rechten bis heute als Standardwerk in mittlerweile 6. Auflage. Heute
wird das Werk von Karlheinz Weißmann betreut. Auch Weißmanns eigene
Schriften erscheinen in Kubitscheks Antaios-Verlag.
Zu verstehen, welche Inhalte die Neue Rechte vertritt, ist wichtig.
Genauso wichtig ist es, zu begreifen, warum diese Inhalte in einem nur
zum Teil von Habermas geprägten öffentlichen Diskurs überhaupt wieder
in diesem Maß gesprächsfähig werden konnten. Denn dass rechtes Denken
in Deutschland ganz von der Frankfurter Schule verdrängt wurde, ist
lediglich ein gut gepflegter Mythos: Jüngers Bundesverdienstkreuz,
öffentlich-rechtliche Fernseh-Diskussionen zwischen Adorno und Gehlen
und die wohlbezahlten Apologeten Heideggers und Schmitts im
konservativen bundesrepublikanischen Universitätsbetrieb ergeben
jedenfalls eine anderes Bild. Wie also konnte sich die Reaktion wieder
in den Vordergrund drängen? Auch hier spielte Armin Mohler eine
wichtige Rolle. Bereits in den 1970er Jahren hatte er Kontakte zu dem
damals jungen französischen Rechtsradikalen Alain de Benoist geknüpft,
den er bis zum eigenen Tod durch Vermittlung von Verbindungen zu
Organisationen, Zeitungen und Verlagen tatkräftig unterstützte. De
Benoist wiederum ist mittlerweile als studierter Philosoph Publizist
maßgeblicher Vordenker der heutigen internationalen Neuen Rechten. Für
de Benoist ist kulturelle Homogenität das absolute politische Ideal.
Aus diesem Grund schreibt er gegen die Assimilation von Einwanderern
nach amerikanischem Vorbild an. Auch die liberale Betonung des
Individualismus lehnt er als anthropologische Illusion ab. Denn aus
seiner Sicht gewährleisten ausschliesslich die Kollektive ethnischer,
religiöser oder kultureller Prägung die Identität des Einzelnen.
Dabei lehnt er zwar die Vorstellung der Existenz höherer oder
niedrigerer Kulturen ab, insistiert aber auf ihrer angeblichen
unüberwindbaren Verschiedenheit. Diese Haltung ist unter dem Namen des
„Ethnopluralismus“ neben der Idee des „Grossen Austausch“ zu
einem der Hauptbegriffe der identitären Bewegung geworden. Wichtiger
aber ist in dem hier behandelten Zusammenhang de Benoists
Auseinandersetzung mit dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci.
Gramsci hatte die wichtige Rolle der Intellektuellen in der
gesellschaftlichen Bewusstseinstransformation als Vorraussetzung der
Änderung der politischen Verhältnisse erkannt. Ziel der
Gramsci-Exegese de Benoists ist es nun nach diesem Muster eine
„Kulturrevolution von Rechts“ einzuläuten. Das Buch mit
gleichnamigen Titel ist vor Kurzem in deutscher Übersetzung mit einem
Vorwort Mohlers im Jungeuropa Verlag erschienen. Philip Stein, der
Inhaber dieses Verlags, ist seinerseits ein Aktivist im Kontext der AfD,
Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft und Leiter des
rechtsextremen Projekts „Ein Prozent für unser Land.“ In dieser
Funktion trat er beispielsweise im August letzten Jahres bei der
IB-Großveranstaltung „Europa Nostra – Identität verteidigen –
Heimat bewahren“ in Dresden auf. Neben Stein sprach auch der
österreichische IB-Sprecher Martin Sellner.
Sellner verkörpert wie kaum ein anderer IB-Aktivist die Prinzipien des
von Gramsci entwendeten Konzepts der Metapolitik, also der
intellektuellen Beinflussung der allgemeinen Meinungsmacht. Der
studierte Philosoph ist ein Meister der zeitgenössischen medialen
Massenbeinflussung. Zur Verbreitung seiner politischen Botschaften hat
Sellner auf mehreren YouTube-Kanälen seit 2017 und 2019 mehr als 400
Videos hochgeladen. Er ist zudem auf alternativen sozialen Medien und
einer eigenen Webseite aktiv, vor allem um Blockierungen wegen
Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen zu entgehen und um den durch
die mediale Popularität erreichten durchaus potenten Spendenstrom nicht
versiegen zu lassen. Von den so generierten Einnahmen kann er leben und
seine Aktionen finanzieren. Auch analog ist Sellner bestens vernetzt.
Seine Frau Brittany Pettibone, eine prominente US-amerikanische
Bloggerin der Alt-Right-Bewegung, hat ihn mit der Szene in den USA
bekannt gemacht. In Deutschland trat Sellner als Redner bei
Pegida-Demonstrationen in Dresden auf und nimmt an Veranstaltungen des
Compact-Magazins von Jürgen Elsässer teil. Darüber hinaus pflegte er
Kontakte zu Björn Höcke und André Poggenburg sowie zu Götz
Kubitschek. Seit 2015 schreibt er für dessen Zeitschrift
„Sezession“ und veröffentlichte in seinem Verlag die Schriften
„Gelassen in den Widerstand“ und „Identitär.“ Zudem beteiligte
er sich an einem Propaganda-Video für Kubitscheks fremdenfeindliche
Kampagne „Ein Prozent für unser Land.“
Wichtig für den Zusammenhang mit der Todesdrohung gegenüber dem
Journalisten Georg Restle ist allerdings vor allem Sellners Teilnahme an
den Veranstaltungen des von Kubitschek initiierten Institut für
Staatspolitik (IfS). Allein die öffentlich zugängliche Liste der
Teilnehmer an den vom IfS organisierten Seminaren macht die
unbestreitbare ideologische Überschneidung von IB und AfD mehr als
deutlich. Restle formulierte diesen ideologischen Zusammenhang in einem
Interview mit dem „Neuen Deutschland“ daher berechtigterweise so:
„Diese Menschen fühlen sich getragen von einer völkischen Ideologie,
die auch durch Parteien wie die AfD immer weiter in die Mitte der
Gesellschaft getragen wird. Insoweit sind nationalistische, rassistische
und antihumanistische Ideologien längst salonfähig geworden.“
Allerdings hat Restle auch erkannt, um was es sich mit dem von der IB
befeuerten Anti-Islamismus der AfD letzten Endes handelt: Nämlich um
ein trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe die Freiheit eingenommen und in
Unterdrückung umgebaut werden soll: „Die Menschenwürde, die
schließlich nicht nur für Deutsche gilt, die Meinungs- und
Pressefreiheit, die Religionsfreiheit, das Antidiskriminierungsgebot.
All diese Freiheiten werden von der AfD angegriffen. Letztendlich
bekämpft der völkische Nationalismus, für den die Partei steht, aber
unser Verfassungsverständnis insgesamt. Genau das meinte ich, als ich
in meinem Kommentar davon sprach, dass man die AfD nicht länger außen
vorlassen könne, wenn man die »Identitäre Bewegung« als
rechtsextremistisch einstuft - unabhängig davon, was man vom
Verfassungsschutz hält.“ Für diese Erkenntnis – eigentlich eine
Binsenweisheit - hat er also eine Todesdrohung erhalten. Wie auch immer
die Wahlen in Sachsen und Brandenburg gestern ausgegangen sein werden,
die Ergebnisse der AfD werden von dieser als Erfolg ausgelegt werden
können. Und jene Kräfte, welche hinter den Morddrohungen gegen Menschen
wie Restle stehen, werden sich durch diese Auslegung bestätigt fühlen
und Morgenluft wittern.
Jedoch zeigt die Erkenntnis Restles auch, wo genau das Problem liegt:
Denn wer sich gegen die Identitäre Bewegung und die AfD mit ihrem
todesverliebten, chauvinistischen, feindschaftlichen und
militaristischen Phantasma eines homogenen Deutschlands stellen will,
muss dieser Bewegung endlich das trojanische Pferd der drohenden
Islamisierung wegnehmen und seine Laufrichtung in die entgegengesetzte
Richtung drehen. Dazu bedarf es allerdings vor allem des Mutes, das Thema
der Einwanderungspolitk Deutschlands und Europas fundamental und radikal
neu angehen zu wollen. Leider ist auf der Seite der Linken weit und
breit niemand zu sehen, der diesen Mut aufbringen will oder die dazu
nötige Kompetenz aufweist.
Ein PS zur Wahl - Von Uli Gellermann
Die Ergebnisse der Landtagswahlen bestätigen die Befürchtungen, die bereits im Artikel "Die Verwechslung von Moral und Politik" formuliert wurden: Die kräftigen Stimmenzuwächse der AfD zeigen deutlich, dass die #unteilbar-Demonstration die Grundstimmung in Sachsen und Bandenburg nicht hat ändern können.
Eine Überschrift der "Tagesschau" weist den Weg zum Verständnis der Wahlergebnisse: "Brandenburg und Sachsen - Viele fühlen sich als Bürger zweiter Klasse".
Der Begriff "fühlen" ist natürlich irreführend. Wer sich an die Wende des Ostens zum Westen erinnern mag:
- 95 Prozent des volkseigenen Wirtschaftsvermögens ging in westliche Hände über.
- Die Zahl der bundesdeutschen Millionäre verdoppelte sich mit der Wende auf über eine Million, während im Osten mit der ersehnten D-Mark die Zahl der Arbeitslosen von null auf vier Millionen stieg.
- Nahezu die kompletten Eliten der DDR wurden gegen westdeutsche Funktionäre ausgewechselt.
Die Bürger des Ostens wurden faktisch in die Zweit- und Drittklassigkeit gestürzt.
Und während in den vielen Jahren nach der Wende die PDS/Linkspartei in erkennbarer Opposition zu den westdeutschen Gewinnern stand, hat sie die Oppositionsrolle offenkundig an die AfD abgegeben. Zum Thema "Einwanderungspolitik Deutschlands und Europas" gab es weder vom Wahlverlierer SPD noch von ihrem Verlustpartner LINKE eine für Wähler plausible Aussage.