Man möchte den Mut verlieren, wenn man nicht durch ein Korsett von Irrtümern gestützt würde.
Fontenelle (1657 – 1757)
JONA KOMM
WIR REDEN UND REDEN
SAG NINIVE
SAG MORGEN MORGEN MORGEN
Johannes Bobrowski
Luther, der Ahnherr aller neuhochdeutschen Dichter, schrieb 1545: Das Fewr auff dem Altar sol brennen / vnd nimer verlesschen (3 Mose 6.12). Dann kam Gott sei Dank die Rechtschreibreform. Auch deshalb hat Ralf Rothmann seinen Roman einer schwierigen Liebe betitelt: Feuer brennt nicht.
Die Story ist schnell erzählt. Der Schriftsteller Wolf und die junge Buchhändlerin Alina werden ein Paar. Sie leben in Westberlin im Kreuzberg, er schreibt und sie studiert. Dann fällt die Mauer und irgendwann stinkt der Kreuzberg beide im wahrsten Sinne des Wortes an. Sie ziehen nach Friedrichshagen, wo alles anders werden soll. Aber ob man in die Hundescheiße tritt in einem Kreuzberger Treppenhaus oder auf der Bölschestraße in Friedrichshagen, das ist ziemlich egal.
Friedrichshagen ist nach Weimar das berühmteste Literaturdorf Deutschlands. Heute liegt es in Berlin, gleich hinter Köpenick. Hier wurde einst der Naturalismus kultiviert. Um die Ecke in Erkner hauste damals Gerhart Hauptmann, der die deutsche Bühne mit seinen frühen Dialektdramen beglückte. Später war Friedrichshagen der weihevolle Ort, wo Johannes Bobrowski in der DDR zwei gewaltige Romane über jenen Osten schrieb, der einmal deutsch war. Den Schriftsteller Wolf hebt das alles nicht an, und deshalb braucht der Autor Rothmann diesen ganzen Bildungsballast nicht einmal zu erwähnen. Ohnehin ist dem fast fünfzigjährigen Romanhelden ein Song von den Babyshambles wichtiger als jedes angeblich gute Buch. Kate Moss ging es ähnlich. Da war sie noch nicht Dreißig.
Friedrichshagen wäre nicht so schlimm, aber der Schriftsteller Wolf hat vergessen, sich gegen den Osten impfen zu lassen. In seiner westdeutschen Wahrnehmung grüßen ihn die Nachbarn absichtlich nicht, die Kellner dienern nicht und die alten Stasis schleichen griesgrämig um die Ecken, anstatt zu grinsen wie Cindy aus Marzahn. Um die Folgen der Midlifecrisis abzumildern, nimmt sich der Wolf zu seiner jüngeren Frau eine ältere Geliebte. Das geht nicht mal im Kino gut, um wie viel weniger in einem psychologischen Roman.
Wer kann einen Dichter besser sezieren als ein Dichter? Die Ausbildung der Neurose des Schreibtischtäters Wolf wird von Ralf Rothmann minutiös geschildert. Es ist eine subtile Grausamkeit zu spüren. Die Vorurteile des Helden werden kommentarlos ausgebreitet, als seien es Aphorismen des Autors. Wolfs schriftstellerischen Narzissmus entblättert Rothmann mit staubtrockener Eleganz. Sie wünscht sich ein Kind, er braucht Ruhe zum Schreiben. Also kommt man auf den Hund.
Der Mensch Wolf frönt einem Hobby und das ist die Erotik. Hierin dem Zeitgeist folgend, verbreitet sich Ralf Rothmann ausführlich über die sexuellen Eskapaden seines Helden, ohne allzu sehr in die modische Schwanzakrobatik abzugleiten. Aber die Kopulationen mit einer feministischen Medienwissenschaftlerin sind immerhin grenzwertig.
Die soliden Schriftsteller teilen sich in das kleine Häuflein der Jäger und die große Gruppe der Sammler. Früher jagte Mann Großwild. Erst seitdem das Viehzeug unter Artenschutz fällt, sind es Terroristen. Gesammelt wurden in der Vergangenheit vor allem Bücher. Das ist nicht mehr zeitgemäß und deshalb sammelt der Schriftsteller von heute Wertstoffe, vor allem Rotweinflaschen. Die beliebtesten Romanciers waren zu allen Zeiten eher unsolide: Erotomanen, Säufer und Junkies.
Wolf, der ein gefühlter 68er ist, erfreut die treue Alina zu seinem Fünfzigsten in Paris mit dem ehrlichen Geständnis seines Doppellebens. Und die liebende Frau, die ihm die Dosensuppen und die Füße aufgewärmt hat, von der Steuererklärung und dem Hausputz mal ganz zu schweigen, sie lässt ihn schweren Herzens gewähren. Und Alina tut noch mehr. Als sie unheilbar erkrankt, befreit sie ihn von ihrer Gegenwart. Er soll sie nicht pflegen müssen. Denn es ist auch der Roman der großen Liebe einer Frau zu einem Mann.