Einmal saß der mit Ruhm überschüttete Schriftsteller Daniel Kehlman sinnend an seinem Schreibtisch: Nun habe ich schon, ging es ihm durch den Kopf, den WELT-Literaturpreis und den Literaturpreis der Konrad Adenauer Sttiftung, die Kritik nannte mein Werk "Die Vermessung der Welt" groß, es gibt in Wien Oberkellner, die mich grüßen und in Berlin hat mir ein Mädchen auf der Kastanienallee sogar mal ein Eis geschenkt. Doch wenn in einem Gespräch über Literatur der Name Kafka fällt, dann fällt der Name Kehlmann hinten runter. Ich müsste mal, sagte Daniel Kehlmann zu sich, ich müsste mal was kafkaeskes schreiben. Natürlich modern. Nicht die Verwandlung eines Angestellten in ein Monster zum Beispiel. Sondern eher, wie die neue Kommunikationstechnik uns alle in Monster verwandelt.

Es ist der T-Com-Roman, den Kehlmann uns mit "Ruhm" vorlegt. Und jeder kennt ihn: Es klingelt, man geht ran. Oder auch: Man ruft an und es nutzt nichts. Oder man bekommt ein paar Tage keinen Anschluss, sondern nur dumme Antworten von irgendeinem Service-Center. Das ist banal und blöde. Aber nicht grauenhaft und böse. Und vor allem: Jeder kennt es. Daniel Kehlmann aber will es uns allen erneut erzählen, mit den bekannten, gewöhnlichen Folgen. So nimmt der "Roman in neun Geschichten" seinen Anfang damit, dass ein Computer-Techniker eine Handy-Nummer zugewiesen bekommt, die es bereits gibt: Die eines bekannten Schauspielers.

Der Schauspieler wird dann als running gag durch die Geschichten des Romans gereicht, streift hier einen Schriftsteller, taucht dort selber auf, versinkt, kommt wieder. So etwas, denkt Kehlmann, schweißt die Geschichten zu einem Roman zusammen. Deshalb gibt er auch die Figur des Schriftstellers gerne von der einen Geschichte in die andere: Das ist, erzählt uns die Konstruktion, der eine Strang, der mit der neuen Kommunikation. Der andere ist dieser eitle Schriftsteller, der begleitet uns dann bis zum Ende des Buches. Zwischendurch erfindet die Figur des Schriftstellers einen Schriftsteller, der wiederum erfindet eine Figur, die nicht erfunden werden will. Der staunt der Leser und der Kritiker wundert sich.

Weil die neue Technologie - das mobile Telefonieren, das Internet und die Mailerei - eine Massenerscheinung ist, kann die Elite, zu der selbstverständlich Kehlmann gehört, diese Erscheinung nur vulgär finden. Und damit Kehlmanns Leser das auch wirklich begreifen, präsentiert er uns den User, wie er ihn sich vorstellt: Ein fettes Muttersöhnchen, das Tag und Nacht irgendwelche Kommentare postet und die Chatrooms verseucht. Natürlich findet der die Papiermedien korrumpiert, der Mensch wäscht sich nicht und redet diesen primitiven Blogger-Dialekt, den Kehlmann nachahmt, wie alte Säcke versuchen Jugendsprache zu imitieren. Das ist so peinlich, dass man versucht ist das Buch wegzulegen. Peinlicher noch ist die dumme Denunziation: Wer die Zeitschriften als gekauft empfindet ist, folgt man Kehlmann, ein geschwätziger Verschwörungsheini.

Irgendwann im Verlauf der verwirrten T-Com-Story treffen wir dann auch auf den, der den Nummerntausch als Abteilungsleiter in einer Telekommunikationsfirma zu verantworten hat. Der betrügt seine Frau hat aber ein schlechtes Gewissen. Und während früher der Betrug über das Festnetz funktionierte, und noch früher über Briefe und bei den Indianern über Rauchzeichen, läuft es jetzt über das Handy: "Wie ging das eigentlich früher vor sich? Wie log und betrog man, wie hatte man Affären, wie stahl man sich fort und manipulierte und richtete seine Heimlichkeiten ein ohne die Hilfe hochverfeinerter Technologie?", lässt Kehlmann seinen Abteilungsleiter fragen und die Antwortet der Wirklichkeit lautet: Man tat es.

In seiner elitären Verachtung für ein Werkzeug, die moderne Kommunikationstechnologie, gelingt Kehlmann kein Meisterstück, wie er annimmt, er legt ein reaktionäres Geisterstück vor: Man ist doch kein Mechaniker, man macht sich die Hände nicht schmutzig, man fasst kein Handy an, lautet die Devise. Kehlmann übersieht, dass das einzig wirklich Neue der neuen Technologie der daraus mögliche Wissenszuwachs für jedermann ist. Neben jeder Menge Sprach-Müll, neben dummer Jederzeit-Verfügbarkeit - alles Erscheinungen, die es auch auf anderen Ebenen technischer Entwicklung gegeben hat, nur mit langsameren Zugriffszeiten - ist es diese demokratische Möglichkeit, die dem Netz mehr zuweist als die Übersetzung der Postkutsche in die Neuzeit. Dass zu erkennen bedarf es mehr als die Pose der Verachtung.

"Ich habe meines erst seit kurzem", sagt eine von Kehlmanns Figuren, "Ich finde es unheimlich. Es nimmt die Wirklichkeit aus allem", glaubt die Geliebte des erwähnten Abteilungsleiters in ihrem mobilen Telefon zu erkennen erkennen. So, als sauge das Handy die Realität aus dem Leben der Menschen. Kehlmanns Wirklichkeits-Ausschnitt besteht aus seinem eigenen Schreibtisch. Und genau so wenig unheimlich ist er auch. Vielleicht sollte Kehlmann einen Lehrgang besuchen: Wie finde ich den "Aus"-Knopf an elektronischen Geräten. Und wenn er ihn dann gedrückt hat, dann ist alle Luft raus und das Unheimliche weicht dem Heimeligen und das Krokodil hört auf zu weinen.