Da kommt sie rüber, diese Stimme zwischen Göre und Giesela May, da lässt sie sich vom burlesken Männerchor ihrer Band umspielen, da gibt sie sich mondän oder ausgeflippt, da hat es Melancholie und Wärme, da trifft sie den Nerv und zieht auch noch daran, und alles für das selbe Geld: Die neue CD "Immer noch immer" der Barbara Thalheim ist auf dem Markt. Aber ist Markt nicht schon das falsche Wort, sicher, man kann sie erwerben, die CD, aber nicht die Barbara, die erneut unter Beweis stellt, dass man ihr den Schneid nicht abkaufen kann, nicht die Thalheim, die unbekümmert zwölf (!) Musiker in diese kleine flache CD eingebaut hat. Und während sich in mir der Krämer windet (was das kostet!) streut sie mit vollen Händen die Arrangements umher, als hätte sie im Kofferraum noch eine weitere Band.

"Ick wundere mir über janischt mehr", zitiert die Sängerin Otto Reuter in einem Lied, das nur vom Wundern handelt und davon, dass die Kurzsichtigen als Visionäre gelten dürfen, weil das Gestern schon wieder modern geworden ist. Ich könnte sie jetzt foltern, die Thalheim, wenn sie meinen Text läse und ich Text-Exegese betreiben würde, aber bin ich Bibelforscher oder immer noch gläubig? Ne, mehr als zwanzig Jahre KP sind genug. Also "Immer noch immer", überlegt der Titelsong, und er französiert stark, nicht nur weil der kongeniale Jean Pacalet sein Luxusakkordeon in eine Ahnung von Musette treibt, sondern auch, weil die Thalheim, durchaus des Schangsongs mächtig, der Wehmut Zucker gibt und dem "Trotz alledem" elegant ausweicht, um sich immer noch, immer wieder, dem Atmen und Singen zu widmen. Da hätten wir eine Bitte Frau Thalheim, könnten Sie das auch weiterhin tun?

Eben noch in Frankreich eilt die CD nach Afrika, der Drummer schleicht sich langsam an, Hüften wiegen sich, wo kommt Miriam Makeba so plötzlich her, und ein Text erzählt vom Einfachen, dass so schwer zu erklären ist und wer bei diesem Lied nicht gerührt ist, dem wird sofort der CD-Führerschein entzogen und er wird mit Dieter Bohlen nicht unter drei Jahren bestraft. Apropos Rühren: Wenn denn das Schubert-Lied "Am Brunnen vor dem Tore" ins Heute übersetzt wird und "Vorm Brandenburger Tore" heißt, fährt ein Schauer den Rücken herunter. Wohl weil die Thalheim hier verschlüsselt von ihrem Krebs erzählt, von den Widrigkeiten der Denunziation, den Unbilden einer Wende, die sie nicht wenden konnte. Aber auch, weil dieser Pacalet ganz pastoral beginnt, um dann die Berliner Linden, sie wissen schon, die von Unter´n Linden, sacht und mählich in die Elysischen Felder überführt, und die Thalheim die singt, als gäbe es kein Morgen.

Also, liebe Barbara, ick muss Dir uff diesen Weje - zuhören tätest Du mir sowieso nich, musste mir eben zulesen - zwei Missfallen sagen, wat sage ick: unterbreiten! Das erste Missfallen betrifft das Lied "Frauenmacht", mit dem Du Dich so herzlich über eine Reihe von Frauen freust, die Regierungschefinnen geworden sind. Zwar ziehst Du die Freude in einer der Strophen ein wenig zurück, aber was bleibt ist: Red mir nicht ein, Frau Merkel, Frau Thatcher oder gar Frau Golda Meir wären Fortschritte gewesen, Miss-Fallen waren sie, sonst wenig. Und dann singst Du noch hässlich über den Berliner Bezirk Neukölln, das mag angehen, ich wollte da auch nicht wohnen. Was nicht angeht, ist der Refrain, in dem Du behauptest, Du gingest lieber nach Afghanistan als nach Neukölln. Da behaupte ich: Hier weisst Du nicht so richtig worüber Du singst.

Aber wer ein Lied wie "Kinderland" auf die Beine stellt, dem ist alles zu verzeihen. Da wispert die Thalheim, da schmeichelt sie, da gießt sie Wärme über die Ohren und den Verstand, da wären wir gerne mit ihr Kind gewesen, im "flachen, flachen, Kinderland". Und wenn dann erzählt wird, dass das Land abgebrannt ist, und wir alle wissen, dass es die versunkene DDR ist, in der das Kinderland der Thalheim lag, dann geht es nicht um dämliche Ostalgie, es geht darum sich erinnern zu können und sich seine Sentiments nicht von den klischierten Ressentiments der Siegermacht überwölben zu lassen.

Und dann kommt noch ein Lied und noch eins, eines über Willy Brandt und ein sehr bluesiger Blues, zwischendurch eines zur Arbeitslosigkeit mit einer lyrischen Gitarrenbegleitung vor der man bass erstaunen kann, und schon sind wir fast am Ende der CD. Aber weil das Frollein Thalheim nicht anders kann als großzügig, gibt sie noch einen Bonustitel aus. Und während sonst Bonusmaterial das Zeug ist, was man eigentlich weggeworfen hätte, aber da war ja noch Platz auf der CD und warum eigentlich nicht, da ist es mit dem Titel "In eigener Sache" ganz anders. Da ist die Thalheim so, wie sie in immer meinem Kopf ist: Die Arme in die Hüften gestemmt, wurschtig und mutig, frech und unbekümmert singt sie aus dem Lied heraus und ich freue mich schon, denn der Bonus kommt noch mal, diesmal auf französisch und ich verstehe gar nix, höre aber begeistert noch mal zu. Ja bin ich denn meschugge, mir ein Lied zweimal hintereinander anzuhören? Ja, bin ich, und ich bin es gern, so ist es eben mit der Thalheim. Kaufen Sie sich Ihre CD gefälligst selbst, ab Januar.

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