Dem medialen Sog einer römischen Sedisvakanz kann sich kaum ein journalistisches Periodikum entziehen, nicht einmal die Apotheken-Rundschau, die erklären sollte, dass es sich dabei nicht um ein Abführmittel handelt. Auch nicht die RATIONALGALERIE, denn ein Weltereignis, noch dazu, wenn es brandaktuell ist, muss seinen zeitnahen Niederschlag finden, zumal es an philosophische Dimensionen kratzt: Papstlosigkeit, Stuhlleere, Sitzverwaisung, ja wörtlich "Sesselwanderung", das ist mehr als Einladung und Aufforderung, sich über den Begriff des Abwesenden, des Nichtvorhandenen, schlechthin des Nichts Gedanken zu machen. Rom ohne Papst ist wie Bundespolitik ohne Merkel, Tagesschau ohne Wetter, Physik ohne Einstein, Raum ohne Zeit, Weltall ohne Sterne. Dagegen verblassen die Niederungen der Tagespolitik, die erdumspannende Armut, der globale Hunger, die weltweiten Kriege. Da kommt keine Bildungskatastrophe heran und kein Brüderlewitz. Da ist Schluss mit Lustig, gerade für Katholiken, zumal Fastenzeit ist und eh alles in violett gehalten. Aber nicht nur: Auch Anders-, Falsch- und Nichtgläubige starren gebannt auf die Flachbildschirme voller Nullgestammel und Nichtinformation. Sage niemand, die Kirche vermöge keine Wunder zu vollbringen!
Die Trauer, das Bangen, das Hoffen überfällt die internationalen Medien wie sonst nur bei Nine Eleven oder nach Fukushima. Die Erde scheint still zu stehen, solange kein Alien-Stellvertreter den Klerikalkonzern durch die Stürme der Zeit lotst wie Petrus weiland seinen Fischerkahn über den See Genezareth. Deshalb hat sich auch die RATIONALGALERIE nach langen und schließlich gegen allzu rationale Bedenken durchgerungen, einen eigenen Korrespondenten über die Alpen zu entsenden, ausgestattet mit zwei Fischen und fünf Laib Brot als Wegzehrung. Das möge durchaus genügen, wenn der sich nur mit diesem überaus bescheidenen Spesensatz zum Tiber durchschlagen könne, zumal im Bannkreis des Petersdoms mindestens mit Wundern zu rechnen sei. Derweil wurden in der Heimatredaktion reihenweise Dossiers zu allen Purpurträgern erstellt, die irgendwie als "pababile" gelten konnten, denn fast jeder dürfte einen Dreck am Stecken haben, der sich mit ein bisschen Recherchenaufwand aufdecken lassen würde. Es gab keine eindeutigen Favoriten. Und wenn schon einen Lateinamerikaner, dann den brasilianischen, aber doch zumindest deutschstämmigen Otto "Odilo" Scherer (63) aus Sao Paolo. Dann wären "wir" wenigstens weiterhin "Halbpapst".
Zusätzlich bekam der Berichterstatter ein Mauskostüm mit auf den Weg, denn ohne Mäuschen zu spielen würde kein Hineinkommen sein in die hermetisch abgeschottete Sixtinische Kapelle. Die wurde nicht nur (vom Filmhersteller Fuji finanziert) vorbildlich restauriert und von späteren züchtigen Übermalungen befreit, sondern auch mit einem extra gezimmerten Holzboden ausgelegt zum Niveauausgleich wie zur Schonung der wertvollen Bodenmosaiken. Jedes Schamhaar wurde gefilzt, und der Raum wanzenabweisend mit doppeltem Boden gesichert. In diesem glanzvollen Panoptikum nackter und halbnackter Leiber, wallender Wolken und kunstvoll geraffter Gewänder, üppig gemalt von Michelangelo, Botticelli und Perugino, sollte nun das Vakuum gefüllt und ein neuer Papst gewählt werden. Draußen durfte das Volk warten, ohne etwas zu sagen zu haben. Gaffende, zeitschindend fabulierende Reporter, hunderte festjustierte Kameraobjektive, sogar Direktübertragungs-Standleitungen, die nichts anderes zeigten als ein verlängertes Ofenrohr, in das die Welt nicht einmal hineinschauen konnte, und dennoch nicht ablassen mochte auf dessen bedeckeltes oberes Ende über den Dachschindeln zu starren in Erwartung eines weißen Rachfähnchens, ähnlich wie die Ureinwohner der Osterinseln hinaus aufs Meer vor der Ankunft des "weißen Mannes". Die faszinierend exotischen römischen Sitten, Riten und Gebräuche gaben indes kaum Anlass zu kunsthistorischer oder ethnologischer Erforschung und kritischer Hinterfragung, sondern zu beinahe bildschirmflächendeckend distanzloser Anteilnahme bis hin zu kniefälliger Bewunderung. Schluss nun mit despektierlichen Fragen nach der Vatikanbank! Kein Geraune mehr über klerikale Schwulenpartys bei scheinheiliger päpstlicher Homosexuellen-Schelte, kein Wort mehr über Missbrauch und schon gar nicht über den jahrhundertealten Brauch bigotter Schweinepriester, die ihre Chorknaben und Ministranten die christliche Nächstenliebe hautnah und schmerzensreich spüren ließen. Stille, Schweigen, Silentium! Aus die Maus. Ergriffenheit!
Auf dem Petersplatz angekommen wurde der Korrespondent in seinem Mauskostüm sofort als verkleideter Reporter erkannt und enttarnt, und musste sich dem falschen Bischof "Basilius" aus Berlin, der sich als Oberhaupt der "Orthodoxen Kirche Italiens" ausgab (die nicht existiert, obwohl es dort ziemlich rechtgläubig zugeht), geschlagen geben. Diesem Daniel Kapiersky war es immerhin gelungen, den eintrudelnden Kardinälen aus aller Welt jovial die Hand zu schütteln, aber auch er hat nichts aus ihnen herausgebracht, weil doch jedes Plaudern über die anstehende Wahl mit nichts wenigerem als prompter Exkommunikation bestraft worden wäre. Die Schweizer Garde hat beide höflich aber bestimmt hinaus komplimentiert. Dann erst war der Weg frei für ein ungestörtes Konklave. Die Anrufung des Heiligen Geistes konnte nach der Generalkongregation und einer feierlichen Missa "Pro Eligendo Romano Pontifice" beginnen mit dem Ruf: "Extra omnes!" Alles raus! Auf Latein klingt es nicht gar so barsch.
So zogen die wahlberechtigten 115 Kardinäle in Zweierreihen und Purpurrot krächzend und brummsingend in die Sixtina ein: "Venit creator Spiritus", und dachten dabei weder an alkoholische Getränke noch an die Lösung der Ölkrise, sondern nur an das Eine: Der Schöpfergeist möge über sie kommen und ihren Wahlvorgang überschatten. Denn nach ihrem Glauben wird der Papst von Gott bestimmt, sie selbst sind nur ausführende Organe, quasi die Stimmzettelbeschrifter und Urnenhalter eines höheren Ratschlusses. Vier Wahldurchgänge pro Tag, zwei vormittags, zwei nachmittags, mit vorgedruckten Zetteln, auf denen stand: "Eligio in Summum Pontificem", die mussten sie ausfüllen in möglichst neutraler lateinischer Schrift (auch die Chinesen!) und zweimal gefaltet einzeln hochhaltend nach vorne bringen angesichts des Gemäldes vom Jüngsten Gerichts (Kardinal Lehmann: "Das geht einem schon durch Mark und Bein") und diskret abgeben. Möglichst mit Pokerface, um ihr Votum geheim zu halten, nicht so wie bei Günter Jauch, dem der Sieger bei "Wer wird Millionär" angeblich die richtigen Antworten aus dem Gesicht lesen konnte.
Zur Papstwahl gibt es weder einen 50:50- noch einen Publikums- oder Telefon-Joker, sehr wohl aber einen Zuschauerjoker: Per Internet konnte man einen Kardinal adoptieren, um ihn mit Gebeten zu begleiten, damit er die richtige Eingebung bekommt. "Adopt a cardinal", eine Initiative aus Bayern, bekam innerhalb zweier Wochen 450.000 Anfragen aus aller Welt, bis aus Indien, Peru, Bolivien, aus den USA, von den Philippinen oder Trinidad and Tobago. Es dauerte einige Minuten, und schon erhielt der User einen der mächtigen Kirchenfürsten zugeteilt gemäß der Anweisung: "Bete einen kurzen Augenblick für den Heiligen Geist, damit du deinen Kardinal ziehst, und klicke dann auf den Button unten". Wer dazu seine E-Mail-Adresse eingab, bekam den Namen eines der zugelassenen Papstwähler zugeteilt. Danach galt es nur noch fürzubitten, dass der Patenkardinal den Willen des Heiligen Geistes erkenne und ihm auch seine Stimme gibt. Weil es (wie bei einer Wahl gewöhnlich) demokratisch zugehen soll, hat die Internetseite garantiert, dass die Gebete auf alle Kardinäle gleichmäßig verteilt werden: "Wir wollten dafür Sorge tragen, dass die Leute nicht nur für die beliebten (oder beleibten?) Kardinäle beten", sagt einer der Betreiber. Die Rückmeldungen fielen entsprechend gemischt aus. "Wir wissen von Leuten, die ihren Kardinal eigentlich gar nicht mögen, aber trotzdem für ihn jetzt beten". Das ist fast wie bei der Bundestagswahl. Aber was tut man nicht alles in der faden Zeit zwischen zwei Brückenbauern, die man selbst nicht wählen darf, um die gigantische Leere zu überbrücken! Dem mündigen Christen bleibt da nur zu beten, ob virtuell oder spirituell ist quasi dasselbe.
Da mag Kim Il Un den Atomkrieg ausrufen oder Peer Steinbrück verkünden, "links der Mitte" fischen zu wollen, es ist nichts gegen das große Nichts aus Rom. Keine Bombe schlägt so ein wie das Bild eines kärglichen Ofenrohrs, das in den Himmel stakt, und zweimal am Tag heiße Luft in den Himmel pustet, umwölkt von einer geheimnisvollen schwarzqualmenden Substanz (früher feuchtem Stroh, heute Kaliumperchlorad, Antracen und Schwefel), das solange betrachtet und besprochen wird, bis die Chemie zwischen Gott und der Kurie stimmt und endlich weißer Rauch aufsteigt (ebenfalls Kaliumperchlorad, aber dazu Milchzucker und Kolofonium, wie es jeder Geigenspieler kennt, dieses wohlriechend harzige "griechische Pech"). Darauf musste diesmal nicht lange gewartet werden, denn schon am Ende des zweiten Tages nach dem fünften Wahlagang war es soweit. Die Chemiker und Pyrotechniker des Vatican hatten bis abends um sieben nach sieben ganze Arbeit geleistet: Ein kollektiver Aufschrei gellte unter 200.000 Regenschirmen hervor.
Um 20.22 Uhr dann der große Moment: Jorge Mario Bergoglio trat als "Franziskus I." auf die Benediktions-Loggia, in schlichtem Weiß und ohne hermelinbesetzte Mozetta, diesen prunkvollen Purpur-Umhang, den sein Vorgänger vor acht Jahren so eitel vorgeführt hatte. Glockengeläut, Musik und Trallala, ein neuer Papst ist wieder da: "Buona sera", begrüßte er die "Brüder und Schwestern", die betröpfelt im Regen standen. Unbändiger Jubel schwoll zum feuchten Firmament. Dann ließ er zunächst mal für sich beten, bevor er seinerseits den Segen "der Stadt und dem Erdkreis" erteilte. Ein bescheidener, krankheitsbedingt asketisch lebender "Papa der Armen", der im schwarzen Mantel und ohne Kardinalshut durch Rom geistert, so wie er auch in Buenos Aires schon mit der U-Bahn oder mit dem Bus zur Kathedrale an der Plaza del Mayo gefahren ist, wo sich seit 1977 jeden Donnerstag die "Madres", die Mütter der Verschwundenen trafen, um nach ihren entführten und ermordeten Söhnen zu suchen auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude, und dort, mit weißen Kopftüchern gekennzeichnet, stillschweigend Runden um den Platz vor der Casa Rosada drehten. Diese gewaltlose Protestform war von den Militärs aus Angst vor einer Radikalisierung der Opposition geduldet worden.
Aber da liegt der Hase auch schon im Pfeffer: Bergoglio machte nämlich just zu jener Zeit Karriere, als in Argentinien brutale Militärdiktatur herrschte (1976-1983), und unter seiner Ägide als Novizenmeister und Theologiedozent an der Hochschule San Miguel (1973 bis 1979) "verschwanden" zwei seiner Zöglinge, die Jesuiten-Patres Franz Jalics und Orlando Yorio, im Jahr 1976. Der Menschenrechtsanwalt Marcelo Perrilli warf ihm das 2005 vor, darein verwickelt gewesen zu sein, und erstattete deshalb Anzeige gegen Bergoglio bei einem Gericht in Buenos Aires. Ein Sprecher des Kardinals bezeichnete die Anzeige zwar als Verleumdung. Doch die Indizienlage spricht zumindest für eine Mitschuld des frisch gekürten Papstes: Nachdem sie wieder freigekommen waren, hatten Jalics und Yorio gegenüber dem Generaloberen des Jesuitenordens Pedro Arrupe in Rom ausgesagt, sie seien von ihrem Jesuiten-Provinzial denunziert worden. Noch während die beiden Priester verschwunden waren, hatte Bergoglio dem Generaloberen Arrupe brieflich mitgeteilt, Jalics und Yorio seien aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen worden. Bergoglio selbst erklärte dazu, er habe wenige Tage vor dem Staatsstreich 1976 die beiden Patres vor bevorstehender Gefahr gewarnt. Er habe ihnen angeboten, im Jesuitenhaus Schutz zu suchen. Die beiden Priester, die in Elendsvierteln von Buenos Aires wirkten, sollen nach seinen Angaben dieses Angebot abgelehnt haben.
Während der Militärdiktatur kam es zu weiteren Entführungen und Misshandlungen von Seminaristen, Mitarbeitern des Colegio Máximo San José und politischen Aktivisten in San Miguel, einige davon unter Beteiligung des Jesuitenpaters Martín González. Betroffene und Zeitzeugen sind der Ansicht, dies hätte nicht ohne das Wissen Bergoglios geschehen können, der während seiner Amtszeit als Ordensprovinzial seinen Sitz im Colegio Máximo hatte, und dann als Rektor der Theologischen Fakultät von San Miguel vorstand, von 1980 bis 1986. Im Jahr 2010 erklärte der ehemalige Jesuit Miguel Ignacio Mom Debussy, der Bergoglio als Chauffeur gedient hatte, dieser habe sich während der Diktatur mehrfach mit dem Junta-Mitglied Admiral Emilio Eduardo Massera getroffen. Bergoglio habe gesagt, es sei ihm bei den Treffen darum gegangen, den Jesuitenorden und seine Novizen zu schützen. Doch habe Bergoglio "nicht ablehnend" über Masseras politische Pläne gesprochen.
Bereits in ihrer Regierungserklärung hatte die Militärjunta von Anfang an erklärt, ihre Politik an der Basis christlich-konservativer Werte auszurichten, aber gegen die Guerillaorganisationen und sonstige Akte so genannter Subversion vorzugehen. Bereits kurz nach der Machtübernahme hatte General Luciano Benjamín Menéndez großangelegte Säuberungskationen angekündigt und dabei auch den Tod von (selbst nach Maßstäben der Junta) Unschuldigen in Kauf genommen: „Wir werden 50.000 Menschen töten müssen. 25.000 Subversive, 20.000 Sympathisanten und wir werden 5.000 Fehler machen.“ US-Außenminister Henry Kissinger sagte Vertretern der Militärdiktatur 1976, er hoffe, dass sie ihr „Terrorismusproblem so schnell wie möglich unter Kontrolle bringen“ würden. Der argentinische Außenminister Guzzetti, der mit scharfer Kritik an den Menschenrechtsverletzungen seiner Regierung gerechnet hatte, war danach in „euphorischer Stimmung“. In den nächsten sieben Jahren ermordeten die Militärs bis zu 30.000 Menschen, die sie überwiegend spurlos verschwinden ließen, als "Desaparecidos". Eine gründliche Aufarbeitung der Verbrechen während der Diktatur begann erst unter dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Raúl Alfonsín, wurde jedoch auf massiven Druck des Militärs nach wenigen Jahren weitgehend eingestellt und erst ab etwa 2003 unter Präsident Néstor Kirchner wieder aufgenommen.
Ausgerechnet der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, wusste Bergoglio nach der Wahl zu loben, dieser habe "engagiert die Aussöhnung zwischen den gesellschaftlichen Gruppen Argentiniens nach den Verbrechen der Diktatur angegangen". Das klingt sehr franziskanisch, dieses Vergeben und Vergessen und Selbstentschuldigen, und erinnert ein wenig an die alles verzeihende gütige "Hilfe für Bedrängte", die der Vatican 1945 ff. für Kriegsverbrecher und Faschisten organisiert hatte, an die "Rattenlinie" nach Uruguay und Argentinien für flüchtige Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg. Solcherart "Conziliatione" mögen manche Italiener. Der Mensch und Natur versöhnende Hausheilige Franziskus stammte schließlich aus Assisi und ist auch noch Schutzpatron Europas. Passender geht's doch gar nicht.
Zuvor das Vaterunser und ein Ave Maria für den Vorgänger, und schon waren der Bischof von Rom und seine Gläubigen gemeinsam auf dem Weg in die Brüderlichkeit vereint. Ist nicht schon die Namenswahl Hinweis genug, dass es die Katholiken künftig mit noch mehr Bescheidenheit, aber dafür mehr Emotion und Herzlichkeit zu tun bekommen werden, mit einem echten Populärpapst, der sanftmütig und geduldig wie zu den Tieren spricht? Jedenfalls war es mäuschenstill auf dem Petersplatz, während er für sich beten ließ.
Nicht einmal der Korrespondent im Mauskostüm tat einen Mucks. Als erster Ordensmann seit 160 Jahren auf dem Papstthron, als erster Jesuit überhaupt, als erster Nicht-Europäer seit 1272 und als erster Lateinamerikaner sowieso darf er sich rühmen lassen, aber keinesfalls als "Theologe der Befreiung". Damit hat er nichts an der Mitra. Überhaupt wird nun weniger Theologie vom Pontifex erwartet nach dem doch eher kopflastigen Benedikt. Mehr Gläubigkeit und weniger Intellekt sind wohl angesagt. Die lästigen meist europäischen Diskussionen um Abschaffung des Zölibats oder gar Frauen fürs Priesteramt dürften alsbald verstummen, wenn der gelernte Chemiktechniker ex cathedra populär-argentinisch geräuschvoll auf den Putz haut und gegen die Armut wettert, so allgemein wie folgenlos, wie sich das eben gehört als Franziskus in aller Selbstbescheidung. Dabei mischt er sich durchaus in die Politik ein, und legte sich mit der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner gerne an, etwa wenn es um die Gleichstellung von Homo-Ehen geht. Er sprach von einem „echten und bitteren anthropologischen Rückfall“ und von einer "moralischen Misere". In einem Brief an die Klöster von Buenos Aires schrieb er: „Lasst uns nicht naiv sein, wir reden nicht von einem einfachen politischen Schlagabtausch; es ist eine destruktive Anmaßung gegen den Plan Gottes. Wir reden nicht über ein bloßes Gesetz, sondern eher eine Intrige vom Vater der Lügen, welche die Kinder Gottes zu verwirren oder zu täuschen versucht.“ Er sah quasi den Teufel am Werk. Das war und ist die offizielle Linie. Jesuiten gelten generell als besonders papsttreu. Kirchner konterte, der Ton des Kirchenmannes erinnere sie an „Mittelalter und die Inquisition“.
Immerhin sei nicht verschwiegen, dass der gelegentlich als „wortkarg und medienscheu“ bezeichnete Jesuit bei den argentinischen Eliten immer wieder mal für "soziale Gerechtigkeit" geworben und allzu krasse Defizite in der Sozialpolitik bemängelt hat. Eine politische Rolle von Priestern lehnt er allerdings grundsätzlich ab. Als "konservativ in Fragen der kirchlichen Morallehre“ wird er besonders dafür gerühmt, dass er soziale Bewegungen politisch linker Ausrichtung unterstütze wie die Bewegung der ausgeschlossenen Arbeiter MTE, die Müllsammler in Genossenschaften vereint, oder die Stiftung La Alameda, die für die Rechte versklavter Textil- und Landarbeiter kämpft. Dass er das Kirchenvermögen dennoch nicht gleich an die Bedürftigen verteilt, dafür werden Kurienkardinal Bertini und die Opus-Dei-Fraktion Vorkehrungen getroffen haben. Etwas Opium Dei muss dem Volk genügen. Das darf der "franziskanische" Jesuit nun in die Menge streuen.
Der Mann gilt als konservativ, aber nicht reaktionär. Er war übrigens schon vor 8 Jahren relativ hoch gehandelt worden. Im Konklave 2005, bei dem ebenfalls 115 Kardinäle wahlberechtigt waren, soll Bergoglio laut Zeitungsberichten, die sich auf die Tagebuchaufzeichnungen eines anonymen Kardinals stützten, im ersten Wahlgang 10, im zweiten Wahlgang 35 und im dritten Wahlgang 40 Stimmen erhalten haben. Danach soll er auf die Kandidatur verzichtet und somit das Pontifikat von Ratzinger ermöglicht haben. Auch dieser wurde anfangs fälschlicherweise als "fortschrittlich" eingestuft.
Nun wird es zu Ostern gleich noch den zweiten Urbi-et-Orbi-Segen zur Erlassung sämtlicher Sünden geben für "alle, die guten Willens sind". Es darf also hurtig gesündigt werden bis zur nächsten Generalabsolution. Das ging ja diesmal flott. Es soll auch schon über tausendtägige Konklaves gegeben haben, und Ostern wäre dann ausgefallen. Da hätte die Kirchengeschichte einiges zu bieten. Nur eines stand bereits vor der Einkerkerung der Kardinäle felsenfest wie Petris Stuhl: Eine Frau würde nicht Papst geworden sein können, bei aller langatmigen Wunder- und Wandlungsfähigkeit der Katholischen Kirche. Es steht also auch keine direkte Überschattungsgefahr ins Haus, und damit auch keine Erlösung unmittelbar bevor. Das dauert noch etliche Weltuntergänge.
P.S.: Die eingeschweißten Fische wurden an einen Asterix-Leser verliehen und das Brot an hungrige Klosterfrauen verteilt. Ein Teller Spaghetti Aglio e Olio tat's auch, obschon die billigsten Osterias überfüllt waren. Wenn nur der Zug nicht am Brenner im Schnee stecken bleibt! Zum Glück hält das Mauskostüm mollig warm.