Was ist der Unterschied zwischen dem jüdischen Witz und dem „Judenwitz“ vom Fascho-Biertisch? Ganz einfach: Der erstere hat Witz, der zweite ist ein Witz. So etwa könnten auch die filmenden Brüder Ethan und Joel Coen antworten, und wenn sie ihren neuesten Film mit „A Serious Man“ betiteln, kann man trotzdem sicher sein, dass ihr ernsthafter Titelheld Larry Gopnik auch durchaus komische Züge trägt. So sehen wir den Physikprofessor vor sichtlich gelangweilten Studenten, denen er die Heisenbergsche Unschärferelation zu erklären versucht. Roger Deakins’ Kamera rückt mit hintersinniger Chuzpe eine riesige vollgeschriebene Hörsaaltafel ins Bild, vor der Professor ähnlich hilflos wirkt wie auf dem Dach seines Hauses beim Versuch, die Fernsehantenne auszurichten.

Für Geschichten mit doppeltem Boden waren die Coens schon immer gut, zuletzt in der Geheimdienst-Groteske „Burn After Reading“. Doch während sie ihre jüdische Sozialisation sonst außen vor hielten, ist ihr neuester Streich ganz autobiografisch voll mit der Schtetl-Atmosphäre anno 1967 in St. Louis Park, jenem Vorort von Minneapolis, in welchem sie aufwuchsen, und wer will, der kann in Gopniks 13-jährigem, kiffendem Sohn Danny getrost ihre Erinnerungen an die eigene Jugend verkörpert sehen. Vater Gopnik dagegen erscheint eher wie ein Hiob unserer Zeit, dem der Allmächtige sämtliche Plagen schickt: Gattin Judith will die Scheidung, die Kinder bestehlen die Eltern, ein verrückter Onkel okkupiert dauernd das Bad und wird wegen Glücksspiel und Unzucht festgenommen, Larrys Job gerät durch einen unzufriedenen Studenten und anonyme Briefe in Gefahr, und zu allem Überfluss gibt es auch noch den streitsüchtigen Nachbarn Mr. Brandt, dessen Judenhass offenbar nur noch von seinem Hass auf Asiaten übertroffen wird.

So detailgenau das alles beobachtet oder aus der Erinnerung hervorgekramt wird, ist es doch nie bloßer Realismus. Schon der im Stil alter Stummfilme inszenierte und in Jiddisch gesprochene „Prolog“, dessen Handlung ein Jahrhundert früher in einem osteuropäischen Schtetl angesiedelt ist und listig mit dem alten jüdischen Mythos vom Dibbuk spielt, hat keinen realen Bezug zum eigentlichen Filmgeschehen; er schafft bloß jene Zwischenwelt aus Mythen, Erinnerungen, Alpträumen und (auch sexuellen) Wunschvorstellungen, die uns die Psyche Gopniks erschließen soll – und wohl auch die ihrer geistigen Väter. Einen großen Spannungsbogen braucht es da nicht, nicht einmal eine linear erzählte Handlung. Wenn Larry im Wald plötzlich die Kugeln um sich pfeifen hört, weil Mr. Brandt mit seinem Sohn nachts auf Judenjagd geht, entpuppt sich auch diese Szene wie so manche andere sogleich als Larrys Alptraum – und sagt selbstironisch mehr über seine Verfolgungsphantasien als über Brandts Gefährlichkeit.

Woody Allen, der so ganz andere Meister jüdischen Humors, schickt seine Helden immer mal wieder zum Psychiater und entwickelt aus solchen Szenen seine grotesken pseudointellektuellen Nonsensdialoge. Bei den Coens tritt an dessen Stelle der Rabbi, jene Figur, die für den jüdischen Witz noch typischer erscheint, weil sich an ihr die Diskrepanz zwischen Glaubenslehre und profaner Realität noch grotesker darstellen lässt. So lassen sie ihren Larry Gopnik in seiner Verzweiflung nach einander gleich bei drei Exemplaren dieser Gattung Rat und Hilfe suchen – und deuten in Zwischentiteln wie „Der erste Rabbi“, „Der zweite Rabbi“ gleich die Vergeblichkeit dieser Suche an. Zwar scheint dann mit Sohn Dannys Bar Mitzwa-Feier am Schluss sich alles noch zum Guten zu wenden, doch das Donnergrollen des herannahenden Tornados ist schon draußen zu vernehmen. Und sozusagen als erzieherische Maßnahme für all jene Zuschauer, die beim ersten Buchstaben des Abspanns gleich zum Kinoausgang eilen, halten die Coens für aufmerksame Leser ganz am Ende noch ein Schmankerl von besonders rabenschwarzer Selbstironie bereit, das hier natürlich nicht verraten wird. („Serious Man“ kommt am 21. Januar 2010 in die Kinos)