Da meldet sich einer von den deutschen Intellektuellen aus tiefer Sorge. Da sieht er einen Krieg auf die Welt zukommen, der mehr sein kann als einer zwischen Israel und dem Iran, da fürchtet er das Deutschland, dem er sein Leben und seine Literatur gewidmet hat, könnte diesen Krieg mit der Lieferung von U-Booten befördern. Aus diesen Befürchtungen heraus schreibt er ein Gedicht und lässt die Welt davon wissen. Und dann erhält er ein Echo aus dem Land.

Natürlich ist es der furchtbare Journalist Henryk Broder, dem die platteste Schlagzeile entgleitet: „Günter Grass – Nicht ganz dicht, aber ein Dichter“ schreibt er in der „Welt“ und nennt den Mann, der bisher allen als Freund Israels galt, einen Antisemiten. Widerlich in seinem Wüten gebärdet sich der israelische Botschafter, der den Dichter mit denen vergleicht, die den vorgeblich jüdischen Ritualmord an christlichen Kindern erfunden haben. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, jener Mißfelder, der den älteren Leuten keine Hüftgelenke mehr gönnen wollte, weil die es ohnehin nicht mehr lange machen, nennt das Gedicht geschmacklos und weiß: „Israel ist das einzige Land in der Region, in dem die Rechte von Arabern und die Rechte von Frauen überhaupt realisierbar sind.“ Auch wenn grade die Frauenrechte in Israel fast so kräftig mit Füssen getreten werden wie die der Palästinenser.

Die „Zeit“ schreibt, sich für geistvoll haltend, gar von einem „lyrischen Präventivschlag des Günter Grass“ und, ähnlich verblasen assistiert der „Spiegel“ mit: „Lyrischer Erstschlag“. Der Zentralrat der Juden in Deutschland antwortet mit dem rituellen Reflex: Es sei ein Hass-Gedicht und ein durchschaubares Schmierentheater. Und fast alle wollen nicht darauf verzichten daran zu erinnern, der 17-Jährige Günter Grass am Kriegsende Mitglied der Waffen-SS war. So, also zöge sich eine Nazi-Linie vom 17-Jährigen zum 85-Jährigen. Als stünde keine literarische, demkoratische und antifaschistische Lebensleistung dazwischen.

Worauf alle, die jetzt so schön laut „Antisemitismus“ rufen schon seit Jahren verzichten, ist der Bericht über die Atomwaffen der Israelis. Und selbst in diesem Moment der schreienden Empörung möchten sie auf diesen zentralen Punkt des Gedichtes nicht eingehen: Man könnte ja ins Argumentieren geraten. Auch auf die von Grass angemahnte Gefahr, dass die Lieferung deutscher U-Boote, die Atomwaffen bis vor die Küste des Irans tragen können, die Kriegsgefahr erhöhen werden, mag keiner seiner Kritiker eingehen. Sie geben sich nicht eimal die Mühe, den drohenden Krieg zu leugnen. So bleibt man feige und dumm hinter dem Antisemitismus-Vorwurf versteckt. Die Damen und Herren schreien lieber statt zu denken. Weil es ein schreckliches Unrecht von Grass ist Recht zu haben.

Auch die RATIONALGALERIE veröffentlicht das Gedicht von Günter Grass und wünscht ihm weitere Verbreitung:

WAS GESAGT WERDEN MUSS
Günter Grass 

Warum schweige ich, verschweige zu lange, 

was offensichtlich ist und in Planspielen

geübt wurde, an deren Ende als Überlebende

wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,

der das von einem Maulhelden unterjochte

und zum organisierten Jubel gelenkte

iranische Volk auslöschen könnte,

weil in dessen Machtbereich der Bau

einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir, 

jenes andere Land beim Namen zu nennen, 

in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar

aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung

zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes, 

dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,

empfinde ich als belastende Lüge

und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,

sobald er mißachtet wird;

das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig.


Jetzt aber, weil aus meinem Land, 

das von ureigenen Verbrechen,

die ohne Vergleich sind,

Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,

wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch

mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel

geliefert werden soll, dessen Spezialität

darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe

dorthin lenken zu können, wo die Existenz 

einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,

doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,

sage ich, was gesagt werden muß.

Warum aber schwieg ich bislang?

Weil ich meinte, meine Herkunft,

die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,

verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit

dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,

gealtert und mit letzter Tinte:

Die Atommacht Israel gefährdet

den ohnehin brüchigen Weltfrieden?

Weil gesagt werden muß,

was schon morgen zu spät sein könnte;

auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten, 

das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld

durch keine der üblichen Ausreden

zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr, 

weil ich der Heuchelei des Westens

überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen, 

es mögen sich viele vom Schweigen befreien,

den Verursacher der erkennbaren Gefahr

zum Verzicht auf Gewalt auffordern und

gleichfalls darauf bestehen,

daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle

des israelischen atomaren Potentials

und der iranischen Atomanlagen

durch eine internationale Instanz

von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,

mehr noch, allen Menschen, die in dieser

vom Wahn okkupierten Region

dicht bei dicht verfeindet leben

und letztlich auch uns zu helfen.