Ja, sage ich.
Und? sagt er.
Na ja, sage ich.
Stimmt, sagt er, das sage ich auch.
Wenn ich den vorangestellten Dialog nicht eigenäugig bei Werner Bräunig ("Gewöhnliche Leute") gelesen hätte, wäre mir dieser knappe, dieser den Leuten-vom-Maul-abgelauschte Dialog wie eine Zeile aus Dashiell Hammetts Kriminalroman "Red Harvest" vorgekommen: Hammett, einer der Väter des amerikanischen Kriminalromans, wertete nicht, sah gut und böse als Teil eines Prozesses, und nahm die crime story nur als Vorwand für seinen sozialen Realismus, seine Beschreibung der USA. Ein anderer Satz Bräunigs, der den oben zu lesenden Dialog kommentiert, "Was synchron vorgeht, besagt noch gar nichts.", weist über die genaue Beobachtung, die realistische Aufzeichnung einer Gesellschaft hinaus. Wie auch der Entwurf des Systems der DDR über die USA hinausweisen sollte. Bis zum Ende.
Die Geschichten der "Gewöhnlichen Leute", sorgsam von Angela Drescher ediert und mit einem klugen Anhang versehen, hat Bräunig im wesentlichen geschrieben, als der Autor des "Rummelplatz", jenes fulminanten Romans über den widersprüchlichen Aufbau des Sozialismus, schon mit seiner Partei überkreuz lag, als man ihn als schwankendes Element einschätzte und an den Rand des DDR-Literaturbetriebs drängte. Trotz der Enttäuschungen, die dem noch jungen Autor widerfahren, hält er an seinen Traum von einer anderen Gesellschaft fest und schreibt von der Liebe und der zu seinem Land. Ein wenig hölzern kommt es daher, wenn er die "Netzwerkmethode" der sozialistischen Großbaustellen propagiert, Drescher glaubt in ihrem Nachwort, er habe sich schon angepasst, sei müde geworden. Das mag dann sein, wenn er sich müht, Parolen in Sprache zu übersetzen.
Doch wenn er die vorgeschriebenen Pfade verlässt, wenn er Landschaften bespöttelt, "Rings eine Weltkonferenz unglaublicher Einöden", und sich in sie vergafft, Heimat sucht und findet, dann ist Bräunig als der harte Arbeiterschriftsteller wieder zu erkennen, hardboiled wie Hammett und doch genauso weichherzig. Ganz nahe an den gewöhnlichen Leute und zum Heulen schön ist seine Geschichte "Stilllegung". Da macht eine Grube zu. Dreissig Jahre ist der nun alte Mann da eingefahren. Mit seinen siebzig Jahren ist er selbst stillgelegt. Als der Autor das schreibt, ist er noch keine Vierzig. Wie er sich reindenkt in den Alten, wie er das karge Gespräch der Rentner wiedergibt, das ist ganz nahe dran und doch weit genug entfernt, um beschreiben zu können. Vielleicht aber fühlt er sich auch selbst schon alt, am Ende einer Laufbahn, die kaum begonnen hatte.
Dreissig Jahre an einem Arbeitsplatz, solch eine Geschichte weist weit über die DDR hinaus. Das erinnert an das einst industrialisierte Deutschland, West wie Ost, an das kleine Glück kleiner Leute. Zwar war das Auto nicht so dicke oder man hatte auch gar keins, dafür gab es die Beständigkeit, den Fußballplatz, den Urlaub im eigenen Gärtchen. Man konnte auf lange Geschichten zurückblicken und hoffen, dass die kommenden Veränderungen die Steine aufeinander lassen würden. So unähnlich waren sich die Milieus in den Fünfzigern nicht im geteilten Land. Und wenn die einen auch schon in andere Länder fahren konnten, hatten die anderen doch den Glauben an das eigene: Unsere Betriebe, unsere Häuser, unser Land.
Dieses eigene, diese eigene Anschauung der Welt, wird in der Schilderung des Wegs, auf dem sich einer entscheidet ein Maurer zu werden, ganz besonders deutlich. Wen juckt das heute, ob einer und warum Maurer wird? Ja, wenn er der Chef einer Klinik oder ein begabter Tresorknacker geworden wäre, das wären Entscheidungen gewesen, das wäre Spannungsliteratur. An solchen Stellen, mit denen Bräunig das Einfache im Komplizierten spiegelt, da ist das Vineta der DDR zu lesen. Das was sie eben auch war, neben Stasi und wiedergekäutem Politisch: Das Land, in dem den gewöhnlichen Leuten ungewöhnliche Geschichten geschrieben wurden, in dem das Gewöhnliche auf das Besondere untersucht wurde. Auch.
Werner Bräuning, die große literarische Hoffnung der DDR, starb mit 42 Jahren, enttäuscht, alkoholkrank und mit einem schmalen Nachlass, den der Aufbau-Verlag wiederentdeckt hat und neu publiziert. Der erfolgreiche Krimi-Autor Dashiell Hammett starb 1961, krank und verarmt. Nachdem ihn die McCartyh-Kommission des Kommunismus beschuldigt und für nicht reuig befunden hatte, unterlag er einem faktischen Publikationsverbot. Wenn es denn ein Jenseits gäbe, hätten die beiden sich eine Menge zu erzählen.