Ein weisser Raum. Dunkel gekleidete Menschen halten Gläser in den Händen. Scheu sieht man aneinander vorbei. Wenn mich jetzt der Künstler fragen würde, was ich von seiner Installation halte?! Tut der Künstler aber nicht. Denn sein sensibles Ensemble aus bunten Spraydosen vor einfarbigen Heuballen mit dem Titel "Sehen" lässt viele Deutungen zu. Jeder der Anwesenden, einzeln befragt, kann mit einer anderen Interpretation aufwarten. Mann darf diese Sorte Kunst offen nennen, beliebig träfe es auch. Diese Offenheit irritiert Wolfgang Ullrich, Autor des Buchs "Gesucht: Kunst!" Er erinnert an Malewitschs "Schwarzes Quadrat" oder den leeren Galerieraum von Yves Klein, wenn er die Gefahr beschwört, "dass als Nichts erscheint, was Alles sein sollte."

Auf der Suche nach der Qualität zeitgenössischer Kunst untersucht Ullrich die Fähigkeiten bildender Künstler, die sich anderen Metiers zuwenden und, auch wenn sie nie gelernt haben zu singen, Filme zu machen oder Theaterstücke zu inszenieren, sich in genau diesen Künsten tummeln. Wer einmal Joseph Beuys sein Lied "Sonne statt Reagan" (documenta 7) hat singen hören, der weiß um das Grauen, dass solche Töne auslösen können. Nahezu jede Videoinstallation, die dem Betrachter als Kunst angeboten wird, kann den Filmkenner um den Verstand bringen: Eine schlechte Kameraführung korrespondiert mit gehackten Schnitten und wenn Musik angelegt ist, dann liegt sie unter dem Wert von Geräuschen. Ullrich verzeichnet diesen Dilettantismus als notwendiges Ergebnis aus dem Drang immer Neues zu gestalten, den Begriff von Kunst ausschließlich im Spektakulären zu verorten und staunt: "Dass beim Transfer in die Kunst Standards verloren und sonst übliche Qualitätskriterien suspendiert werden." Dass zu diesen Verlusten ein Publikum gehört, dem "Toleranz, Geduld und Wohlwollen Primärtugenden" sein müssen, versteht sich.

Einzig die bildende Kunst hat es in den letzten hundert Jahren geschafft, sich einer Mehrheit des Publikums ohne Aufsehen zu entledigen. Während Kunstgattungen wie Musik, Film oder Theater, zwar nicht in allen Formen, so doch in ihren populären Ausprägungen noch alle erreichen können, erreicht die "offenste" aller Künste nur noch eine kleine Gruppe, die alles in die jeweilige Fettecke oder ein Ückersches Nagelbrett interpretieren kann, doch die Mehrheit versteht nur noch Bahnhof. Dass es sich bei dieser Spaltung nicht um ein Bildungsproblem handelt ist an der Filmrezeption schön nachzuvollziehen: Bestimmte Bildungsschichten neigen eher zum spektakulären Action-Kino, andere finden sich bei Ingmar Bergmann wieder. Doch Schichten übergreifend kann über schlechte oder gute Film-Kunst miteinander gesprochen werden, niemand käme auf die Idee, von Nicht-Film zu reden.

Um der Debatte darüber, was Kunst ist, einen eigenen Drall zu geben lässt Ullrich einen Laien die klassische Frage stellen: "Und das soll Kunst sein?", um von dieser Frage aus zu behaupten, dass es eine beabsichtigte Produktion von Kunstlaien gibt. Wo es bewusst keine Kriterien mehr gibt, wo die Zugangsbedingungen nicht definiert sind, muss das Kunstwerk, um seiner Wertigkeit willen, "eine diskriminierende Funktion" besitzen, es muß die "Zweiteilung zwischen Eingeweihten und Laien" vollziehen. Jüngst auf eine Kunst-Ausstellung in Berlin: Ein Blechschild, diagonal in ein schwarzes und ein weißes Feld geteilt, in Spanien mit dem Zusatz "coto privado", privates Jagdrevier, versehen, findet einen Käufer und der Künstler dieses "Readymades", findet auch einen Galeristen. Im Mittelmeerraum wird es noch viele dieser Schilder geben. Klauen und signieren: Wenn das keine Kunst ist.

Wenn ich ein Original besitze, denkt sich der Kunstkäufer, bin ich originell. Filme, Theatervorführungen, Bücher, das alles ist seriell, muß mit anderen geteilt werden, aber ein eigens für mich hergestelltes, handsigniertes Stück von Irgendwem, das adelt die Wohnzimmerwand und den Besitzer auch. Dieser Vergewisserung der Einmaligkeit passt zum einen in eine Gesellschaft der Konfektion, in der die Ladenzeilen von Shanghai auch nichts anderes bieten als die von Gelsenkirchen. Zum anderen bedarf es bei den schäbigen Preisen für ein Stück Stoff von der Reichstagsverhüllung schon anderer Anstrengungen um originell zu werden. Erst auf dem Markt, so Ullrich, stellt sich Kunst als Kunst heraus, wird der eigentliche Wert ermittelt. Wenn Handwerk oder Geschmack keine Kriterien mehr bieten, wenn, wie in anderen Berufen, die aufgewandte Zeit keine Möglichkeit der Wertermittlung zulässt, dann bleibt als einziger, erbärmlicher Maßstab für Kunst und Künstler das Geld, der Preis. In Verlängerung dieser Marktwahrheit ist der Chef der Deutschen Bank einer der größten Künstler der Neuzeit. Die private Jagd ist eröffnet.