Als im Oktober 1648 die Kriegsparteien die Dokumente des »Westfälischen Friedens« unterzeichneten, hatte der dreißigjährige Krieg, der im wesentlichen auf dem Boden des geschundenen Deutschland ausgetragen wurde, ein Ende. Mord und Brand brachte er über das Land, Hunger und Seuchen kamen in Begleitung der Söldnerheere. Es ging nur scheinbar um Religion, in Wahrheit um strategischen Einfluss, um Besitz, um Macht, sogar, im Fall der Schweiz und der Niederlande, um Befreiung. Einer der beteiligten Warlords, der Kurfürst von Brandenburg, konnte sein Territorium beträchtlich erweitern und begründete so das spätere Preußen.

Wenn im Oktober dieses Jahres der Deutsche Bundestag über den weiteren Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan abstimmt, sollte jeder der Abgeordneten vorher das Buch von Susanne Koelbl und Olaf Ihlau gelesen haben: »Geliebtes , dunkles Land". Kaum eine andere Quelle breitet öffentlich so viel Kenntnisse über das fremde Land und seinen nun dreissig Jahre andauernden Krieg aus. Die Autoren geben den Afghanen mit ihrem Buch ein Gesicht. Dass die Fakten, die sie ausbreiten, sicher auch den Geheimdiensten und damit den am Krieg beteiligten Regierungen bekannt sind, macht die aktuelle Borniertheit des Westens deutlich, weist nach, dass die Regierungen, von der sowjetischen über die amerikanische bis zur bundesrepublikanischen, nichts über das Land wissen in das sie munter ihre Truppen schicken.

Schon im Vorwort blenden die Autoren das öffentlich Begründungsgerede über Religion und Demokratie kühl aus und erinnern an die geostrategische Lage Afghanistans: Angrenzend an die Atom-Staaten China und Pakistan, in der Nähe zu den riesigen Öl- und Gasvorkommen der zentralasiatischen Staaten gelegen, »die einmal durch Afghanistan zum Indischen Ozean und zum Arabischen Meer geleitet werden könnten.« Und dann überraschen sie mit einem Vergleich: Im Kosovo (so groß wie die Oberpfalz) startete die NATO ihr zweifelhaftes Engagement mit 50.000 Mann, Afghanistan (doppelt so groß wie die Bundesrepublik), würde eine Truppenstärke von einer Million Soldaten erfordern, um Sicherheitsbedingungen zu erzeugen wie auf dem Balkan. Wer so rechnet, der beschreibt nicht nur, der denkt auch strategisch.

Es ist ein nüchterner Stil, der trotzdem seine Sympathie für die Afghanen nicht verhehlt, den die beiden Journalisten vortragen, ein Stil, der als Kontrast zu den atemberaubenden Fakten gelten darf, die Koelbl und Ihlau gesammelt haben. Von der Erinnerung daran, dass die Sowjetunion (lange vor ihrem Einmarsch) neben Infrastruktureinrichtungen sogar Moscheen gebaut hat, bis zum wunderbaren Zitat des US-Sicherheitsbeauftragten Brzezinski: »Die Vereinigten Staaten teilen mit der muslimischen Welt einen tiefen religiösen Glauben.«, enthält das Buch fast alles, was zur historischen und politischen Einordnung der afghanischen Tragödie notwendig ist. Mag der Medienapparat auch von Freiheit und Demokratie schreiben und senden, für die Großmächte, und im Gefolge der USA die Bundesrepublik, war und ist Afghanistan nichts anderes als ein Spielfeld zur Austragung von Interessen. Und wie viele Afghanen bei diesem Spiel draufgehen, ist ihnen ziemlich gleichgültig.

Die nüchterne Feststellung, dass die US-Amerikaner der »größte Shareholder« in Afghanistan ist, und dass es den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai nicht gäbe, wären die USA nicht, wird flankiert von einer Reihe Portraits der Clanchefs, die in Afghanistan immer noch die regionalen Entscheider sind: Sie alle waren im andauernden Krieg und Bürgerkrieg mal auf dieser, mal auf jener Seite und nicht wenige von denen, die heute in Amt und Würden sind, müssten schnellstens vor ein internationales Gericht wegen schwerster Kriegsverbrechen, wenn denn ein Gerichtshof sie anklagen würde. Dass es eine solche Klage nicht gibt, erklärt sich nicht nur aus dem innerafghanischen Kräfteverhältnis, sondern natürlich auch aus der Reaktion in der westlichen Öffentlichkeit: Wie soll man amerikanischen und deutschen Wählern erklären, dass ihre Soldaten durchaus auch auf der Seite von Mordbrennern, Folterern und Vergewaltigern kämpfen.

Dieser Erklärungsbedarf würde noch schneller noch größer, wenn man über die Lage der Frauen in Afghanistan nicht nur immer wieder die alten Taliban-Nachrichten aufwärmen, sondern sich aus dem vorliegenden Buch mit der aktuellen Wahrheit vertraut machen würde: Die Unterschiede zwischen der Taliban-Herrschaft und dem jetzigen Alltag für die Frauen in weiten Teilen Afghanistans sind nur graduell. Afghahnische Frauen werden im Alten von zehn, zwölf Jahren an ihre Männer verkauft, sie haben keine Rechte, dürfen ihr Haus nur in Begleitung eines männlichen Familienangehörigen verlassen, häusliche Vergewaltigungen sind alltäglich. Wenn die Autoren das Beispiel einer tapferen afghanischen Polizistin dagegen halten, die ihre Burkha aufkrempelt und einen Vergewaltiger verprügelt, dann ist das einer jener sympathischen Einzelfälle, die das Gesamtbild nicht korrigieren können.

Natürlich können und wollen Koelbl und Ihlau nicht entscheiden, wie der Bundestag Mitte Oktober abstimmen soll. Sie lassen Experten reden: Da ist zum einen der als besonnen geltende Egon Bahr, der glaubt, dass die ausländischen Truppen auf 200 000 Mann aufgestockt werden müssen. Die andere Gruppe vertritt der einstige Fallschirmjäger und Militärarzt, Reinhard Erös. Der glaubt, dass der Einsatz in Afghanistan grundsätzlich schief läuft und sich sicher ist, dass man die Taliban nicht mit Bomben und Tornados, sondern mit Ärzten und Lehrern bekämpfen muss. Und dann sind da die vielen einfachen Afghanen, die zu Worte kommen, Menschen, die nur ein Bruchteil von dem verdienen, was die Angestellten amerikanischer Consulting Firmen bekommen. Es sind Obst- oder Opiumbauern, die seit sechs Jahren darauf warten, dass sich etwas an ihrer Lage bessert und keinen Fortschritt feststellen können. Gäbe es in Afghanistan tatsächlich Demokratie, dürften die Afghanen wirklich selbst entscheiden, müssten die fremden Truppen morgen am Tag das Land verlassen. Demokratie ist nicht zu exportieren, sie muss im jeweiligen Land gewollt sein und von den dort Lebenden entwickelt werden.

Bisher hat der Bundeswehreinsatz in Afghanistan rund zwei Milliarden Euro gekostet. In der selben Zeit wurde für den zivilen Aufbau des Landes fünfhundert Millionen ausgegeben. Kaum eine andere Zahl macht den Unsinn unserer Beteiligung am Afghanistankrieg deutlicher. Auch und erst recht nach Lesen von »Geliebtes, dunkles Land« bleibt wahr, dass wir den Afghanen helfen können und sollen. Und es bleibt eine Lüge zu behaupten, wir könnten das an der Seite jener USA tun, die nichts anderes kennt als die Sicherung ihrer Vorherrschaft. Wäre die Bundesrepublik ein souveräner Staat, sie müsste um der Afghanen willen aus dem militärischen Engagement in Afghanistan aussteigen.