Außerdem haben wir der DDR vor der Einheit unser gesamtes Wirtschafts- und Sozialrecht übergestülpt. Wir haben sie in allen wichtigen Punkten vollständig entmachtet. Die Währungsunion war mit der Einführung des Rechtsrahmens der Bundesrepublik in der DDR verbunden. Das war der Anschluss an die Bundesrepublik.
Thilo Sarrazin, FAZ-Interview vom 1. 7. 2010

Klingt das nicht ein wenig nach feindlicher Übernahme? Aber Thilo Sarrazin, damals Referatsleiter des Staatssekretärs im Finanzministerium, Horst Köhler, wird wohl wissen, wovon er spricht.

Zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung sollte man meinen, dass die Museen überquellen von Sonderexpositionen. Dem ist nicht so, denn das Thema ist von den Medien verschlissen worden und das Interesse der Massen erlahmt. Wer von den Museumsmachern keinen Bock auf Einheit hat, versteckt sich hinter knappen Finanzmitteln. Da hat der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Herr Bernd Neumann, ein Einsehen gehabt und tief in die löchrige Tasche gegriffen und dem Deutschen Historischen Museum eine Einheitsausstellung spendiert.

Bis zum 10. Oktober dieses Jahres präsentiert das DHM im Erdgeschoss des Pei-Baus die Sonderaustellung „1990 – Der Weg zur Einheit“. Es ist eine Rückschau, vor allem gedacht für die junge Generation, die damals nicht aktiv dabei sein durfte.
Die Präsentation ist nicht sonderlich tiefschürfend oder irgendwie ausgewogen, dafür aber handwerklich gut gemacht und wie immer (gewollt?) zu dunkel gehalten. Mit ein paar Lux mehr hätte manches nicht so schäbig gewirkt.

Wie nicht anders zu erwarten, lebt die Ausstellung von Fotos, Wahlplakaten und vergilbten Presseerzeugnissen. Immerhin wird sie aufgelockert durch ein paar realistische Kunstwerke, denn auch abstrakte Themen lassen sich gegenständlich zur Schau stellen. Einige handfeste Exponate vervollständigen das Sammelsurium. So prunkt in der Mitte des Raumes der Runde Tisch der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen mit sechs Originalstühlen. An Devotionalien findet man außer dem üblichen Stasi-Müll verbogene Kampfgruppenwaffen, eine Tüte Ost-Grieß mit Westmark-Aufkleber, einige Orden und Ehrenzeichen der DDR trittfest in ein Bodenloch gebettet unter Glas und manches Skurrile wie das Einheits-Ei oder ein Bundesländer-Puzzle.

Die Fotos stimmen den Betrachter nicht traurig oder froh, sondern eher melancholisch. Sie zeigen Jubelorgien bei der D-Mark-Umstellung und Trauermienen nach der Massenentlassung, haufenweise Transparente und immer wieder Demonstrationen, für und wider die Einheit, für eine Verfassung, für den Arbeitsplatzerhalt.
Auf die Deutsche Verfassung nach § 146 Grundgesetz warten wir zwar heute noch, aber über die Wiedereinführung der D-Mark wird schon spekuliert und im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit erzielt die Statistik bedeutende Erfolge.
Zurück zu den Fotos. Wir blicken in altvertraute Gesichter, z. B. das von Günther Krause, einst Architekt der Deutschen Einheit, an dem sich ein Cäsarenwort bewahrheitete: Man liebt zwar den Verrat, nicht jedoch den Verräter. Er schüttelt männlich Wolfgang Schäuble die Hand, in die auch Karlheinz Schreiber seinen Briefumschlag drückte.

Aus geschickt verteilten Medienstationen flimmern und säuseln Film- und Hörfunkkonserven, die die Zeit vom Mauerfall am 9. November 1989 bis zum Staatsakt am 3. Oktober 1990 abdecken.
Am Ende des Ganzen steht (oder vielmehr hängt) Matthias Koeppels satirisches Gemälde „…und alles wird wieder gut. Der 3. Oktober ’90 vor der Neuen Wache, Berlin“, das ein zeitgemäßes Pendant zu Anton von Werners „Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches zu Versailles“ darstellt.

Die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit, wie sie Guido Knopp mustergültig in den Medien repräsentiert, krankt nur an jenem Problem, das sich „Zeitzeuge“ nennt. So lange irgendeiner noch den gichtischen Zeigefinger recken kann und brabbelt: Ich war leider dabei und es war doch wohl etwas anders, kann Geschichte nicht perfekt ins rechte Licht gerückt werden. Auf der Eröffnungsveranstaltung verlautete deshalb die graue Eminenz von „Kunst und Krempel“, Herr Professor Ottomeyer, dass die objektive Geschichtsschreibung den wahren Grund für den Untergang der DDR noch nicht zweifelsfrei ausgemittelt habe. In seinem Vorwort zu dem Ausstellungskatalog tröstet uns ein Dennoch: die Verschränkung der Perspektiven beginnt sich zu ordnen.