Es ist die leichte, elegante Sprache für ein schweres Thema, die von Beginn an für Schlomo Sands Buch "Die Erfindung des Landes Israel" einnimmt. Und es ist die Empathie des israelischen Historikers, die seinen brillanten Verstand zu Erkenntnissen führt, die der Mehrheit seiner Mitbürger bisher verschlossen bleibt. Ganz am Anfang des Buchs erinnert sich der Autor an seinen ersten Auslandsaufenthalt: Als junger Soldat überschritt er im Juni 1967 die israelisch-jordanische Grenze, eine Grenze, die seine Kameraden nicht sehen wollten: Für sie waren auch die Jerusalemer Berge das Land Israel. Auch verfolgt ihn die Erinnerung an einen alten, gefangen genommenen Palästinenser, der vor seinen Kameraden mit brennenden Zigaretten gefoltert wurde, um irgendein Geständnis zu erzwingen. Der Sohn polnischer Eltern, die mit Glück den Nazis entkommen waren, liebt sein Land. Und gerade dieser Liebe wegen sorgt er sich über die Entwicklung Israels zu einem "kolonialistischen, ethnozentristischen und segregierenden" Staat.
Zur ideologischen Rechtfertigung eines Groß-Israels muss in der offiziellen Propaganda die Bibel herhalten. Obwohl die Bibel, wie andere Glaubens-Schriften auch, kaum als wissenschaftliches Werk einzuschätzen ist. Doch weil die heilige Schrift inzwischen zu einem Reiseführer in das historische Israel geworden ist, setzt sich Sand mit den darin enthaltenen geopolitischen Behauptungen auseinander und findet das von Gott dem Moses versprochene Land Kanaan: Nicht nur, dass Kanaan vor dem Auszug der Kinder Israels aus Ägypten bereits von anderen Völkern bewohnt war, auch das heute als "ungeteilte Hauptstadt Israels" apostrophierte Jerusalem lag dort eben nicht. Selbst das "Land Israel" taucht im 5. Buch Mose, einem wesentlichen Teil des Talmud nirgends auf. Mit einem Zitat des bekannten National-Wissenschaftlers Jehuda Elitzur markiert Schlomo Sand dessen zitierten Standpunkt als pure Agitation: "Israel war Israel, auch viel Jahre nach seinem Auszug ins Exil, und dieses Land blieb das Land Israel auch als unbewohnte Wüstenei." Anlässlich solch kruder Theorien fragt Sand ironisch, ob man sich auch für die indianischen Ansprüche auf Manhattan, einschließlich einer Vertreibung aller dort lebenden Weißen und Schwarzen einsetzen solle.
So wie Sand sich mit guten Argumenten über die sonderbare Bibel-Exegese des offiziellen Israels lustig macht, so giesst er bitteren Spott über den Anspruch eines "jüdischen Volkes" aus: "Nicht von ungefähr ähneln die jemenitischen Juden so sehr den jemenitischen Muslimen . . . ebenso wie die äthiopischen Juden ihren afrikanischen Nachbarn." Mit solchen Beispielen führt der Historiker das Judentum auf das zurück was es ist: Eine Religion. Auch die israelischen Gebietsansprüche konterkariert er mit Fakten: Zur Zeit der Balfour-Deklaration von 1917 (die noch heute zur den Gründungsakten Israels zählt weil dort eine "Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina" gefordert wurde) lebten in Palästina "annähernd 700.000 Araber . . . und weniger als 60.000 Juden. (In Großbritannien selbst lebten zum selben Zeitpunkt rund 250.000 Juden)" schreibt der Autor. Und er weist nach, dass im Schreiben des britischen Außenminister sowohl der Versuch steckte, die jüdische Flüchtlingsbewegung nach den Pogromen in Russland von einer Emigration nach England abzuhalten, als auch eine lange, puritanische Glaubens-Erzählung von der Bedeutung der hebräischen Wurzeln des Christentums zu finden ist, die keineswegs den konkreten Juden galt sondern dem fiktiven heiligen Land.
Sands Buch argumentiert blendend mit dem großen jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, den er zu Recht "als einen der ersten Deutschen" betrachtet, weil der zu einer Zeit "als die meisten Untertanen der deutschen Könige und Fürsten des Hochdeutschen noch nicht mächtig waren" seine Werke in eben dieser Sprache schöpfte. Es war Mendelssohn, der dem Versuch früher Antisemiten, die Juden außer Landes zu jagen und ihnen Palästina als Territorium zuzuweisen, energisch widersprach. Und so sind in Sands kluger Arbeit die kaisertreuen deutschen Juden ebenso zu finden wie die Zertrümmerung der gefälligen Kibuz-Romantik: Araber konnten unter keinen Umständen Mitglieder dieser Agrarkommunen werden und wenn Töchter der Kibbuzim "den Wunsch hegten, mit Palästina-Israelis zusammenzuleben", mussten sie das Kollektiv verlassen.
Neben einer Fülle von wissenschaftlichem Material findet sich in "Die Erfindung des Landes Israel" auch eine anrührende historische Betrachtung des einst arabischen Dorfes Al-Scheich Muwanni, das sich früher dort befand wo heute die Universität Tel Aviv ist, an der Sand lehrt. Die Bewohner dieses Ortes lebten mit ihren jüdischen Nachbarn in Frieden, bis zu jenem Tag, als sie mit einem gezielten Terrorakt jüdischer Kräfte zum Verlassen ihres Dorfes gezwungen wurden. Es ist ein zynischer Scherz der Geschichte, dass sich heute auf dem Gebiet des einst palästinensischen Dorfes auch die Sammlung von 300.000 "jüdischen" DNA-Proben befindet, "da der genetischen Genealogie besondere Bedeutung für das jüdische Volk zukommt." Nur wenige Jahrzehnte nach der Erfindung der Nürnberger Rassegesetzen werden im "Museum des jüdischen Volkes" Belege für die Existenz der "jüdischen Rasse" archiviert.