Daniela Dahn war dabei, als in der DDR alles möglich schien, als für ein paar Monate die alte Macht nicht mehr konnte und die da unten nicht mehr wollten. Der Nachbar im Westen, zumindest seine bestimmenden Kräfte, wusste immer, was er wollte: Die DDR schlucken. Auch deshalb muss die Schriftstellerin heute feststellen: "Ich wollte immer in einer Demokratie leben, aber nie im Kapitalismus". Dahn war eine von denen, die in den Jahren 1989/90 versuchten, eine andere, eine bessere DDR zu erreichen. Wenn sie heute auf den kurzen, historischen Moment des "Wir sind das Volk" zurückblickt, analysiert sie kühl: "Die Einheit war eine feindliche Übernahme auf Wunsch der Übernommenen. Für die Sieger war das schönste an der friedlichen Revolution, dass sie nichts revolutionierte. Das Neue bestand darin, den alten Spielregeln beizutreten." Und auch darin, dass "95 Prozent des volkseigenen Wirtschaftsvermögens in westliche Hände übergingen. Damit war über den Grad der Abhängigkeit der Neubundesbürger entschieden."

Es ist nicht Wehmut, die Daniela Dahn treibt, wenn sie zurückblickt, es ist Wut. Es ist die Wut darüber, dass "Die Zahl der bundesdeutschen Millionäre sich verdoppelte auf über eine Million, während im Osten mit der ersehnten D-Mark die Zahl der Arbeitslosen von null auf vier Millionen stieg." Die Wut über den nahezu kompletten Austausch der Eliten und die Folgen bis heute: "Von 35 Ministern und Staatssekretären der Bundesregierung kommen gerade einmal zwei aus dem Osten. Nur zwei sind es auch unter den 140 deutschen Botschaftern. Und die Tendenz der Teilhabe ist weiter fallend. Auch in Ostdeutschland selbst sind immer noch 80 Prozent der Führungspositionen von Westlern besetzt." Und sie notiert eine wesentliche Folge dieser Entmachtung der DDR-Bevölkerung: "Die Quittung für soziale Kälte und politisches Versagen ist die AfD." Sie erinnert unter der Überschrift "Stasi forever?" an die Sense, mit der jede Menge Köpfe auf dem Gebiet der DDR abgeschnitten wurden: "Als am 3. Oktober 1990 noch allerorten die Vereinigungsglocken läuteten, nahm die erste und größte Bundesbehörde im Beitrittsgebiet mit ihren bald 3000 Mitarbeitern bereits ihre Arbeit auf: die des Sonderbeauftragten für die Daten des Staatssicherheitsdienstes".

Man darf sich bei der klugen und genau recherchierenden Daniela Dahn immer auf präzise Zahlen und überraschende Vergleiche über die Gauck-Behörde freuen: "Die Mammutbehörde war der Kohl-Regierung so viel wert, dass sie jährlich etwa 100 Millionen Euro Steuergelder bekam. Das ist mehr, als die gesamte privatwirtschaftilch betriebene und staatlich bezuschusste Industrieforschung in den neuen Ländern zur Verfügung hat." Wer sich an die Jahre der Liquidierung allen Widerspruchs gegen die feindliche Übernahme der DDR durch die Treuhand und die angeschlossenen Behörden erinnert, der weiß auch noch vom täglichen Stasi-Medien-Frühstück: Kaum ein Tag verging, an dem nicht ein neuer angeblicher Stasi-Agent entdeckt wurde. Und wenn es gerade mal keinen neuen gab, dann wurde Gregor Gysi immer und immer wieder aufs neue "entlarvt", immer mit denselben, unbewiesenen alten Vorwürfen. Denn mit der PDS, der er in dieser Zeit vorstand, erhob sich der Teil der eingesackten DDR, der sich an sich selbst und seine Wirklichkeit erinnerte.

Damit dieses Erinnerungsvermögen so schnell wie möglich verschwand, fuhren die westlichen Medien eine Rufmordkampagne nach der anderen: "Dass von den westlichen Siegern zuerst gerade die Posten angegriffen wurden, mit denen sich zumindest Teile der DDR-Bevölkerung am ehesten identifizierten, war absehbar. Bisher verehrte prominente Sportler, Schriftsteller, Schauspieler, Ärzte, sogar Tierpark-Direktoren oder Kosmonauten sahen sich mit Anschuldigungen verschiedenster Art konfrontiert und wurden öffentlich zerlegt." Wenn der Rufmord nicht reichte, musste das Verschweigen die Umwertung der DDR übernehmen, belegt Frau Dahn: "Nach der für Deutschland desaströsen 1. Pisa-Studie von 2001 erzählte mir ein Mitarbeiter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: «Wir sind mit einer Delegation nach Helsinki gefahren, um herauszufinnden, was ihr Bildungswesen so erfolgreich macht. Das darf man ja heute gar nicht laut sagen», und er schaute sich tatsächlich um und sprach leise weiter, «aber die Kollegen haben uns erstaunt gefragt, weshalb wir so eine weite Reise unternommen haben, sie hätten das Skelett ihrer Einheitsschule mit ganzheitlicher Betreuung und praxisbezogenem Unterricht nach vielen Studienreisen in die DDR doch von dort übernommen». Das darf man offenkundig bis heute nicht laut sagen, schreiben oder senden. In einer Art Omerta bleibt der Mund der Medien verschlossen, wenn es um jene gesellschaftlichen Bereiche im Systemvergleich geht, in denen die DDR der alten Bundesrepublik und dem vereinten Deutschland überlegen war.

Bei der Offenlegung der AfD-Wurzeln bleibt die akribische Autorin natürlich nicht bei der Dauer-Demütigung des Ostens stehen. Sie findet "Rechtslastige Signale aus allen Staatlichen Stationen". Und nicht wenige sind eng mit der Abwicklung der DDR verknüpft. Wie zum Beispiel die Auswechslung des beliebten Rektors der Humboldt Universität, des Theologen Professor Heinrich Fink. Er musste Wilhelm Krelle, dem einstigen SS-Sturmbannführer und 1. Generalstabsoffizier der SS-Panzerdivision «Götz von Berlichingen» weichen. Bis heute darf Krelle seine Ehrendoktorwürde behalten, obwohl weitere Dokumente gefunden wurden, die eine fanatische, nationalsozialistische Gesinnung Krelles bis in die letzten Tage des Krieges hinein belegen. Neben der notwendigen Erwähnung des NSU-Skandals und des gezielten Versagens des Verfassungsschutzes fällt der kenntnisreichen DDR-Bürgerin Dahn der General-Angriff auf den Antifaschismus der DDR auf. Der sei nur verordnet gewesen, erzählt der Westen, und ihm fehle vor allem das Thema Holocaust und Judentum. Dass es in der DDR 2000 Filme und Bücher zum Thema gab, fällt bei dieser ideologisch gewollten Blindheit ebenso unter den Tisch wie die jüdische Herkunft wichtiger DDR-Funktionäre. So bereitet man neuen Nazis eine bequeme Straße zur Macht: Durch Lügen und Verschweigen.

"Was hat der Sieger in den letzten 30 Jahren mit seinem Triumph angefangen?" Diese brisante General-Frage kann der gescheite Leser von Dahns Buch durch Augenschein selbst beantworten. Denn da der böse Feind – der Sozialismus, die DDR, die Sowjetunion – doch erledigt ist und der Kapitalismus ungestört sein segensreiches Wirken entfalten kann, könnten doch jetzt Armut und Kriege beendet werden. Doch "Der sang- und klanglose Abgang des hochgerüsteten Warschauer Pakts, einst Hauptfeind der Nato, hat nicht den ewigen Frieden beschert. Nicht mal ein Kalter Frieden folgte dem Kalten Krieg." Armut, Hunger und Flucht bestimmen die Welt nach Ende des Sozialismus.

Daniela Dahns Buch über den "Schnee von gestern", der zur "Sintflut von heute" geworden ist, gibt dem Leser eine Fülle von Denkanregungen, verknüpften Themen und Fakten. Auf dem Weg vom Ende der DDR kann der Leser, durchaus folgerichtig, zu den Kämpfen im Jemen kommen und wird sogar angeregt, sich über die Anschläge vom 11. September 2001 Gedanken zu machen: "In die Aufdeckung des Clinton-Lewinsky-Sexskandals ist achtmal mehr Geld investiert worden als in die Analyse des Tages, der die Welt veränderte" schreibt die Autorin und beweist nicht nur, dass Daniela Dahn vorzüglich und ernsthaft recherchiert, sondern auch, dass ihr bei dieser harten und klugen Arbeit der Humor nicht verloren gegangen ist.

Lesung und Gespräch mit Daniela Dahn
"Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute"
Moderation Uli Gellermann
Buchhändlerkeller Berlin
Carmerstraße 1 

Am 15. 10. 2019, um 20:30 Uhr

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Lieber Herr Gellermann,

das Buch von Daniela Dahn vorzustellen (angesichts des massiven Totschweigens und des vielstimmigen Sozialismus-Bashing) ist äußerst verdienstvoll. Das Buch lässt erkennen, wie weit sich die "Genossinnen" und "Genossen"...

Lieber Herr Gellermann,

das Buch von Daniela Dahn vorzustellen (angesichts des massiven Totschweigens und des vielstimmigen Sozialismus-Bashing) ist äußerst verdienstvoll. Das Buch lässt erkennen, wie weit sich die "Genossinnen" und "Genossen" der Partei Die Linke von der sozialistischen Perspektive entfernt haben. Statt die Ursachen der politischen und ökonomischen Fehler, die in der DDR - neben all dem Fortschrittlichen - auch gemacht wurden, zu analysieren, treten die einen den Sozialismus perspektivlos in die kleinbürgerliche Tonne. Die anderen fröhnen der Reminiszenz eines blinden, undialektischen Dogmatismus. Sich zwischen diesen beiden Tendenzen zu behaupten, wie Daniela Dahn und Sie (und andere auch) es tun, lässt ein klein wenig hoffen. Herzlichen Dank!

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Paulo H. Bruder
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Mal wieder ein tolles Buch von Frau Dahn! Danke für die feinsinnige Kritik.

Marie Berger
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Bitte halten Sie mir einen Platz frei! Ich will Frau Dahn unbedingt selbst erleben.

Jonas Gräter
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Der Buchhändlerkeller lässt leider keine Reservierung zu, da hilft nur ein frühes Erscheinen.

Uli Gellermann
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Christa Wolf schrieb in ihrem letzten Buch sinngemäß "Vielleicht waren wir zu naiv".
Das trifft m.E. auch auf Daniela Dahn zu.
Denn
"...Die DDR existierte nicht im luftleeren Raum, sondern stand unter Dauerbeschuss aus dem imperialistischen Lager...

Christa Wolf schrieb in ihrem letzten Buch sinngemäß "Vielleicht waren wir zu naiv".
Das trifft m.E. auch auf Daniela Dahn zu.
Denn
"...Die DDR existierte nicht im luftleeren Raum, sondern stand unter Dauerbeschuss aus dem imperialistischen Lager und hatte außerdem, wie man heute weiß, ab 1953 auch in der UdSSR keinen verlässlichen Partner mehr..."

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Ursula Münch
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Besten Dank für Daniela Dahns polemische Attacke und Uli Gellermann treffsichere politische Wertschätzung. Immer wieder erweist sich die Autorin mit ihrer glasklaren Analyse nicht nur der Symptome, sondern auch der Ursachen für den Rückfall in...

Besten Dank für Daniela Dahns polemische Attacke und Uli Gellermann treffsichere politische Wertschätzung. Immer wieder erweist sich die Autorin mit ihrer glasklaren Analyse nicht nur der Symptome, sondern auch der Ursachen für den Rückfall in die kapitalistische Wirklichkeit, den „Wertewesten", als eine, die ihre Seele als einstige DDR-Bürgerin nicht verraten hat, die den Lesern kraftvoll Mut macht, tiefer nachzudenken, selbst aktiv zu werden. Seite an Seite mit Gleichgesinnten, die sich nicht länger von der Politik und von den Medien verdummen lassen werden.

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Harry Popow
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Zweifelsohne sind viele Menschen 1989 auf die Straßen gegangen, ob es die Mehrheit der Bevölkerung der DDR gewesen ist, daran lässt sich in hohem Maße zweifeln
Mit dem Begriff "friedliche Revolution" kann ich überhaupt nichts anfangen, weil ein...

Zweifelsohne sind viele Menschen 1989 auf die Straßen gegangen, ob es die Mehrheit der Bevölkerung der DDR gewesen ist, daran lässt sich in hohem Maße zweifeln
Mit dem Begriff "friedliche Revolution" kann ich überhaupt nichts anfangen, weil ein Mythos kreiert wird. "Dieser ist an die wirklichen und vermeintlichen Einheitsverlierer gerichtet......, er soll eine nationale Gemeinschaft (wieder) begründen." (Baseler Zeitung). Mit dieser Zelsetzung nationaler Gemeinschaft uter der Hegemonie des deutschen Imperialismus befindet sich die Aktion "Du bist Deutschland" in einer Traditionslinie mit der nationalistischen Politik von 1871 - 1945.
In Bonn war 1989 als außerordentlich bevollmächtigter Botschafter der USA General Vernon Walters, Stellvertretender Direktor der CIA am Start. Seine größten "Verdienste" hat er erworben, z.B. beim Sturz des iranischen antiimperialistischen Premiers Mossadegh, der die Erdölindustrie verstaatlichen wollte und beim blutigen Sturz des gewählten chilenischen Präsidenten Salavtor Allende war er ebenso beteiligt.
Die FAZ vom 10.Januar 1989 zitiert ihn: "Ich werde nicht geschickt wenn ein Erfolg wahrscheinlich ist. Eine meiner Aufgaben ist die letzte Ölung zu geben, bevor der Partner stirbt." Die Wiedervereinigung war sein Glanzstück in der Bonner Zeit hob er hervor.
Genscher nahm 2004 bei der Schweriner Zeitung kein Blatt vor den Mund. Er rühmte sich regelrecht des Exports der Konterrevolution. Seine Ausführungen machten deutlich, daß der Inhalt der Außenpolitik der Rechtsnachfolge Faschismus vor allem darin bestand, die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges wieder rückgängig zu machen, also die vor 1945 angestrebten Kriegsziele doch noch zu erreichen. Von der angebliche Überraschung der Demonstrationen in der DDR ist bei folgendem Zitat nichts mehr zu erkennen.
Er erklärte: "Der Weg zum Wegfall der Mauer war länger als es machem erscheint. Geebnet haben ihn unsere Politik der Entspannung mit dem Moskauer Vertrag, den Grundlagenvertrag, mit der DDR und der Schlußakte von Helsinki. So wurde es möglich, dass ein Mann wie Gorbatschow als Generalsekretär seine Reformpolitik durchsetzte. Unsere Außenpolitk war auf die Einigung Deutschlands abgestellt. Insofern waren wir gut vorereitet."
Der Postminister der BRD verlieh den Rundfunk- und Fernsehanstalten 1991 einen Orden mit der ausdrücklichen Begründung, daß ohne ihre Tätigkeiten die Demonstrationen in der DDR nicht möglich gewesen wären. Punkt.

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Ullrike Spurgat
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Währen der goßen Leipziger und Berliner Demonstrationen die „Wir sind das Volk“ proklamierten war ich selbst vor Ort. Auf einer Leipziger Kundgebung der SED habe ich sogar geredet und vor der „Einheit“ gewarnt. Zuvor habe ich als Journalist mit...

Währen der goßen Leipziger und Berliner Demonstrationen die „Wir sind das Volk“ proklamierten war ich selbst vor Ort. Auf einer Leipziger Kundgebung der SED habe ich sogar geredet und vor der „Einheit“ gewarnt. Zuvor habe ich als Journalist mit den diversen Gruppierungen der DDR-Opposition gesprochen. Mein gesichertes Wissen: Die DDR-Bevölkerung, unter ihr auch SED-Mitglieder mit denen ich sprach, strebten eine andere DDR an. Bärbel Bohley (wichtiges Gesicht der DDR-Opposition) vor meiner Kamera: „Wir wollten einen besseren Sozialismus, aber dann kam Kohl und nahm uns die Mikrophone weg“.

Spätestens in dem Moment als die Demonstrationen von der Wir-sind-DAS-Volk-Losung zur Wir-sind-EIN-Volk-Losung wechselte war die DDR erledigt. Zu diesem Wechsel wurde in der DDR keiner gezwungen. Auch bei den Volkskammerwahlen 1990, bei denen die CDU 40,81 % und die PDS, die als SED-Nachfolgepartei galt 16,39 erreichten), fand zwar unter extremem Medien-Manipulationsdruck statt aber ohne repressive Gewalt. Die DDR-Bürger haben mehrheitlich gegen sich selbst gewählt. Das soll auch im vereinigten Deutschland immer wieder mal vorkommen.

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Uli Gellermann
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Sicher ist das besprochene Buch sehr lesenswert, aber das mit den Denkanregungen scheint mir nicht so recht zutreffend zu sein, denn das alles ist doch überhaupt nicht neu und hat sich mittlerweile auch bis zu den eingefleischtetsten Ignoranten...

Sicher ist das besprochene Buch sehr lesenswert, aber das mit den Denkanregungen scheint mir nicht so recht zutreffend zu sein, denn das alles ist doch überhaupt nicht neu und hat sich mittlerweile auch bis zu den eingefleischtetsten Ignoranten herumgesprochen. Aber ein Aspekt, der m.E. nur am Rande erwähnt wird scheint mir nennens- und für die Zukunft erörterungswert. Der hängt mit dem Begriff der friedlichen Revolution zusammen und dabei weniger mit Revolution, denn daß es sich in Wahrheit um eine Konterrevolution gehandelt hat, dürfte sich ebenfalls weitgehend herumgesprochen haben. Wichtiger ist mir der Umstand der Friedlichkeit und hier sehe ich gewisse Parallelen zu den derzeitigen Vorgängen in Hongkong. Es wird immer so hervorgehoben, daß diese sog. Revolution friedlich war , aber wessen Verdienst ist das eigentlich? Darüber spricht ersichtlich niemand. Darüber, daß nicht ein Schuß gefallen ist, daß keine Beweissicherungs-und Festnahmeeinheiten unterwegs waren, daß keinerlei vermummte Polizisten auftauchten und Pfefferspray versprühten, daß wohl niemand bei diesem Umsturz und um einen solchen hat es sich ja in Wahrheit gehandelt ernsthaft verletzt wurde usw. usf. Ja, wessen Verdienst ist das? Wessen Verdienst ist es, daß die Randalierer in Hongkong in der Lage waren, den Flugverkehr zu blockieren, daß massenhaft Übergriffe geschehen konnten und jede Menge Sachschäden angerichtet wurden? Ist das nicht eigentlich das "Verdienst" des jeweiligen Gewaltmonopolisten? Will sagen, kräftemäßig wäre es für die Machthaber in der DDR ohne weiteres möglich gewesen, beginnend bereits im Oktober 1989 die Demonstrationen zu verhindern und so zu reagieren, wie die Staatsmacht der BRD gegen die Bahnhofsgegner in Stuttgart oder gegen die G 20-Gegner in Hamburg reagiert hat. Mit der Folge unabsehbarer Eskalation, zunächst aber mit dem Ziel und auch dem Ergebnis des eigenen Machterhalts. Hat sie aber nicht! Und das ist die alles entscheidende Frage, warum hat sie nicht? Nun habe ich darauf auch keine abschließende Antwort, die wird es wohl auch nicht geben, aber einige Schlußfolgerungen dürfen wohl gezogen werden. Natürlich hat ein sich so bezeichnender Arbeiter-und-Bauern-Staat, der diesem Anspruch auch gerecht werden will enorme Probleme, gegen sein Volk mit Gewalt vorzugehen, kommt deswegen nicht in Frage. Der Staat DDR hat damit in einer für ihn existentiellen Situation sein Machtmonopol aufgegeben, da es ansonsten zu Blutvergießen beim eigenen Volk gekommen wäre. Hat man so etwas in der Geschichte schon einmal erlebt? Begünstigt wurde dies allerdings noch dadurch, daß viele der Entscheidungsträger nicht mehr überzeugt waren, daß dieser Staat weiter lebensfähig ist. Zu lange schon war gegen alle Vernunft gewirtschaftet worden, waren Entscheidungen getroffen worden, von denen man überzeugt war, daß sie falsch sind und letztlich, so nenne ich das heute, hatten viele an den Schalthebeln keine Lust mehr, diesen Staat zu verteidigen. Er ist dem ideologischen Gegner gewissermaßen wie ein reife Frucht vor die Füße gefallen, noch nicht einmal die Übergabeverhandlungen sind mit der nötigen Sorgfalt geführt worden, das durfte ein Dilettant namens Krause erledigen. Etwas ganz wichtiges und für die Gegenwart Bedeutsames kommt jedoch noch hinzu. Es hat sich bei dem Kapitalismus, dem wir 1989 in die Hände gefallen sind, nicht um den gehandelt, mit dem wir es heute zu tun haben. Oder exakter gesagt, vielleicht war es doch derselbe, der von 1989 hatte, um einen bildhaften Vergleich heranzuziehen allerdings soviel Kreide gefressen, daß man den Wolf unter der Bettdecke nicht erkennen konnte. Jedenfalls nicht, wenn man nicht genau hingeschaut hat. Und zu genauem Hinschauen war damals auch keine Zeit, denn wie sagt schon der Volksmund, "bescheißen muß schnell gehen". Und es ging schnell, so schnell, daß auch das in der gesellschaftswissenschaftlichen Ausbildung gehörte nicht mehr zu Rate gezogen werden konnte. Und so sind wir eben dahin gekommen, wo wir jetzt sind und wir haben es verdient. Denn wir wollten nicht hören, die meisten waren schon in der DDR zu feige, den Mund aufzumachen und viele der heutigen Verhaltensweisen habe ich auf die eine oder andere Art auch schon in der DDR erlebt. Denn es war schon viele Jahre vorher absehbar, daß die Sache nicht gut geht, wir haben uns in die Tasche gelogen, haben mit geschönten Zahlen operiert und die Augen vor der Realität verschlossen. Vielleicht rafft sich mal ein Geist auf, diesen Abläufen aus historischem Abstand auf den Grund zu gehen. Heute jedoch drängt sich mehr und mehr die Frage auf, wie muß denn eigentlich eine echte gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus aussehen? Die AfD ist es jedenfalls nicht, da gilt einfach der volkstümliche Ausdruck vom alten Wein in neuen Schläuchen.

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Otto Bismark
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Gestatten Sie bitte den alten Spruch neu zu formulieren: Alte Jauche in neuen Schläuchen.

Uli Gellermann
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@ Gellermann/Spurgat

Wie war es denn einem Westler zu dieser Zeit möglich sich frei in der DDR zu bewegen?

Piet Grosser
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In Leipzig war ich wären der dortigen DOKfilm-Woche als Kritiker akkreditiert. Bei meiner Reise durch die DDR-Opposition war ich parallel vom DEFA-Film-Export zur Sichtung neuer Filme eingeladen.

Uli Gellermann
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@ Piet Grosser,
da werde ich sie nun überraschen, mit folgendem: Zum 1. Oktober 1987 wurde Professor Dr. Wolfgang Jantzen als erster Wissenschaftler aus der BRD als zeitweiliger Leiter des internationalen Instituts des "Wilhelm-Wundt-...

@ Piet Grosser,
da werde ich sie nun überraschen, mit folgendem: Zum 1. Oktober 1987 wurde Professor Dr. Wolfgang Jantzen als erster Wissenschaftler aus der BRD als zeitweiliger Leiter des internationalen Instituts des "Wilhelm-Wundt- Lehrstuhls für Psychologie an der Karl-Marx-Universität in Leipzig berufen.
Der Gelehrte, der an der Universität Bremen als Ordinarius für Behindertenpädagogik forscht und lehrt verdiente sich internationalen Ruf auch durch seine Arbeiten auf den Gebieten der Persönlichkeitspsychologie, Psychopathologie und Theorienbildung. Der nach Wilhelm Wundt (1832 - 1920) benannte Lehrstuhl wurde auf Anregung des Weltpsychologenkongresses 1980 eingerichtet..
Mir ist kein vergleichbarer Vorfall bekannt, dass ein Lehrender/Forscher aus der DDR in der alten BRD an eine Universität berufen wurde.
W. Jantzen Forschungsarbeiten und wissenschaftliche Arbeiten, sowie seine Bücher gehörten zur Standardausrüstung meines Studiums der Pädagogik/Psychologie und der therapeutischen Zusatzausbildung.
Ich kann ihnen versichern, dass W. Jantzen ohne psychische Probleme nach Ablauf der Zeit seine Arbeit in Bremen wieder aufnehmen konnte.
Von meinen eigenen Reisen in die DDR mal ganz abgesehen.

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Ulrike Spurgat
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Hier ist mal die Quelle des Wortes von dem
"einen Volk": https://www.jugendopposition.de/node/150966?guid=1832

Gemeint war damit ursprünglich nicht, dass die Ost- und der Westdeutschen ein Volk sind sondern gemeint war, daß die Demonstranten und...

Hier ist mal die Quelle des Wortes von dem
"einen Volk": https://www.jugendopposition.de/node/150966?guid=1832

Gemeint war damit ursprünglich nicht, dass die Ost- und der Westdeutschen ein Volk sind sondern gemeint war, daß die Demonstranten und die Polizisten e i n Volk seien.

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Olaf Teßmann
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