Kritiker haben es gut. Für zwei kurze Momente sind sie die Herren über Sein oder Nichtsein der Kunst, die sie kritisieren. In dem Moment, in dem so einer seinen Artikel abgeschlossen hat: "Das Werk ist von einer abscheulichen, durch den Einfluss des präcineastischen Bildermachens geprägten Schönheit. Ein Fernbleiben empfiehlt sich nicht!" Und dann noch mal in der kurzen Zeitspanne, bis sich der Leser das empfohlene oder abgelehnte Werk anschaut: "So was nennt sich Kritiker! Rein gar nichts versteht der von Kunst!" Schamvoll birgt der lauschende Kritiker im dunklen Kino sein Gesicht. Wehe wenn der Kritiker des Kritikers dann mit Popcorn knistert: Den zischt er aber zusammen.
Nun also, mitten in der Krise, die Geschichte vom Untergang des Handels-Hauses Buddenbrook im Kino. "Das ist ja gar nicht der erste Film über die von Thomas Mann nachempfundene Familie." Sagt der Großkritiker. Denn er hat ein Gedächtnis wie ein Elefant, ist nur nicht so gutmütig: "Da gab es doch den Film mit Liselotte Pulver und Gustav Knuth und überhaupt war damals alles besser, jedenfalls gab es kein Popcorn im Kino. Nehmen Sie sich daran mal ein Bespiel, Herr Breloer!" Denn Heinrich Breloer hatte die Regie beim jüngsten Film über den großen deutschen Gesellschaftsroman, Sie wissen schon, steht bei Ihnen im dritten Regal von rechts, bisschen unter Goethe aber eindeutig über Eco, aber der fängt ja auch mit "U" an. Wann Sie den Mann gelesen haben? Damals natürlich.
Es fängt fast so an wie "Es war einmal in Amerika", nur dass die werdenden Gangster im New York der Prohibition einen Pakt schließen und die werdenden hanseatischen Kaufleute, als kleine Karrenrennfahrer eine Wette eingehen und das Marzipan-Lübeck nicht aus den Gullys dampft. Aber dann bäumen sich zwei schwere Brauereigäule auf, die Kinder entkommen dem Unfall und der Strafe, und schon wir sind mitten drin in den Buddenbrooks. So um 1830, als das deutsche Bürgertum beginnt sich aus dem Biedermeier zu lösen, um dann doch lieber die nationale Revolution, die deutsche Einheit zu verraten. In Lübeck, sagt Konsul Jean Buddenbrook, von Armin Mueller-Stahl mit gewohnter Souveränität und der notwendigen Mattheit der Figur gespielt, in Lübeck haben wir schon eine Republik. Es ist diese besondere Sorte der Kaufmanns-Republik: Man wählt untereinander die Stadtregierung, man heiratet untereinander und wehe einer vergreift sich am Firmenkapital.
Es soll für das deutsche Bürgertum, nach Ende des Romans, nach Ende der Film-Handlung, im wirklichen Leben, noch viel besser kommen: Die Preußen gewinnen ihre Kriege gegen Dänemark und Österreich, die Hansestädte treten dem "Deutschen Zollverein" bei, der Markt wird größer, man dereguliert, der Umsatz steigt, die Korken knallen und eines fernen Tages wird das deutsche Bürgertum, getrieben vom ersten verlorenen Krieg und ärgerlichen Arbeitern, sogar unwillig eine richtige Republik gründen. In der Zeit der Buddenbrooks, da stehen sie am Anfang der Leiter zum Aufstieg, zur Emanzipation, aber Thomas Mann lässt die Familie absteigen. Obwohl sie anfänglich so richtig reich sind machen die Buddenbrooks Fehler, verlieben sich, heiraten falsch, degenerieren so vor sich hin und müssen in der letzten Firmengeneration die Liquidation hinnehmen.
"Wir sind dann mal fertig", sagt die Buddenbrooksche Haushälterin, als sie den Konsul aufbahrt und so fertig wie der ist, so wird bald das ganze Handelshaus sein. Doch erstmal gibt Breloer einen Reigen üppiger deutscher Landschaften und Iris Berben einen prächtige Konsulin, das letzte gute Heiratsgeschäft, das die Sippe gemacht hat: "Wie belieben?" Beliebt war und ist die Berben, eine Sammlung preiswerter TV-Serien, von "Sketchup" bis zu den "Guldenburgs" kommen auf ihr Konto und dass davon nichts durchschimmert das ist ihr hoch anzurechnen. Von keinem Darstellungsschimmer geplagt ist Justus von Dohnanyi, der den Bendix Grünlich, den Mitgifterschleicher so spielt, dass jeder es von der ersten Sekunde an weiß: Das ist ein schlechter Charakter und der wird auch nicht besser. Ähnlich durchsichtig ist sein Opfer, des Konsuls Tochter (Jessica Schwarz): Eine eiserne Fröhlichkeit zeichnet sie aus, wenn sie von der einen schlechten Beziehung in die nächste taumelt oder getrieben wird.
Die Gerda, ein Mitgiftimport aus Holland für den ältesten Buddenbrooksohn Thomas (Mark Waschke), wird von der französischen Schauspielerin Lea Bosco in einer Weise illuminiert, dass man jederzeit bereit ist ihr zu verzeihen, wenn sie den Langeweiler Thomas mit ihren Launen quält und mit dem musikalischen, kleinen Leutnant aus dem Takt bürgerlicher Ehrbarkeit gerät. Drehbuch und Regie halten für August Diehl, den jüngeren der Buddenbrook-Brüder, die eigentliche Rolle bereit: Den Taugenichts, dem füllige Damen näher liegen als üppige Geschäfte, der schwätzt und trinkt und in allem der Gegenentwurf des Familien-Erben ist. Da ist nichts runter gespielt, da gibt es ausreichend Schattierung, da ist ihm manchmal das Vergnügen am Enfant Terrible anzuschauen.
Der Film kommt am 25. Dezember in die Kinos und wenn dann die Familie den Gänsebraten verlässt und sich die Weihnachtsgespräche erschöpft haben ("Heiner hat sich ja mit seinen Immobilenfonds völlig verspekuliert!" - "Da kann Oma Irmchen nur lachen, die hat nichts daneben geriestert."), dann lassen sie sich mit einem Schauspiel über Gewinn und Verlust von Geld und Menschlichkeit gut fortsetzen. Und auf dem Heimweg ist sicher folgendes zu hören: "Dein Kritiker! Hatte der nicht gesagt, der Film sei gut für die Verdauung?! - "Was heißt hier mein Kritiker? Du liest doch immer das geschwollene Zeugs!" Und so beweist sich erneut, dass Weihnachten ein Familienfest ist und dass Thomas Mann einen Familien-Roman geschrieben hat und Heinrich Breloer Familien-Filme machen kann. Nur vom Kritiker weiß man nicht, ob er das Lübeck-Epos wirklich verstanden hat. Er hat nicht einmal erwähnt, dass es nicht nur in Kiel sondern auch in Lübeck einen Matrosenaufstand gab. Aber das, liebe Kinder, ist ein anderer Film.