Das Theater überhaupt, so lustig es dem Zuschauer dünkt, ist eines der mißlichsten Dinge und so sehr es von der einen Seite an das Ideale zu gränzen scheint oder gränzt, so sehr hängt bey der Einleitung und Behandlung dieser wonnereichen Erscheinung viel von gemeinen und viel von geringen Mitteln ab.
Goethe an Tieck, (1801, Konzept)


Geld ist der Nerv des Krieges, der Liebe und des Theaters.
Theophile Gaultier, Kapitän Fracasse

„Böse Musen“ ist nicht nur Teil des Schüttelreims, sondern auch Titel eines Theaterromans von Burkhard Schmiester, in dem es vor allem um das eine geht – um Subventionen natürlich! Subventionen bestehen aus Steuern und Steuergelder gehören bekanntlich niemandem. Deshalb schreien sie förmlich danach, straflos veruntreut zu werden. Weil aber die Subventionen für Milch, um die Discounter am Leben zu erhalten, und für Kohle, um die Energiekonzerne zu stützen, sehr viel Geld verschlingen, bleiben nur Peanuts für die edle Kunst. Desto härter tobt der Verteilungskampf im Subventionensumpf.

Schmiester führt selbst ein freies Kölner Theater und weiß folglich, wovon er schreibt. Und wie er schreibt! Immer amüsant und anspielungsreich, zuweilen etwas hochgestochen und eine Kleinigkeit verschraubt, mitunter minimal manieriert. Der prosaische Kontext ist ornamentiert mit Kleistzitaten, Kleist zumeist und manchmal Hamlet. Die museale Patina der klassischen Zitate schafft ironische Distanz. Die ist ungemein wichtig, denn wenn sich die bösen Musen nicht gerade um das eine kümmern, dann freilich um das andere. Dabei wird selten geliebt, aber umso mehr penetriert. Öfters irritiert uns ein Productplacement, das durch die Hervorhebung als persiflierendes Stilmittel signalisiert wird: Marcopolo, wieder hungrig geworden, hat sich Spaghetti gekocht, zwei Stück Aldi-Lachs-Happen gebraten und eine Sauce aus Creme fraiche mit den kleinen Erbschen von Bonduelle verfeinert. (S.159) Noch exakter geht es kaum.

Tür an Tür mit jenem Marcopolo (so der Spitzname des ledigen Hauptkommissars Marc Pohl, von der Mordkommission natürlich, nicht etwa von der Sitte) wohnt im selben Haus die Hauptakteurin Ilka Büntler. Ein Glücksfall für jede Frau, die nicht gerade mit Giftmischerei befasst ist. Der gut aussehende Ordnungshüter liebt die klassische Musik und singt selbst im Treppenhaus (öffentliche Ruhestörung?). Frau Büntler macht modernes Theater (groben Unfug?), indem sie Kafkas „Bau“ (welchen eigentlich?) mit Becketts „Glücklichen Tagen“, das heißt das Absurde und das Sinnentleerte, zu einem Theaterhappening verrühren will. Dazu braucht sie Zuschüsse, die durch den Austausch von Körperflüssigkeiten fließen sollen. Anatole Broyard, einst der Reich-Ranicki der New York Times, hat in seinen Memoiren „Verrückt nach Kafka“ den pittoresken Satz geschrieben: Sie war nicht, was ich mir vorgestellt hatte, aber als ich hinter ihr die vier Treppen zu meiner Wohnung hinaufstieg, ihren Arsch vor Augen, sagte ich mir, dass zumindest das real war. Da hat Marcopolo beim Treppensteigen deutlich mehr Glück mit seiner Nachbarin, die so aussieht, als sei sie gerade aus einem Hochglanzmagazin gepurzelt.

Und schon befinden wir uns inmitten einer heftigen Liebesgeschichte, gewürzt mit reichlich Mord und Totschlag, sinnverwirrenden Theaterintrigen und hocherotischen Kapriolen. Bei Schmiester fließen Blut und Sperma nicht etwa in der Inszenierung, dafür schluckt die Handlung des Romans ein paar Eimer voll von beidem. Da ist Jean Blömken, der kulturpolitische Sprecher einer großen Volkspartei und spitz wie Nachbars Lumpi, aber sein blaublütiger Kulturamtsleiter Björn von Sydow ist noch viel spitzer als er. Diese erektilen alten Böcke sitzen auf der Knete. Man kann sich ausmalen, wohin das bei dem libidinösen Theatervölkchen führt, aber ein bisschen Promiskuität bringt Leben in die Bude. Unsere Voreltern hatten einen biblischen Begriff dafür: Sodom und Gomorra. Heinrich der Kleist gibt übrigens sein Antidot in den letzten Zeilen der „Hermannsschlacht“, doch die vermeidet Schmiester zu zitieren. Und das ist gut so!

Auf leisen Sohlen naht sich endlich das Verhängnis und räumt auf unter den bettelnden Theaterleitern und bedürftigen Regisseuren, den wendigen Assistenten und windigen Schauspielern, all den Nutznießern der Kulturamtsspenden. Sollte die Mortalität unter Kölns Theaterschaffenden wirklich derart hoch sein, dann wäre die alte Stadt am Rhein ein Paradies für den Nachwuchs. Damit beginnt das Geheimnis. Tritt Jean Blömken zu den Grünen über? Wird Ilka Büntler ins Gras beißen oder heiratet sie Marcopolo in Venedig? Knackt der Hauptkommissar den unlösbaren Fall oder lässt er sich die Wade tätowieren? Meine Berufsehre als Rezensent verbietet mir, darauf anders zu antworten als weiland Nina Ruge.

Eine letzte Frage: Handelt es sich um einen Schlüsselroman? Hoffentlich nicht, ich vermute eher eine soziokulturelle Fallstudie über bürokratischen Sparzwang, kontaminiert mit einer medizinischen Abhandlung über Analfissuren und der gleichermaßen kurzen wie fasslichen Schilderung der Skandalgeschichte um die Kölner Messehallen. Und hier sei mir eine kleine Abschweifung gestattet.
Der Autor, der laut Klappentext ab und an auch die deutsche Hauptstadt heimsucht, könnte in Berlin den Stoff zu seinem größten Kriminalroman finden, mit einer spannenden Tabelle irgendwo, die Zahlen mit neun und mehr Nullen enthält. Denn die heimliche Hauptstadt des Bimbes heißt schon lang nicht mehr Köln-Bonn, spätestens seit dem Desaster der Berliner Bankgesellschaft. Seinerzeit machte das Gerücht die Runde, danach seien graumelierte New-Yorker Banker in Berlin eingeflogen, um den grandiosen Banken-Coup genau zu studieren. Könnte es sein, dass sie das Ding dann noch einmal durchgezogen haben – global sozusagen?

Burkhard Schmiester ist, nehmt alles nur in allem, eine stilistisch reizvolle Gesellschaftssatire gelungen, in der die Begierden und der Tod gemeinsam an den Brettern sägen, die die Welt bedeuten.