Weil kein Mensch alle Berlinale-Filme in der eigentlichen Berlinale-Zeit sehen kann - 400 Filme in 11 Tagen sind selbst für die größten Kritiker-Augen zu viel - zeigen manche Sektionen des Festivals ihre Filme vorab. Dazu gehört auch das "Panorama", die Sektion des Autorenfilms. Sie präsentiert den Film des Irakers Mohamed Al-Daradji "Son of Babylon".
Die zwei sind schon länger unterwegs: Die versteinerte Alte und der heitere Junge. Sie streiten sich als wären sie miteinander verheiratet. Doch Großmutter und Enkel sind auf der Suche nach dem Vater des Jungen. Sie irren durch ein kaputtes Land: Der Irak des Jahres 2003, nach dem Sturz von Saddam Hussein, kennt kaum noch Regeln, kaum Strukturen, es ist ein Staat im freien Fall.
Enkel und Großmutter hat der Regisseur mit einem weiteren Handicap versehen: Sie sind Kurden, gehören also zu jener Minderheit, die bis vor kurzem zu den Hauptfeinden des Saddam-Regimes zählte. Die Großmutter kann nur Kurdisch, dass verschafft ihrem Enkel einen kleinen Zipfel der Macht in der Kleinfamilie, weil er arabisch gelernt hat und so zum stolzen Vermittler zur fremden Umwelt avanciert.
Aus dem Konflikt zwischen der Alten und dem Jungen bezieht der Film anfänglich komödiantische Elemente, die inmitten einer grausamen Wirklichkeit sonderbar wirken könnten, wären sie nicht Brücke zu einer alten Weisheit: Das Leben geht weiter, auch nach dem Krieg. Dieses Überlebenwollen lässt das suchende Paar auf Araber treffen, die ihnen die Sympathie der kleine Leute entgegenbringen, eine Solidarität der Notgemeinschaft, die ein großer Gleichmacher ist.
Soldat will der Junge werden, mit dem Soldatenmantel seines Vaters besitzt er eine Erinnerung an ihn, die er wie eine Trophäe durch den Nachkrieg schleppt. Und eine Rohrflöte hat er auch von ihm geerbt, ein Erbstück, das die Alte gegen Krieg und Gewalt wendet: Sie will, dass der Kleine Musiker wird. Ihr Beharren wird sich durchsetzen.
Das Ziel der Reisenden werden die Massengräber sein, die als Denkmale der Grausamkeit vom Saddam-Regime geblieben sind. Doch will der Regisseur weniger die jüngere Geschichte des Iraks aufarbeiten. Seine Botschaft gilt den im Irak um die Macht streitenden Parteien: Begrabt die Toten und die Feindschaft, sagt sein Film. Nur einmal lässt er Raum für die virulente politische Auseinandersetzung, als er, mitten im scheinbaren Frieden, eine amerikanische Militär-Patrouille Angst und Schrecken verbreiten lässt.
Al-Daradjis Film gehört zum Neubeginn des irakischen Kinos, offenkundig ist die Mehrheit seiner Darsteller Laien. Während der Dreharbeiten zu einem anderen Film wurden er und sein Team zuerst von bewaffneten sunnitischen Milizen verfolgt, um wenig später von US-Soldaten unter dem Vorwand, sie würden der Al Qaida angehören, für Tage inhaftiert zu werden. Es mag sein, dass der Regisseur sich von seinem eigenen Erlebnis hat inspirieren lassen. Sicher scheint, dass die irakische Nachkriegszeit immer noch den Krieg kennt.