Ein großer Garten, voll mit schwer an ihrer Früchte Last tragenden Zitronenbäumen. Ein Garten, der an jenen paradiesischen erinnert, den die Religionen verheißen. Der Garten danach, wenn wir, aller Sorgen ledig, uns morgens dem Bewässern und nachmittags den Gesprächen mit Gott widmen, so ein Garten ist der Hauptdarsteller in »Lemon Tree«, dem Film des israelischen Regisseurs Eran Riklis. Der Hauptdarstellerin, Hiam Abass (Salma), gehört der Garten im Film. Und auch in unseren Träumen über die Gespräche mit dem Alten könnte sie die eigentliche Besitzerin des Gartens sein: Sparsame Bewegungen, minimale Regungen im Gesicht, geringfügige Gesten reichen der großartigen Frau, um Gefühle auszulösen, die Erzählung Fahrt aufnehmen zu lassen und den Zuschauer auf seinen Sitz zu nageln. Hiam Abass ist im israelischen Nazareth geboren, sie ist Palästinenserin, im Film und im wirklichen Leben. Und den Garten will man ihr nehmen.
Das einfache Haus mit den vielen Zitronenbäumen steht an der Grenze zwischen Israel und der West Bank. Und gleich gegenüber hat der neue israelische Verteidigungsminister seine Villa bezogen. Sicherheitsleute umschwirren den Zitronenhain, ein Wachtturm hebt sich über die Bäume und die Witwe steht unter Beobachtung: Schon bald sollen die Bäume fallen, das Militär braucht Schussfeld, um den Minister zu sichern. Was wie ein ein etwas konstruierter Zufall aussieht, darf als Parabel auf die israelische Version der Mauer, jenen Grenzwall, der nach der Fertigstellung 650 Kilometer lang sein wird und dem heute schon in der Westbank Obst- und Olivenhaine der Palästinenser, mehr als 80 Quadratkilometer Land, zum Opfer gefallen sind. Natürlich geht es auch um wirkliche Bäume, um Erwerbsquellen und kleinen Landbesitz. Aber es geht immer zugleich auch um die Frage »Wem gehört das Land«, die Grundfrage zwischen den Palästinensern und den Israelis seit es Israel gibt.
Salmas Garten, vom Vater angelegt, von ihr liebvoll gepflegt, ist ihr natürlich weit mehr als Erwerb und Besitz, er ist Heimat, Familiengeschichte und Zuflucht. Die Kinder sind aus dem Haus und eine Witwe, argwöhnisch beäugt von der arabischen Männergemeinde mit ihren kaputten Ehrbegriffen, braucht einen Ort der Geborgenheit dringender als andere. Und während im Nachbarhaus die Frau des Minister sich im gepflegten Luxus langweilt, mit ansehen darf wir ihr Mann sich bereits nach dem jüngeren Austauschmodell umschaut und eigentlich gerne mit der Nachbarin einen Kontakt hätte, nimmt Salma den Kampf um den Garten auf, sie reicht Klage ein. Und als wäre es nicht schwer genug vor einem israelischen Militärgericht recht zu bekommen, verliebt sie sich in den deutlich jüngeren Rechtsanwalt. Dieses langsame Wiedererwachen der verschlossenen Frau zählt zu den schönsten Momenten des Films: Spiegel werden wieder zu Bildern, das Kopftuch, bisher ein Bekleidungsstück, gerät zum koketten Accessoire, so wie sie kämpfen will, will sie auch lieben. Sie wird beides verlieren, den Kampf und die Liebe.
In der parallelen Geschichte des Regisseurs Eran Riklis , der um Mira, die Frau des Verteidigungsministers, wird auch ein Erwachen erzählt. Ihr reicht es, Zierde des Ministersalons zu sein, sie hat es satt ihren Mann in seiner Rolle als allwissenden Machtmenschen zu beobachten, sie spürt, dass der Nachbarin Unrecht getan wird, fühlt sich mitschuldig und weiß doch nicht, wie ihr zu helfen wäre. Einmal, als sie sich unbeobachtet glaubt, will sie Salma besuchen. Aber der allgegenwärtige Sicherheitsapparat verhindert das, was so notwendig wäre: Eine wirkliche Nachbarschaft. Auch als sie den Medien ihren Standpunkt zu dem inzwischen im ganzen Land bekannten Lemon-Tree-Konflikt erzählt, wird sie gezwungen zu dementieren. Sie wird gegen Ende des Films das Haus des Ministers verlassen, wie nicht wenige Israel verlassen, zerbrochen an einem Konflikt zwischen dem Land das sie lieben und dem Unrecht, das es anrichtet.
Eran Riklis hat einen wundersamen Film gemacht. Traurig und bitter ist er, zart und süß zugleich und manchmal, immer dann, wenn der junge israelische Soldat auf dem Wachturm herumtölpelt, auch sehr komisch. »Lemon Tree« lässt hoffen: Solange Israelis solche Filme über den Konflikt mit ihren Nachbarn drehen, solange muss man die beiden nicht aufgeben. Das Schlussbild allerdings, in dem die auf dreißig Zentimeter abgesägten Zitronenbäume eingefroren sind, einer Entscheidung des höchsten Gerichtshofs entsprechend, zeigt, wie weit wir noch von einem Happy-End entfernt sind.