Ich muss gar nichts ausser
schlafen, trinken, atmen und ficken
und nach meinen selbstgeschriebenen regeln ticken
Ich muss gar nichts ausser
schlafen, trinken, atmen und ficken
und gelegentlich um vier uhr früh n burger verdrücken
Großstadtgeflüster
Sie ist da, die erste islamische Generation des deutschen Films: Burhan Qurbani stammt aus Afghanistan und hat an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert. Mit seinem Film "Shahada" (Glaubensbekenntnis) erzählt ein ebenso aufgeklärter wie gläubiger Muslim von seiner Religion. Und er erzählt mit einer unmittelbaren Wucht, mit einer großen Zärtlichkeit und völliger Zerrissenheit, die tief berührt. Wenn er zugleich, wie unbeabsichtigt über die Stadt Berlin Auskunft gibt - über dieses vibrierende, unverstellte Monster, nicht gelackt, geprenzelbergt, einfach nur über den Rand berichtet, aus dem die Stadt wesentlich besteht - dann gibt er uns ein großzügiges, zweites Geschenk.
Zwei von diesen neuen, modernen Türkinnen, so steigt der Film ein, tricksen den Türsteher an einer Disko aus: "Der hat mich angefasst" schreien sie, "haben Sie das gesehen, geschlagen hat der!" Und als sie so tun als riefen sie die Polizei, da gibt er auf, der baumlange, vor lauter Wichtigkeit geschwollene Typ. Noch während sie ihm die Luft rauslassen und durchschlüpfen, wird er mit einem steifen Mittelfinger bedacht und dem Wunsch, er möge doch seine Mutter ficken. Dann tanzen sie ekstatisch und singen mit, was die Band "Großstadtgeflüster" an Text für sie bereithält: Ein selbstgeschriebenes Leben.
Was wie ein Film über selbstbewusste Mädchen beginnt, schlägt unversehens in das Drama gewöhnlichen Lebens um: Eine der beiden jungen Frauen ist schwanger und treibt illegal ab. Dass sie die Tochter des Imam, des Vorstehers einer muslimischen Gemeinde ist, verschärft ihre Lage ungemein. Der Subtext eines parallelen Lebens hat sie erreicht. - Der junge türkische Polizist, den uns der Regisseur als nächste Episode zeichnet, einer der mit einer Deutschen verheiratet ist und von Gott eher weniger hält, erfährt seinen Zwiespalt mit einer tief gläubigen, islamischen Bosnierin: Sie hat er versehentlich angeschossen, auf der Jagd nach einem kleinen Dieb, deshalb erlitt sie eine Fehlgeburt. Deshalb glaubt er, seine Familie verlassen zu müssen.
Inschalla: So Gott will, diese im Islam gesetzte Vorbestimmung des eigenen Schicksals, lässt die Bosnierin die Fehlgeburt eines ungewollten Kindes als das Ergebnis göttlicher Vorsehung begreifen: Allah hat ihr eine Wunsch erfüllt. Der Tochter des Imams aber wird diese Gottergebenheit angesichts ihrer Sünde, denn nicht anders kann sie die Abtreibung begreifen, zum Wahn: Sie, die von ihrem Vater in einem gütigen Islam, mit einem liebenden, verstehenden Gott erzogen worden ist, wird zur fanatischen Predigerin, einer Verkünderin des strafenden, richtenden Islams.
Viele kleine Bilder sind es, die dem Film seine unverwechselbare Farbe geben: Die kopfbetuchten Frauen, die in der Moschee über Angelina Jolie und Brad Pitt klatschen, und von denen sich eine sicher ist, dass die Sünden der Frauen von Allah nicht wahrgenommen werden. Der habe genug mit den Verfehlungen ihrer Männer zu tun. Oder wenn der junge Deutsche aus dem Großmarkt unbedingt die Regeln des Islam kennen lernen will, deshalb seinen nigerianischen Kollegen zu Hause besucht und sich in der fremden Welt so reizend dumm anstellt. Nur langsam lässt der Regisseur erahnen, dass hinter dem Interesse an der Fremdheit die Liebe lauert, die verbotene und verzweifelte Liebe zu einem islamischen Mann. Und aus den kleinen Bildern wächst unversehens großes Drama.
Da hocken sie in Moscheen oder knien auf Gebetsteppichen, rezitieren ein veraltetes Arabisch, dass so unlebendig ist wie Kirchenlatein, und doch so innig, wie wir aus unserem Kulturkreis nur noch das Rosenkranzgebet sizilianischer Großmütter kennen. Geworfen sind sie in eine Welt flirrender Elektronik, anonymer Großstädte, in ein neues Babel, in dem viele Sprachen zu Hause sind und wenig Verständigung. Ihnen gibt der Islam Halt und manchmal hält er sie einfach nur auf, wenn sie das Drehbuch ihres Lebens selbst schreiben wollen. Davon erzählt Burhan Qurbani. Mit einer Kamera, die sich an den Gesichtern festsaugt, die ein ungeheures Tempo erzeugt und die, wenn sie wackelt, nicht manieriert ist, sondern dem ständigen Beben der Welt Rechnung trägt.
Als ich klein war, war ich sehr katholisch. Rheinländer werden so geboren. Mein Glauben jagte mir manchmal Angst ein, ich hatte, um der Ohrenbeichte zu entgehen, die heilige Kommunion unwürdig empfangen und war, so sagte meine Kirche, der Hölle verfallen. Die Deutschen waren, nur kurze Zeit zuvor, von einem anderen Bekenntnis abgefallen: Dass Deutschland über alles sei und die Deutschen die einzig lebenswerte Rasse. Diese mörderische Konfession haben wir hinter uns gelassen, auch an die Hölle mag kaum noch einer glauben. Deshalb meinen wir die Berechtigung erworben zu haben, über anderer Leute Bekenntnisse zu richten. Wie lange sind wir schon so klug und wie lange wird die Klugheit wären? Und was nützt denn all die Klugheit, wenn sie im Hochmut erstarrt?
ROEHLERS JUD SÜSS: ECHT SÜSS, DIE NAZIS
"Man kann sich, in Kenntnis des Materials,
eine Art Unbefangenheit zurückerobern
- so dass man wirklich dieses Stück Mensch sehen kann.
Und nicht immer durch das Gitter des Massenmords schauen muss,
durch das man nichts mehr wahrnehmen kann."
Bruno Ganz über seine Rolle als Hitler in "Der Untergang"
Schade, dass Bruno Ganz nicht als Hitler mitgespielt hat, im Film von Oskar Roehler "Jud Süss - Film ohne Gewissen". Denn Ganz, der den Hitler als Menschen gegeben hat, sozusagen in der Unterhose, hätte in Roehlers Film auf Goebbels im Schlüpfer treffen können, natürlich nicht in seinem eigenen, sondern in dem dieser oder jener Dame. Und auf wen trifft er als Konkurrenten? Auf Ferdinand Marian, den Schauspieler dem er die Rolle des "Jud Süß" verschafft hatte, da ist Goebbels, in der Maske des Moritz Bleibtreu, aber wirklich sauer. Zum Beispiel als ihm der Marian (Tobias Moretti) die Gudrun Landgrebe wegschnappt und sie vor offenem Fenster vögelt. Gegen den dunklen Himmel kann man die Bomben und Brände des untergehenden Berlin sehen, einfach romantisch.
Natürlich ist in Roehlers Film kein Platz für Bruno Ganz, denn die Position des Hauptdarstellers ist bereits besetzt: Mit dem dämonischen Licht des Films, dass erst nach Kriegsende weichen mag. Dieses Licht braucht Roehler dringend, denn mit Marian hat er sich die schwächste nur denkbare Figur heraus gesucht: Einen Mitläufer, einer der eher versehentlich in einem widerlichen, antisemitischen Propagandastück die Hauptrolle gespielt hat. Gut, es gibt noch den Goebbels, den Bleibtreu mit einem unechten rheinischen Akzent ausgestattet hat. Goebbels privat: Jovial ist der Mann, fast niedlich, manchmal schreit er auch ganz plötzlich, dann wirkt er so komisch, dass die Leute im Kino lachen müssen. Also muss das dämonische Licht für all das Schändliche herhalten, das die Nazis angerichtet haben.
Es ist wahr, wenn man die Nazis endlich aus dem "Gitter des Massenmordes" befreit hat, dann kann man sie so wahrnehmen wie sie wirklich waren: Stücke von Menschen. Na schön, sie hatten diesen oder jenen Fehler, und der Film verschweigt auch nicht den Massenmord an den Juden, aber wer weiß, ob der Goebbels als Mensch davon gewusst hat? Der Marian schon ein wenig, erzählt der Film. Aber was sollte er groß machen, da ging es ihm eigentlich wie allen Deutschen damals, er war irgendwie hilflos. Nach Hitlers Frauen und Hitlers Hunden (Guido Knopp) jetzt also Hitlers Schauspieler (Oskar Roehler). Das ist jene Naziprivatheit, auf die das deutsche Volk gewartet hat und deshalb steht auch schon fest, was Roehler nächstens tun will. Goebbels' Leben soll unter seiner Regie zum Gangsterdrama werden, "das sich ganz klar an Scarface" orientiert - praktisch die Fortsetzung von seinem Jud Süss: "Dieser Film wird Der kleine Doktor heißen", teilt Oskar Roehler in der "Süddeutschen Zeitung" der Öffentlichkeit mit. Süß, oder?