Beifall rauschte auf im Festival-Kino. Ein paar hundert Journalisten hatten zwei Stunden kaum einen Laut von sich gegeben, um keine Minute von "Die Trennung" von Asghar Farhadi zu verpassen. Nur eine Handvoll Menschen treten in dieser schmerzhaft nahen Beobachtung eines Kampfes auf, eines Kampfes um eines heranwachsendes Kind, das die Mutter behalten will und der Vater auch. Es ist ein modernes Zerren um die Tochter, kein Arm wird ausgerenkt, kein Bein verdreht, Vater Nader und Mutter Simin überbieten sich fast darin, die Entscheidung der Tochter zu überlassen. Es ist der iranische Mittelstand, mit der hübsch eingerichteten Wohnung, dem neuen Auto und dem Akzent auf Bildung und Ausbildung, der uns im Film begegnet.
Ursprünglich wollten Simin und Nader gemeinsam den Iran verlassen, ein Land, in dem zumindest sie für ihre Tochter Termeh keine Zukunft sieht. Doch Nader entscheidet sich plötzlich anders, er will bleiben, um seinen dementen Vater zu pflegen. Deshalb braucht sie die Scheidung, denn dann bekommt sie vielleicht das Sorgerecht. Als sie ihr erstes Ziel verfehlt, der Richter verwirft die Scheidung, zieht sie aus der gemeinsamen Wohnung aus. Termeh entscheidet sich für den Vater, will die Mutter aber zurück haben.
In das Leben der drei tritt eine andere Facette des Iran, in Gestalt einer noch jungen Frau, die den Vater pflegen soll. Sie kommt aus einer unteren Schicht, ihre tiefe Gläubigkeit äußert sich nicht nur im Chador, dem Schleier für den ganzen Körper, sondern auch in der Angst vor dem Männerleib: Als sie den kranken Vater waschen, ihn also unbedeckt sehen müsste, versichert sie sich erst bei einem geistlichen Berater, ob es denn auch keine Sünde sei, wenn sie dem alten Mann in seiner Not hülfe. In der pflegenden Frau und ihrem Mann treffen wir auf jene Schicht im Iran, der den Teil des Wahlsieges von Ahmadinedschad repräsentiert, der nicht durch Manipulation zustande gekommen ist: Die kleinen Leute mit der übergroßen Ehre, denen der Schwur auf den Koran ein wirklich heiliger Eid ist, und die in ihrer schlechten Lage nichts zu verlieren haben als ihr Wort.
Als Nader die Pflegekraft nach einem Streit aus der Wohnung drängt und sie auf der Treppe so stürzt, dass sie ihr ungeborenes Kind verliert, beginnt seine Tochter an der Redlichkeit des Vaters zu zweifeln: Er, den die Sorge um die Tochter und deren kranken Großvater treibt, verstrickt sich in ein Gespinst von kleinen Lügen, mit denen er sich im Recht glaubt. Und während die Tochter noch in Solidarität zu ihrem Vater verharrt, beginnt die Mutter den berechtigten Zweifel an Nader als Hebel für den Kampf um die Tochter zu nutzen.
Auf dem Weg zu einer Lösung, zu einem Urteil darüber, wer denn recht hat, gibt es eine beklemmende Lehrstunde über den heutigen Iran, über dessen schwer verständliche Religiosität, dessen dörflich-einfache Rechtsprechung und über die sonderbare Doppelrolle der Frauen. Zwar sind sie öffentlich nahezu unsichtbar, haben aber ihren Männern gegenüber eine durchaus eigene, eigenwillige Haltung, deren Kraft auch unter dem Chador sichtbar wird. Kamera und Regie lassen keinen Zweifel, dass das iranische Kino über große kreative Reserven verfügt. Und einer der sehr geschätzten Journalisten-Kollegen sagte in das Abklingen des Beifalls hinein: "Ich habe den goldenen Bären gesehen."
ZWISCHENSCHNITT
Geradezu euphorisch reagierten die Medien auf den neuen Film von Wim Wenders, eine 3-D-Arbeit über die große Choreographin Pina Bausch. Schon in den 50er Jahren war das 3-d-Verfahren eine beliebte Jahrmarkts-Attraktion: Wenn der gefilmte Pisspott im Publikum zu landen schien, kreischten alle auf. Die Kunst der Bausch hätte des Pisspottes nicht bedurft. - Auch heftig gelobt wurde die filmische Inszenierung des Theaterstückes "Coreolanus". Der Regisseur Ralf Fiennes transportiert das Stück aus dem alten Rom in das kaputte Bagdad. Neue Einsichten wurden nicht gewonnen. - Auch Tschernobyl fand mehr als zwanzig Jahre später noch mal statt. Im Film "An einem Sonntag". Der GAU des AKW markierte den Anfang vom Ende der Sowjetunion. Der Film erklärt woran es lag: Am Suff.
DIE GEIGE DES KITSCHIERS
Sonntag. Wenn es mal wieder regnet
Leise geigt der Kitschier sein Instrument durch den Film, aber virtuos: In "Les Femmes du 6eme Etage" von Philipp Le Guay geht das stille Glück durch den Dienstboteneingang, direkt hoch auf die sechste Etage, dort, wo die Dienstmädchen ihr Quartier haben. Es ist das Paris des Jahres 1960, de Gaulle ist Präsident, die herrschaftlichen Häuser sind elegant und die Welt ist noch in Ordnung: Oben ist natürlich Unten während Unten, in der bel étage, das Oben wohnt, die Crème de la Crème, der schwer reiche Privatbankier und seine schwer verzickte Frau, deren Leben in der gut sortierten Langeweile so vor sich hin dümpelt.
In das Leben des Bank-Paares, tritt Maria, das neue Dienstmädchen aus Spanien und natürlich wohnt sie auf der Sechsten, mit den anderen Mädels, die auch alle aus Spanien sind. Einmal gerät der Herr, wundervoll melancholisch-zerstreut Fabrice Luchini, auf eben diese Etage und kann sich gar nicht lassen: Soooo schlecht wohnen die dort, keine Dusche und sogar das einzige Klo für die sechs Frauen ist verstopft. Der Bänker wedelt mit den Scheinen und löst dieses wie manches andere Problem der Haushilfen, für die er anfänglich in toto ein Vorliebe entwickelt. Denn dort, auf der Sechsten, scheint sich niemals jemand zu langweilen, alle haben ganz gute Laune und überhaupt.
Obwohl der Film uns inmitten der katholischen Frauen auch eine echte, spanische Kommunistin serviert, die vom Franco-Faschismus erzählt und am Sonntag die Humanité verkauft, will er es doch nicht so ganz genau wissen, dass Oben nur existiert, weil Unten pariert. Doch weil die Farben der Regie so schön pastös sind und weil der Film sein Thema so wunderbar schwebend behandelt, kann man sich auf das alte Märchen vom guten Bourgeois einlassen. Wenn der Bänker einer der Spanierinnen eine Wohnung besorgt, wenn er dort ausgelassen feiert, sogar wenn er mit den Mädels die Messe besucht, kann man mitgehen und sich amüsieren. Aber, wenn er dann das kleine Geld der Dienstboten in Fonds und Obligationen anlegt und die Frauen in ihren kärglichen Pausen die Börsenkurse studieren lässt, dann wird der Film in einem Maße sozialdemokratisch, dass es einfach zu weit geht.
Erst als sich das verhaltene Gefühl, dass der Herr von der Bank anfänglich auf alle Spanierinnen streuselt, sich auf Maria (Natalia Verbeke) fokussiert, und sich eine halbwegs echte Liebe entwickelt, kommt der zarte Kitsch auf den Punkt einer annehmbaren Wirklichkeit: Maria ist jung und schön, der Bänker ist reich und nicht unnett. Und während der Film in einer langen Ellipse auf ein glückliches Ende zusteuert, gelingen ihm ein paar witzige Miniaturen über Dienst und Herrschaft, nur leise boshaft, aber eben unterhaltend. Für einen verregneten Sonntagnachmittag durchaus zu empfehlen.