Braucht man eigentlich noch einen Film über den Kampf um schwule Emanzipation? Ist "Milk", der Film um Harvey Milk, einen der amerikanischen Kämpfer für die Rechte der Schwulen, nicht eher einem Spartenthema gewidmet, so wie es Historienfilme gibt und Filme über die Tiefsee? Das mag für manche Bewohner liberal verfasster Städte so scheinen. Doch nicht nur in der Provinz existiert die Diskriminierung der Schwulen weiter fort. Jüngst erst, in einer Großstadt namens Washington, sah sich der neue US-Präsident genötigt, einen rechtsgerichteten, homophoben Evangelisten zu engagieren, der das Gebet zu seiner Amtseinführung zelebrierte. Und zudem: Der Kampf darum, ohne Unterdrückung, ohne Belästigung schwul sein zu dürfen, ist eine Frage der Bürgerrechte und ungefähr so privat, wie das allgemeine Wahlrecht.

Dem kleinen Harvey Milk reichte es nicht, darf man in Erinnerung an Sammy Davis jr. sagen, Jude zu sein, er war auch noch ein bekennender Schwuler. Das war selbst im liberalen, mit Hippies dekorierten San Franciso Anfang der 70er Jahre auffällig: Ziemlich regelmäßig prügelte die Polizei auf Schwule ein, rollte einschlägige Bars auf und selbstverständlich nickte eine bigotte amerikanische Öffentlichkeit mit den Köpfen. In Deutschland wollte man im Westen den gegen Homosexuelle gerichteten Strafparagraphen 175 erst 1993 endgültig abschaffen. Schließlich hatte noch Helmut Schmidt gesagt: „Ich bin Kanzler der Deutschen, nicht Kanzler der Schwulen“. Die DDR praktizierte den von Kaiser und Hitler geerbten Paragraphen ab Ende der 50er Jahre nicht mehr, sie schaffte ihn immerhin 1987 komplett ab. In den USA gab es in den Siebziger Jahren zwar bereits Antidiskriminierungsgesetze, sie entsprachen aber nicht der schwulen Realität und standen zudem auf der Kippe.

Milk, der mit seinem Lebensgefährten nach San Francisco gezogen war und dort einen Fotoladen im Arbeiterviertel "Castro" eröffnet hatte, wurde schnell zu einer zentralen Figur seines Quartiers: Er modernisierte den örtlichen Gewerbeverein, sein Laden wurde zu einem Kommunikationszentrum der schwulen Szene und er begriff früh, dass man gesellschaftliche Auseinandersetzungen nicht isoliert führen sollte: Als die Gewerkschaft die Coors-Braurei bestreikt, sorgt Harvey für einen Boykott des Biers in den Schwulenbars und zwang so nicht nur Coors in die Knie, sondern sichert auch den Schwulen einen Platz im Meinungsspektrum der Stadt. Sean Penn, der den Milk spielt, präsentiert einen quirligen, charmanten und zugleich unbeugsamen Helden, eine seltene Mischung, die dem großartigen Penn überzeugend gelungen ist.

An keiner Stelle wirkt der Film pädagogisch. Im Gegenteil überzeugt die Arbeit von Gus Van Sant (Regie) durch eine fröhliche Authentizität: Es wird geliebt und gelacht in "Milk", geturtelt und geflirtet. Es gibt einen Alltag, der mit scheinbar leichter Hand inszeniert wird, eine Privatheit, aus der Politik erwächst, weil man doch nichts anderes will als sein Recht auf Normalität durchsetzen, ein Leben führen, dass nicht durch die sexuelle Orientierung und deren negative öffentliche Resonanz bestimmt wird. Aber eben diese Öffentlichkeit will die "Perversen" nicht in die Normalität lassen. Dennoch kämpft Milk und ihm gelingt es, als erster bekennender Schwuler in den Stadtrat gewählt zu werden. Doch die religiös maskierte schwulenfeindliche Stimmung im Land eskaliert: John Biggs, ein konservativer Abgeordneter des kalifornischen Parlaments, setzt die Kampagne für die "Proposition 6" in Bewegung, eine Initiative, die schwule Lehrer und deren Unterstützer aus dem Schuldienst entlassen soll.

Im Film treibt der Kampf gegen die "Proposition 6" Milk und seine Verbündeten zu einem bewegenden Punkt, der auch in den realen Auseinandersetzungen damals in den USA und heute überall zum erfolgreichen Konfliktpotential der schwulen und lesbischen Bewegung zählt: Das Outing. Milk ruft seine Freude auf, sich zu bekennen, ihren Eltern, den Bekannten und der Öffentlichkeit zu sagen, dass sie schwul sind. In der festen Überzeugung, dass, kenne man einen Schwulen, man sie alle nicht mehr hassen könne. Daran ist viel Wahres, aber dazu gehört auch Mut. Ein Mut, den viele Politiker, unter ihnen der "Mann ohne Unterleib", Guido Westerwelle, nicht aufbringen. Der schwule Westerwelle war lange Jahre der typische Verdrängungsfall, einer, der behauptete, "die 68er sind Zensoren der geistigen Freiheit" und mit seiner Tarnung als Asexueller nur Unfreiheit unterstützte.

Harvey Milk wurde von einem erschossen, der ganz sicher ein politischer Konkurrent war, scheinbar auch ein Schwulenhasser und möglicherweise, so unterstellt der Film, selbst schwul, ein Tarner und Verdränger. Es ist ein stiller, bewegender Lichterzug, der am Abend der Mordes durch San Francisco zieht. Die Kamera verharrt auf Gesichtern, die wir in den zwei Stunden Film als gute Freunde haben kennen lernen können. Wenn dann, im Abspann, die Fotos der realen Protagonisten jener Zeit gezeigt werden, fällt es schwer, die Distanz des Kritikers zu wahren. Harvey Milk: Er wurde in seinem 48. Lebensjahr ermordet, er sieht auf seinem alten Foto so strahlend jung aus.

Der Film kommt am 19. Februar in die Kinos.