Es mag Aberglaube sein,
aber in meinen Augen sind die Bücher,
die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten,
weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen.
Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an.
Thomas Mann
Von einer stirnrunzelnden Bildunterschrift der "Süddeutschen" über eine mokierende Bemerkung des "Focus" bis zur scheinbar wohlwollenden Kritik der "Zeit": Sergio Marchionne, der Chef des Fiat-Konzerns trug, Ohgottohgott, kein Jackett, nur Pullover, als er in Deutschland Opel kaufen wollte. Besser aussehen würden die FIAT-Opels vielleicht, mutmaßte die "Zeit", aber gut fahren nur dann, wenn sie die inneren deutschen Werte weiter besäßen. Das alles stammt noch aus jener Zeit, als die Deutschen vor jedem Briefkasten strammstanden, als die Uniform den Charakter ersetze, als der Schriftsteller Hans Fallada mit den Nazis gram war.
Da sitzt er nun, der Dichter Fallada, im Gefängnis von Neustrelitz, und schreibt ein hastiges Tagebuch. Es ist das Jahr 1944, der Krieg der Nazis geht seinem verlorenen Ende entgegen und Fallada, hochgerühmter Autor von Romanen, die soziale Phänomene beschrieben und populärer Schreiber unterhaltsamem Zeugs, rechnet mit den Nazis ab. Denn er - so glaubt er, und seine Gewissheit wächst mit jedem Tag, an dem das Ende des kurzlebigen Dritten Reichs absehbar ist - war ja nicht dabei, sondern war in der "inneren Emigration". Schließlich "sitzt" er auch noch.
Ein aktiver Nazi war der Autor von "Kleiner Mann - was nun?" oder von "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" kaum. Aber der Reichspropagandaminister hatte ein Faible für ihn. Und verbrannt wurden seine Bücher auch nicht, manche wurden sogar verlegt. Selbst wenn der prominente Autor herausgehoben war: So wie er fühlten viele Deutsche. Nicht so richtig für die Nazis, auch nicht so richtig dagegen. Darin liegt der besondere Wert des von Jenny Williams und Sabine Lange bei Aufbau herausgegeben Buches: Es erzählt aus dem Inneren des Reiches, vom gewöhnlichen Leben im Faschismus.
Im Januar 1933 zechen der Verleger Rowohlt und sein Autor Fallada in einer Kneipe in Berlin. Ein Kellner ruft den Gästen zu, dass der Reichstag brennt. Schriftsteller und Verleger sind betrunken genug, um dem Göring beim "kokeln helfen" zu wollen. Ihre Frauen können den touristischen und wichtigtuerischen Ausflug der beiden zwar verhindern, aber so oder so ähnlich wird ein Teil der Deutschen den Brand des Reichstags empfunden haben: Nichts weiter als eine Nachricht von der radikalisierten politischen Bühne, als eine Sensation, nicht als ein Menetekel.
Erst als Fallada von einem kleinen Nazi schikaniert wird, als der ihn aus dem Haus vertreibt, in dem der Schriftsteller wohnt, da findet der die Nazis zunehmend ärgerlicher: "Noch nie haben Menschen so wenig Sinn für Humor gehabt wie Herr H. und sein gesamter Anhang", fällt ihm auf. Und als er, im Zuge der Vertreibung, weniger aus politischen Gründen als aus Ranküne, ins Gefängnis muss, da fallen ihm "aufrechte" Mitglieder des "Stahlhelms" angenehm auf, weil diese präfaschistischen Truppen doch in die SA gezwungen worden seien. Als ginge es um eine Wirtshauskeilerei und nicht darum, welche Truppe krimineller war.
"Noch immer sind wir unpolitische Leute", notiert Fallada in seinem Gefängnistagebuch. Und auch diesmal sitzt er eher, weil er Witze über die Nazis machte, weil er seine Klappe nicht halten konnte und weniger weil er sich zum aktiven Gegner des Regimes entwickelt hat. Noch 1944, als auch der letzte Deutsche vom Verbrechen an den Juden hätte wissen können, fällt ihm ein, ". . . dass es die Juden selbst sind, die diese Schranke zwischen sich und den anderen Völkern errichtet haben." Derart unpolitisch waren viele Deutsche: Über die Kriegsfolgen murren, aber nur nicht genau hinschauen, man hätte ja schon über das Wissen schuldig werden können.
Und die, die es besser wussten, die nicht in der inneren Emigration verharrten, sondern ins Ausland geflohen waren, die werden von Fallada heftig beschimpft: "Und da sitzen die Narren draußen im Auslande, sie sitzen recht bequem und gefahrlos und sie beschimpfen uns als Konjunkturritter", schreibt er und man erinnert sich an den Kanzler Brandt, dem seine Gegner die Emigration vorwarfen oder an Marlene Dietrich, die als Liebchen der US-Truppen diffamiert wurde. So sah der "innere Widerstand" bis in die Fünfziger Jahre im Westen aus, so wurden die vorgeblichen Drückeberger der Emigration ausgegrenzt und die im Reich Gebliebenen heroisiert.
Immerhin wird dem Schriftsteller langsam klar, dass die Deutschen ein unreifes Volk und dass sie "zu einer Vormachtstellung noch (!) nicht berufen" sind. Doch auch Fallada hat das "Unrecht von Versailles" als Entschuldigung und Erklärung für das vorherrschende nationale Muckertum im Kopf. Die als ungerecht empfundenen Reparationszahlungen der Deutschen im Ergebnis des ersten Weltkrieg mögen zu hoch gewesen sein, doch wurden sie dem Hauptschuldigen des Krieges angelastet und eben diese Schuld wollten die Deutschen nicht tragen. Wenn der Versailler Vertrag bis heute als modische Entschuldigung für die Hitlerei genutzt wird, dann weiß man, dass die argwöhnischen Beobachter eines "schlampig gekleideten Italieners" aus eben jenen trüben Quellen trinken, aus denen sich die Umwertung realer Geschichte speist.
Bis in die wunderbar reichhaltigen Anmerkungen legt "Aufbau" ein zeitgeschichtliches Dokument vor, dessen besonderer Wert sich aus der Naivität der handschriftlichen Erstschrift erklärt. Denn als Fallada sein Manuskript im Mai 1945, vom Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland ermuntert, mit der Schreibmaschine überträgt und eine Reihe politischer Korrekturen einsetzt, fällt manche dumme Realität der Selbstzensur zum Opfer. Und obwohl die beiden Herausgeberinnen jede Seite des Manuskriptes sorgfältig kommentieren, fehlt auch ihnen machmal ein Stück politischen Durchblicks. So, wenn sie das "Winterhilfswerk" der Nazis schlicht als "Nothilfeaktion" erklären, statt als das, was es war: Eine gigantische Propaganda-Inszenierung des Dr. Goebbels, die nicht zuletzt die Bekleidung der ermordeten Juden verhökerte. Für einen gutem Zweck, versteht sich.