Der israelische Präsident will die Berlinale stoppen: Die Bundesregierung solle dem Festival den Geldhahn zudrehen wenn es BDS-Aktivisten einladen oder unterstützten wollte. BDS (Boycott, Divestment and Sanctions)-Aktivitäten wenden sich gegen die Apartheid in Israel. Auf die Frage der "Jüdischen Allgemeinen" in der Berlinale-Eröffnungspressekonferenz ob er davon gehört habe, fiel dem Berlinale‐Leiter Dieter Kosslick ein: Er habe von Netanjahu "noch keine Postkarte bekommen", und auch offiziell kein Schreiben. Er könne sich aber vorstellen, dass Netanjahu "die Filme nicht mag, die wir spielen. Aber das interessiert uns eigentlich nicht so sehr. Er macht ja auch Sachen, die wir nicht mögen". Die anwesenden internationalen Journalisten bedachten den scheidenden Kosslick mit freundlichem Beifall. – Kosslick hat viele gute Filme in den vergangenen Jahren nach Berlin geholt. Und eine Reihe guter Sprüche geklopft. Das was sein bester.

Auf der Suche nach Heimat
The Kindness of Strangers

Die dänische Filmemacherin Lone Scherfig stellte mit ihrem Film die Frage nach der Heimat: Nicht nach der Heimat-Sprache, nach der Heimat-Landschaft, oder gar den Grenzen der Heimat. Ihre Frage war im besten Sinn altmodisch, jene nach der sozialen Heimat. Eine junge Frau ist mit ihren beiden Kindern vor deren gewalttätigem Vater in ein kaltes New York geflohen und findet dort Hilfe bei Fremden. Menschen, die eigentlich selbst der Hilfe bedürfen. Als ständiges Menetekel setzt die Regisseurin ein Obdachlosen-Asyl ins zentrale Filmbild: Wer heute noch Obdach hat, erzählt der Film, der kann es schon morgen verloren haben. Das Asyl und die Schicksale, die Scherfig präsentiert, erzählen von einer Welt der Entwurzelung. Und ohne, dass die Regisseurin ein konkretes Wort über die sozialen Zusammenhänge verliert, kann der Zuschauer wissen, dass es um Hilfe geht, gehen muß. Scherfig bietet in ihrem Film nur eine private Lösung an: Die Betroffenen helfen einander und so sich selbst. Diese scheinbar unpolitische Lösung macht auf die riesigen Lücken der Gesellschaft aufmerksam: Die Netze organisierter Solidarität sind in vielen Ländern der Erde verschwunden oder haben zumindest große Löcher. Das notwendige Seminar über das Verschwinden der sozialen Sozialdemokratie und des realen Sozialismus – beides Systeme mit Fehlern aber letzte Konkurrenz-Modelle zum real existierenden Brutalo-Kapitalismus – muss sich jeder selbst organisieren.

Gott sei Dank!
Die katholische kriminelle Vereinigung

Gott sei Dank seien die Taten verjährt, sagt ein Kardinal im Film des Regisseurs François Ozon, über jene vielen, vielen Fälle von sexuellem Missbrauch in seiner Kirche, die spät an den Tag gekommen sind. Zu gern hätte die Kirchen-Hierarchie sie weiter verschwiegen. Von dieser katholischen Omertá erzählt die Arbeit des französischen Filmemachers. Von jener mafiösen Reaktion der Amtskirche auf das Licht der Öffentlichkeit, in das die Opfer des ständigen Missbrauchs die Verbrecher im Gewand des Priester zerren. Zwar steht nur ein Priester im Zentrum der Anklage der Betroffenen, aber sie zielen auch auf das Netz von Helfern und Helfershelfern, die über Jahrzehnte am Verharmlosen und Vertuschen beteiligt waren. Die eindrückliche, wortgewaltige Arbeit von Ozon wirft eine Frage auf, die weit über Frankreich hinaus geht: Wann und wo gab es eine Sonderkommission, eine spezielle Staatsanwaltschaft, die sich konzentriert mit den Pädophilenringen in der Kirche beschäftigt hat? Fraglos ist die Kirche zu häufig und zu eng mit den staatlichen Autoritäten verbunden, um ernsthafte Schritte gegen diese durchaus bekannte kriminelle Vereinigung zu unternehmen.

Dreck im Kino
Geworfen von Fatih Akin

Fraglos war Fatih Akin eine Hoffnung des deutschen Films: Mit Arbeiten wie "Gegen die Wand" und "Auf der anderen Seite" zeigte der damals noch junge Filmemacher, was Kino kann: Lachen und Weinen machen, zum Nachdenken anregen und gesellschaftliche Gegenden in Bilder wandeln, die der Zuschauer sonst nicht oder nur selten betreten hätte. Mit "Der Goldene Handschuh" zeigt Akin auf der Berlinale eine Landschaft, die gewöhnlich nur von den kaputten Freunden der Splatterfilme aufgesucht wird: Blut, Hoden, Kotze und Sperma in großen und abstoßenden Mengen dominieren den Film über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka. Die Kamera schaut genau hin, wenn einem Opfer der Kopf abgetrennt wird, und der Ton der Säge wird zentriert aufgenommen, um ihn so genau und so widerlich wie möglich an den Zuschauer weiterzugeben.

Mit Fatih Akin hatte ich vor Jahren eine kleine persönliche Begegnung: Als ihm auf der Berlinale 2004 der Goldene Bär verliehen werden sollte, erfuhr ich vor der Preisverleihung davon und gab diese Information vorab an den drahtigen, wachen und intelligenten Mann weiter. Seit dieser Zeit habe ich viele seiner Filme gesehen. Zunehmend waren sie weniger inspiriert und inspirierend. Offenkundig wurde mit den großen Erfolgen sein Talent kleiner. Der früher drahtige Mann ist schwammig geworden. Das kann bis zur Gehirnverfettung gehen. Nur so ist ein solcher Film-Dreck wie "Der Goldene Handschuh" zu erklären: Als Spekulation auf einen Skandal, als Ausweg aus dem Elend der Bedeutungslosigkeit. Schade. Ich mochte Fatih Akin.

Akins Film zeigt in jeder dritten Einstellung eine gut fotografierte Flasche "Oldesloer Korn", den seit 2003 meistverkauften Korn in Deutschland. Der Mörder Honka soll ihn gern und häufig getrunken haben. Solch penetrantes Product Placement kennt man sonst nur aus 007-Filmen. Denkbar ist, dass der Inhaber der produzierenden Brennerei, Thomas Ernst (August Ernst GmbH & Co. KG) der auch Präsident des Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure ist, Akins Film gesponsert hat. Kostenfrei biete ich der Brennerei einen Slogan für ihr Produkt an: "Oldesloer Korn macht mörderisch besoffen".

Nach der bisherigen Sichtung kann die Berlinale nur besser werden.