"Ein deutscher Sommer" ist der zweite Roman Peter Hennings. Und fraglos ist er, dem ersten gegenüber, ein Fortschritt. Noch mehr Fortschritt wäre möglich. Vielleicht beim Dritten.

Es gab im August 1988 noch die Sowjetunion und sie zog sich gerade aus Afghanistan zurück. Noch tobte der Krieg zwischen  dem Iran und dem Irak, und ein Abkommen zwischen der "Europäischen Gemeinschaft" und dem "Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe" war unterzeichnet worden, da geschah das, was in die Medien- und Kriminalgeschichte der Bundesrepublik eingehen sollte: Das Gladbecker Geiseldrama. Drei lange Tage zogen zwei Bankräuber mit ihren Geiseln durch West-Deutschland, hinter ihnen eine Karawane aus sensationsgeilen Medien und planloser Polizei, mit ihnen der Tod, vor ihnen ein Ende mit Schrecken. Das ist Kernthema des Romans von Peter Henning "Ein deutscher Sommer".

Rund um den Kern - den Raub, die Erpressung und das Medienspektakel - gruppiert Peter Henning eine schwer zu überblickende Zahl von Menschen, die, ob erfunden oder gefunden, für Momente oder ständig, mit dem Verbrechen in Verbindung stehen. Permanente Begleiter sind solche, wie der RTL-Reporter, getrieben von einer hemmungslosen Redaktion und dem eigenen Ehrgeiz, der mit der Kriminalkarawane sein bisschen Ego vergrößern möchte. Oder auch jene, wie der Kriminalbeamte, der alle Zweifel an der Fähigkeit der Polizei, die im Falle Gladbeck schändlich versagte, in sich versammelt. Die Figuren am Rand, der polnische Busfahrer eines zeitweilig gekaperten Busses, die Trivial-Schriftstellerin mit einem schweren Trauma, der Fotograf, der zum Vermittler zwischen Gangstern und Polizei wird, die Taxifahrerin, die Jugendlichen, die das Drama zum Anlass einer scheinbar politischen Aktion nehmen und alle die anderen sind dem Autor der Stoff, aus dem er ein Panorama der inzwischen versunkenen Bundesrepublik malt.

Liebevoll und ausführlich pinselt Henning an jedem einzelnen seiner Menschen, Lebensläufe werden ausgebreitet, zumindest angerissen. Das gelingt manchmal, wie bei der Beschreibung des polnischen Busfahrers, mit großer sprachlicher Intensität. Ein anderes Mal weiß man nicht so recht, wie bei dem jungen Pärchen, das über das Drama zum politischen Handeln bewogen wird, warum sie sich in diesen Roman verirrt haben. Und weil der Autor auch ein wenig unsicher darüber ist, ob seine Wirklichkeit eine wirkliche Wirklichkeit ist, stopft er sie mit einer unendlichen Fülle von Markennamen und Produktbeschreibungen voll, als sei es ein Stück von Ian Fleming, dem James-Bond-Erfinder: ". . . die Citizen-Automatik mit dem silbernen Stahlarmband, dem olivgrünen Zifferblatt und den türkisfarbenen fluoreszierenden Zahlen . . ." ist nur eins von vielen, zu vielen Beispielen. Wenn aber ein Name mal wirklich zu einem wichtigen Detail wird, so im Falle der holländischen Polizei, die auch in die Geiselnahme verwickelt war, dann heißt sie bei Henning "Police", während sie sich in der niederländischen Wirklichkeit "Politie" nennt.

Der vorliegende Roman Peter Hennings ist fraglos ein Fortschritt gegenüber seinem Erstling "Die Ängstlichen". Der Schriftsteller verzichtet diesmal darauf, den lieben Gott ins Buch einzuführen, auch die quietschende Befindlichkeit deutscher Kleinbürgerei, die noch den ersten Roman mit unangenehmen Nebengeräuschen versah, bleibt dem Leser erspart. Die Nähe zum tatsächlichen Geschehen bekommt dem Autor und deckt seine große Fähigkeit zur literarischen Genremalerei auf. Wenn ihm jetzt noch ein Lektor diese oder jene Figur gestrichen und jenen oder diesen Ausflug verboten hätte, dann hätte der Roman noch weiter fortschreiten können, zu dem, was der Klappentext uns erzählt: "Das ist absolut lesenswerte, große Kunst."