Natürlich hatte Rainer Mausfeld sein Buch „Angst und Macht“ vor Beginn der Corona-Kampagne geschrieben. Und doch kommt es gerade Recht, denn der Untertitel von Mausfelds Arbeit „Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ wird in diesen Tagen geradezu beispielhaft exerziert. Ein aktuelles Bild, zur Zeit in vielen Autos auf deutschen Straßen zu sehen, steht unbedingt symbolisch für das Ergebnis der Angsterzeugung: Zwei Menschen sitzen in einem Fahrzeug und beide tragen Atemschutzmasken. Neben der Tatsache, dass die Masken nur dann vielleicht ein wenig nützlich wären, wenn einer der beiden sich bereits mit dem Virus angesteckt hätte, ist der Maskenball im Auto nur durch dadaistische Visionen zu erklären: Die beiden wollen ihr Lenkrad nicht anstecken. Doch die ernste Wahrheit ist, dass nach wochenlangem Meinungs-Terror, ausgeübt durch alles, was die Meinungsmacht hergibt, der psychologisch erzwungene Gehorsam die Bürger in den vorauseilenden Wahnsinn treibt.
Eine neue, extreme Furcht
Mausfeld stellt in seinem Vorwort fest: „Eigentlich müssten wir heute die besten Voraussetzungen für ein historisch niedriges Angstniveau haben“. Und macht das daran fest, dass die Bevölkerung westlicher Demokratien keine Kriegserfahrung hat und daher Kriegsängste eigentlich ausfallen dürften. Die neuen Ängste sieht der Psychologe in der Angst vor dem sozialen Abstieg, der Angst vor beruflichem Versagen und in einer politischen Angstrhetorik begründet. Dass eine neue, extreme Furcht hinzukommen würde, die Angst vor dem Virus, vor einer unbekannten, unheimlichen Bedrohung durch eine nur scheinbar neue Krankheit, stand nicht auf Mausfelds Zettel. Doch die Pandemie löst eine kollektive Todesangst aus. Diese Angst beschreibt Mausfeld schon vor Corona; es ist die „Bewusstwerdung der eigenen Sterblichkeit“. Es ist der Todesengel, der zur Zeit vorgeblich an jede Tür klopft, und die Propaganda tut laut und offenkundig überzeugend so, als könnte es jeden gleich und jetzt erwischen. Diese irrationale Furcht wird nicht mal von den dubiosen überall gegenwärtigen Statistiken beweiskräftig untermauert. Aber deren ständige Wiederholung wird von einem üblen Trick begleitet: Immer und immer wieder wird die größere Zahl der Ansteckung an die Spitze der Meldungen gesetzt und so präsentiert, als sei sie bereits die Todes-Ziffer.
Der Kapitalismus verlangt eine Unterwerfung
Was und wem nutzt Angst? Diese Frage beantwortet Mausfeld mit dem griechischen Historiker Polybios, der schon 200 - 120 vor unserer Zeitrechnung feststellte, dass die Massen durch „diffuse Ängste und Schreckensbilder“ im Zaum gehalten werden müssen. Zwar habe die Demokratie eigentlich „größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst“ versprochen; doch die Machtausübenden mögen nicht auf die Einschränkung von Freiheiten verzichten. Denn, so Mausfeld, „Der Kapitalismus verlangt eine Unterwerfung unter die Machtverhältnisse, in denen eine Minderheit von Besitzenden über eine Mehrheit von Nichtbesitzenden Macht ausübt.“ Wer jüngst den Milliardär Bill Gates im öffentlich-rechtlichen TV erlebt hat, als er versprach, bald ein Mittel gegen den Tod durch Corona zu entwickeln, der hat die Macht im Gewand des Marketings und dessen Heilversprechen erlebt: Ich impfe euch alle, schreit die Macht, ob ihr wollt oder nicht, ihr werdet meine Kunden sein und meine Milliarden mehren, sonst müsst ihr sterben.
Entformalisierung des Rechts
Der Autor merkt an, dass durch die „Entformalisierung des Rechts“ wahrhaft feudale Privilegien entstehen. Tatsächlich ist der übliche demokratische Tarnanstrich, die parlamentarische Debatte und die öffentliche Diskussion – die zu anderen Zeiten als Dekorum der Demokratie die Machtausübung schmücken wie die Bordüre die Tapete – zur Zeit gestrichen. Angesichts des Feindes namens Corona gibt es nur noch eine Meinung, echte Diskussionen halten nur auf. Auch die eigentlich zur Demokratie gehörende Rechtssicherheit ist zur Zeit abgeschafft: Das Grundgesetz mit seiner Meinungs- und Versammlungsfreiheit wird dem „Infektionsschutzgesetz“ untergeordnet, eine Änderung der deutschen Verfassung, die das Bundesverfassungsgericht kaum interessiert und die früher existierende parlamentarische Opposition hat sich aus Gesundheitsgründen in irgendein unbekanntes Loch verkrochen. Es ist die Angst, die der bürgerlichen Demokratie die Seele aufgefressen hat.
Affektive Appelle ohne in argumentative Zusammenhänge
Auch wenn Rainer Mausfeld sein Buch vor den Corona-Bedingungen geschrieben hat, ist es doch immer noch von erschreckender Aktualität. Das gilt auch und ganz besonders für den öffentlichen Diskurs: „Wenn Sätze nur noch affektive Appelle sind, ohne in argumentative Zusammenhänge eingebettet zu sein (…), ist einem vernünftigen Denken die Basis entzogen“. Angesichts der kaum überprüfbaren Infektions- und Todeszahlen gibt es keine zweite öffentliche Meinung mehr. Was im normalen Krankheitsfall selbstverständlich ist, nicht nur auf die Meinung EINES Arztes zu setzen, gilt nicht mehr: Die einzige legale Expertise kommt aus der Umgebung der Regierung, des Robert-Koch-Institutes, abweichende Meinung werden kaum publiziert und wenn doch, dann nur noch mit dem vernichtenden Etikett „Verschwörungstheoretiker“ versehen. Auf die Frage, „wie kann eine größtmögliche Freiheit von gesellschaftlicher Angst gewonnen werden?“ antwortet Mausfeld mit Noam Chomsky: „Solange die Wirtschaft unter privater Kontrolle steht, ist es egal, welche Form das System einnimmt.“
Wer heute bürgerliches Recht fordert, ist revolutionär
Auf die Zeit des Virus angewandt, ist der Satz von Chomsky so zu übersetzen: Solange das Gesundheitswesen privatisiert ist, solange die Pharma-Industrie unangefochten die öffentliche Meinung formiert, solange die privaten Medien auch die Formen und Inhalte der öffentlich-rechtlichen bestimmen, solange ist es egal, wie sich das System maskiert. Allerdings haben die Jahrzehnte demokratischer Illusionen immerhin den Anschein von Demokratie insoweit verbreitet, dass man an diese Ilusionen anknüpfen kann: Wer heute bürgerlich-demokratisches Recht einfordert, der ist ein Revolutionär.
Link zum Buch:
https://www.westendverlag.de/buch/angst-und-macht/