"Bisschen Zähne zeigen", sagte der Fotograf bei einem Termin mit Boris Palmer, dem grünen Tübinger Oberbürgermeister und lieferte so die bisher treffendste Einschätzung des Politikers. Denn wer zu viel Zähne zeigt, wer "Radikales Oppositionsgehabe und Fokussierung auf klassisch grüne Themen" vorträgt, weiß der grüne Spitzenmann in seinem jüngsten Thesenpapier, der "verschreckt aber Neugrüne". Und so fährt er in seinem Papier fort: "Selbst bei grünen Themen steht vieles in Frage, wenn wir das Wachstum sichern wollen." Gemeint ist das Wählerstimmenwachstum, aber es könnte auch das Wirtschaftswachstum sein: "Marktwirtschaft habe ich auf dem Markt gelernt. Dass der Salat morgens teurer ist als mittags, war mir immer klar", verriet er einst dem Magazin "Vanity Fair (Jahrmarkt der Eitelkeiten)". Das Magazin ist inzwischen vom Markt verschwunden, Palmers Eitelkeit ist geblieben.
Auf dem Wähler-Markt hat das Produkt "Bündnis 90/Die GRÜNEN" zur Zeit gute Chancen für eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Ginge es nach dem Realo Palmer auch gern im Bündnis mit der CDU, eine Verbindung, mit der er seit Jahren liebäugelt. Aber erst muss die grüne Partei natürlich alten, linken Ballast abwerfen: "Obwohl wir früher den Austritt aus der Nato propagiert haben, kann grünes Wachstum nicht dauerhaft gelingen, wenn man Westerwelle für die Aufkündigung der westlichen Solidarität im Sicherheitsrat lobt", schreibt Palmer in seinem Papier und meint: Auf dem Weg zur Volkspartei stünde es den GRÜNEN ganz gut, wenn sie in Libyen ein bisschen mitbomben würden.
Wenn es um die Machtteilhabe geht, ist Palmers Flexibilität kaum zu überdehnen: "Die Grünen haben in zwei Jahrzehnten teils schmerzhafter Debatten eine realpolitische Grundhaltung angenommen und sich zur Wirtschaft geöffnet" erzählt er in der FAZ und stützt deshalb auch konsequent ein Kohlekraftwerks-Projekt in Brünsbüttel, an dem die Tübinger Kommune beteiligt ist. Selbst als die regionale Bürgerinitiative ihm vorhielt, dass man mit der Abwärme des KKW, die nutzlos in die Elbe geleitet wird, ganz Berlin beheizen könnte. Auch wenn die grüne Parteijugend ein früheres Atom-Ausstiegsdatum verlangt, als es von der Kanzlerin angeboten wird, mahnt Palmer vorgebliche Realpolitik an: Dem Merkel-Gesetz "können wir uns als 25%-Prozentpartei nicht verweigern." Vor allem aber möchte sich der grüne Politiker nicht der schönen Aussicht auf einen Ministerposten verweigern. Für welche Inhalte er dann stehen würde, schein zweitrangig zu sein.
Richtig erstrangig ist ihm die Stromlinie: "Das uneingeschränkte Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ist vorerst keine Forderung, mit der sich 25% der Deutschen gewinnen lassen", weiß der angepasste Palmer in seinem Thesenpapier und als er damit jede Menge Protest auslöst, gelingt ihm eine Rolle rückwärts der billigen Art: "Das war . . . falsch", teilt Palmer der ZEIT mit, "weil ich nicht wusste, dass es dafür bereits eine gesellschaftliche Mehrheit in Umfragen gibt". Was scheren ihn Inhalte, wenn es doch um Mehrheiten geht. Deshalb propagiert er auch "polizeiliche Repression" und Alkoholverbote, denn "wenn man nachts in den Innenstädten nicht mehr schlafen kann, muss eine breit im Bürgertum verankerte Partei" das tun, was alle anderen auch tun: Polizisten statt Sozialarbeiter schicken, ein bisschen Jugendgefängnis androhen, statt Arbeitsplätze zu schaffen. Palmer ist das herausragende Beispiel einer grünen Partei, die nur zu gern ihre einstigen Prinzipien über Bord wirft, wenn der Regierungsdampfer tutet. Die Zähne zeigen die Grünen nur noch, wenn sie aus ihren Wahlplakaten auf die Bürger runtergrinsen.