Das Überleben ganzer Nationen hängt von ihnen ab: Den Rating-Agenturen. Schön, werden Sie einwenden, es ist nur das finanzielle Überleben, aber was ist ein Leben ohne Finanzen? Und dann diese Macht: Sagt doch der Chef, von zum Beispiel Standard & Poor´s, sagen Sie mal "AAA", Sie aber kriegen nur ein beschämendes "D" raus, schon hat es sich ausgeratet. Sie sind nicht mehr kreditwürdig und können ihren Laden, beziehungsweise ihr Land schließen. Also wer diese Macht selbst spüren will, der muss einfach so eine Agentur aufmachen. Das hat der alte John Moody damals, 1909, auch geschafft: Er hat die finanzielle Qualität der amerikanischen Eisenbahngesellschaften beurteilt und daraus ein Geschäft entwickelt. Warum also nicht Sie?
Klar, Sie müssen klein anfangen. Erstmal in Ihrer Kneipe. Heinz, der Wirt, gibt Kredit. Im Jargon der Kneipen-Finanzwirtschaft nennt man das einen "Deckel". So einen Deckel macht zum Beispiel Manni. Denn Manni hat immer einen großen Durst, aber immer eine kleine Börse (beim letzten Wort bemerken Sie hoffentlich gewisse Ähnlichkeiten). Jetzt hätte auf der einen Seite Heinz, der Wirt gerne mal seinen Kredit zurück. Und auf der anderen Seite würde Manni, der Schluckspecht, zu gern noch 'nen Deckel und noch 'nen Deckel machen. In diesem Interessenskonflikt tauchen Sie auf. Sie beurteilen, gegen eine Gebühr versteht sich, die Kreditwürdigkeit von Manni. Sagen wir, es handelt sich um Mannis Monats-Sauf-Rechnung in Höhe von 200 Euro. Erstmal gucken Sie wichtig. Dann sagen Sie zum Wirt: Dem Manni bescheinige ich eine Bonität in Höhe von gut 200 Euro. Dafür hatte Ihnen Manni ja vorher 20 Euro zugesteckt. Jetzt dreht Heinz den Hahn auf und Manni legt sich drunter. Wenn der am Ende des Monats nicht bezahlen kann, geht es der Wirtschaft wie damals, 2008, mit Goldman Sachs. Aber sie übernehmen natürlich keine Verantwortung. Wie Moody´s, Standard & Poor´s und Fitch auch.
Nach der Eckkneipe wagen Sie sich an größere Unternehmen heran: Hier ein Zeitungskiosk, dort ein Gemüseladen oder eine Reinigung. Wer in den Läden anschreiben will, der muss erst von Ihnen ein Zertifikat bekommen. Bekommt er keins, kann er verhungern, wenn der Türke an der Ecke keinen Kredit mehr geben will. Anmelden müssen Sie so ein Gewerbe nicht, nur Steuern zahlen. In den USA gibt es nach wie vor keine Behörde, die bei den großen Drei irgendetwas kontrolliert. Warum sollte dann bei Ihnen die Kontrolle beginnen? Um später in das große Geschäft einzusteigen, in die Bewertung von Hedge-Fonds zum Beispiel, trainieren sie erstmal mit dem privaten Wettbüro. Das ist im Prinzip das gleiche: Ob sie auf Pferde oder auf Aktien wetten, Glücksspiel bleibt Glücksspiel. So langsam dringen Sie in die eisigen Höhen des Finanzmarkts vor. Wenn Sie jetzt noch einen Teilhaber bekommen wie Moody´s - bei denen war bis 2009 der Multi-Milliardär Waren Buffet Großaktionär - dann haben Sie ausgesorgt: Buffet legt Aktien auf, lässt sie von seiner Rating-Agentur positiv beurteilen und steigert so die Kurse. Ein prima Geschäft.
Aber so weit sind Sie ja noch nicht. Erst wenn Sie ganze Länder hoch- oder runterwetten können, kommt der wahre Kitzel. Bei der Gelegenheit könnten Sie dann den hoch spannenden „trigger event", den Teufelskreis, beobachten: Dem Land X (dem Unternehmen Y) geht es finanziell nicht so gut. Daraufhin bewerten Sie seine Kreditwürdigkeit nur so mittel, sofort muss das Land, wenn es denn weitere Kredite haben will, mehr dafür zahlen. Na, das bewerten Sie natürlich negativ, und schon bekommt das Land gar keine Kredite mehr, es kann Pleite anmelden. Dagegen ist eine illegale Poker-Runde total langweilig, obwohl die Regeln ähnlich sind. Sie waschen allerdings ihre Hände in Unschuld: Sie haben nur eine Meinung zur Finanzlage des jeweiligen Landes geäußert, mehr nicht. Und Meinungsfreiheit ist ja wohl in einer Demokratie garantiert, oder?
So langsam haben Sie das Geschäft kapiert und könnten sich mal an ein echtes Land wagen. An Luxemburg zum Beispiel. Warum Luxemburg? Das Land ist klein und gilt allgemein als zahlungsfähig. Wie langweilig. Als erstes verbreiten Sie die (wahre) Information, dass sechs von zehn Haushalten des Großherzogtums verschuldet sind. Zudem erinnern Sie daran, dass der repräsentative Großherzog Geld kostet, aber keines einbringt. Dann wird sich schon einer finden, Peer Steinbrück zum Beispiel, der den Luxemburgern droht, ihre Haupteinnahmequelle als Steueroase zu verstopfen. Jetzt wackelt Luxemburg. Sie werden einwenden, Luxemburg sei damit weit, weit von der Verschuldung der USA entfernt und die sei ja immer noch ganz gut bewertet. Das stimmt. Aber welcher Gläubiger wird schon von den USA eine sofortige Rückzahlung verlangen? Für solche Unverschämtheiten gibt es immer noch die US-Armee, die könnte den Gläubiger ja besuchen kommen, damit hätten sich die Forderungen wohl erledigt.
Die Luxemburger Armee (Lëtzebuerger Arméi) ist bis zu 1.000 Mann stark. Ihre Hauptaufgabe liegt im Wachwechsel vor dem Großherzoglichen Palais. Jeder mittlere russische Schuldeneintreiber könnte angesichts dieser Miniatur-Armee nur durch einen Lachkrampf daran gehindert werden, das Geld der Gläubiger aus Luxemburg zurück zu holen. Doch noch würde den Luxemburgern vielleicht ein europäischer Rettungsschirm aus einer momentanen Verlegenheit helfen. Doch jetzt greifen sie zum Äußersten: Sie verraten das Schießkommando der großherzoglichen Artillerie: "Spannt de Giggel - macht Buff!" Jetzt ist Luxemburg endgültig wg. Lächerlichkeit erledigt. Und mit ihm, nach Irland, Portugal, Griechenland und Italien, die komplette EU. Wer was von der Luxemburg-Pleite hätte? Konkurrenten natürlich, andere Steueroasen, andere Währungssysteme und natürlich Sie: Nicht nur wegen des Kitzels. Auch, weil sich mit der luxemburgischen Pleite die Unfehlbarkeit Ihrer Prognosen bestätigt hätte. Fröhliches Basteln!