Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.


Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Jakob van Hoddis

Nun kennt ihr den Hauptgrund für S21, liebe LeserInnen. Von einem unterirdischen Bahnhof kann nichts runterfallen. Und reinfallen kann jeder.
Wenden wir uns ernsteren Dingen zu. Gewiss haben einige von unseren hauptstädtischen LeserInnen am 21. Dezember abends mit einem Pülleken Schampus am Prenzlauer Berg auf den Weltuntergang gewartet, der dann urplötzlich ausfiel. Sonderbarerweise wurde in den Medien bisher völlig totgeschwiegen, wie es zur Rettung der Welt kam. Unsere treuen LeserInnen sind die Ersten, die den Tatsachenbericht vorliegen haben.

Am 20. Dezember auf der letzten Sitzung des Redaktionsbeirats der RATIONALGALERIE im alten Jahr sahen wir uns in der Glotze gerade Günther Jauchs Kochshow für Hartz IV-Empfänger an. Ich glaube, es ging wie jedes Mal um Spaghetti mit Tomatensoße. Da kam der Anruf auf dem Roten Telefon rein.
"Mutti ist dran, Chef", sagte unsere Sekretärin Fräulein Meier-Lehmann etwas spitz und drückte die Freisprechtaste, weil, sie ist gern gut informiert. Herr Gellermann ignorierte cool den Lauschangriff. Er kennt Mutti seit den Weltfestspielen in Ostberlin ganz genau und mag sie sehr, wegen ihres sensationellen Kartoffelsalats mit Würstchen, den es jedes Jahr beim Weihnachtsessen der Medienvertreter im Kanzleramt gibt. Er gibt dann seinen Senf dazu, denn etwas Schärfe muss sein.
"Glück auf, Uli. Es wird ein schlimmer Winter. Viele Menschen werden erfrieren, weil die AKWs abgeschaltet sind. (Mutti ist nicht umsonst Physikerin.) Hoffentlich ist nichts mit dem Endlager. Wie ich die Asse hasse."
Herr Blaschka kommentierte aus dem Hintergrund: "Besser Crack im Lümmel, als ein Leck in Krümmel."
"Wie auch immer, Uli, uns droht der Weltuntergang. Die strukturelle Integrität des Euroraums ist gefährdet. Ich befürchte einen monetären Hüllenbruch. Der Schäubele, der Brüderle, der Seehofer und der Rösler sitzen schon im Schutzraum und kloppen Schafkopf. Du bist meine letzte Hoffnung. Irgendwie musst du es richten, Uli."
"Null Problemo“, antwortete Herr Gellermann prompt, "melde mich mit Vollzug morgen gegen Mitternacht. Machs gut, Engelchen.“

Da klirrte auch schon die Eingangstür und kurz geschorene Muskelmänner, übersät mit bedenklichen Tattoos, betraten die Redaktionsräume. Sie hatten aber keine Baseballschläger dabei, sondern waren bepackt mit merkwürdigen Gerätschaften. Der Träger eines Hörnerhelms, anscheinend ihr Boss, flüsterte mit heiserer Stimme: "Verfassungsschutz. Wir bringen das Equipment." Bald stapelten sich überall die Rettungsutensilien: komplette Bergsteigerausrüstungen, weil die Weltrettung häufig im Hochgebirge erfolgt. Weiters martialische Ofenrohre, aus denen man alles abfeuern kann, von der Melone bis zur Mini-Atombombe. Dazu tonnenweise Hightech-Kampfschrott, wie ihn unsere LeserInnen aus den James-Bond-Filmen zur Genüge kennen. Herr Blaschka war sehr erfreut, denn er ist Alpinist und griff sich einen Eispickel aus Titan mit integriertem Laserschwert.
Zu guter Letzt schmiss ein Glatzkopf verächtlich eine Kiepe mit buntem Krimskrams ab: "Das ist für euern Indianer. Aus dem Fundus der Ufa." Es war die Indianerhaube von Winnetou. Dazu die Silberbüchse, die Friedenpfeife, ein Tomahawk und ein Totempfahl. Flink stülpte ich mir die Federhaube über. Fräulein Meier-Lehmann rannte ins Bad, um ein kugelsicheres Multifunktionskorsett anzuprobieren und hätte uns danach fast mit einem Antiagenten-Lippenstift in die Luft gesprengt.
"Leute, lasst den Unfug und ab ans Tagewerk", sagte Herr Gellermann streng,"hr müsst noch massig Leser-Emails schreiben. Der Weltuntergang ist Chefsache. Wir sehen uns morgen Abend zur Weihnachtsfeier."
Und unser Chef, der sehr musikalisch ist, summte vor sich hin: "Ich muss schnell noch 125.000 Mails checken und dann die Welt retten…"

Am Einundzwanzigsten fuhr ich abends mit dem Fahrrad zur Weihnachtsfeier in den Redaktionsräumen der RATIONALGALERIE im Sony-Center. Ich kam aktuell von der Bescherung einer Großbank, deren Identität ich wegen des Bankgeheimnisses nicht preisgeben darf. Dort hatte ich für die Kinder der Verdienstkreuzträger, U-Häftlinge und Eurowächter als Kulturbeitrag eine traurige Wildwest-Weihnachtsgeschichte mit Happyend vorgelesen.

Im Sekretariat der RATIONALGALERIE dampfte bereits ein Tofu-Spanferkel auf dem Konferenztisch (das Fräulein ist Veganerin). Auf dem Schreibtisch prangte als Pendant das riesige rosa Sparschwein aus fine china mit breitem Schlitz und eingebauter Innenbeleuchtung, damit man den Inhalt prüfen kann. Wer von uns gegen den Pressekodex verstößt, hat einen Euro einzuwerfen. Das Teil war eingeschaltet und strahlte die Decke an.
Herr Blaschka glättete gerade mit seinem brandneuen sechsundneunzigteiligen Schweizer Offiziersmesser den indianischen Marterpfahl und bohrte mit dem redaktionseigenen Korkenzieher Löcher hinein, in die er aus Bayern mitgebrachte Tannenreiser steckte. Danach behängte ich den Behelfsweihnachtsbaum aus dem Weltrettungsfundus mit Wurfsternen, Nebelkerzen und Schießbaumwolle. (Wichtiger Hinweis für unsere jugendlichen LeserInnen: Nicht nachmachen! Weihnachtsbäume sind feuergefährlich.)
Herr Gellermann braute derweilen aus Rotwein, Wodka und Tabasco den traditionellen Weihnachtspunsch.

Fräulein Meier-Lehmann fragte Kaugummi kauend den Chef, was uns auf der Seele brannte: "Ist eigentlich schon die Welt gerettet?"
"Jauche, verdammte! Das hätte ich fast verpfützt", stöhnte der Chef, „aber die Atomkraft kanns heute wohl nicht sein.“
Herr Blaschka gab prompt einen Vers zum besten: "Die ollen Meiler brüllen: Huch,
Wir warten auf den Hüllenbruch."
Da erfasste der Blick des Chefs den leuchtenden Spalt des Sparschweins und der Groschen fiel.
"Mund auf, Fräulein Meier-Lehmann."
Die Sekretärin öffnete verblüfft das Mäulchen, aus dem Herr Gellermann mit spitzen Fingern den Kaugummi klaubte und ihn präzis in den Schlitz der Sparbüchse verfüllte. Plötzlich verstummte das Dröhnen der Klimaanlage und der Raum lag still im weihnachtlichen Dämmerlicht. Alle Anwesenden atmeten erleichtert auf. Unsere Sekretärin rief über das Rote Telefon die Fahrbereitschaft im Kanzleramt an: "Der Weltuntergang hat sich erledigt. Mindestens für die nächsten zwanzig Jahre. Holen Sie den 007-Krempel ab. Und tschüs."
Gerade fassten wir uns gegenseitig an den Nasen, um den Punsch gefahrlos hinterzukippen, da läutete das Rote Telefon. Fräulein Meier-Lehmann drückte die Freisprechtaste, grabschte den Hörer und warf ihn dem Chef zu, der ihn gekonnt auffing. Er war nicht umsonst beinahe einmal Quarterback bei den Giants.

"Hier Engelchen. Der Rösler hat sich gerade aus dem Bunker gemeldet. Er behauptet, man kann den Weltuntergang minimal verschieben, wenn die Staatsbeteiligungen verscherbelt werden. Das kann es nicht sein. Hast du gute Neuigkeiten für mich?"
Der Chef antwortete lässig: „Gebe Entwarnung. Das Neue Jahr ist sicher. Habe den temporären Spalt gekittet. Ach so, und die ultimative Rettungsroutine heißt: Schluss mit Sparen. Kannst es den Bürgern in der Neujahrsansprache verklickern."
"Dank dir, Uli. Ich werde die RATIONALGALERIE nächstes Jahr für den Karlspreis nominieren. Oder soll ich bei den Skandinaviern ein gutes Wort für dich einlegen?"
"Gott bewahre, Engelchen. Frohes Fest und halte durch", sagte der Chef und schmiss den Hörer auf die Gabel.
Ich stieß ein Indianerfreudengeheul aus und Herr Blaschka stimmte ein schönes Weihnachtslied an mit dem renovierten Refrain: Die friedliche Drohne bombt kalt, freut euch, das Christkind kommt bald.
Und Herr Gellermann, der wie gesagt sehr musikalisch ist, brummte vor sich hin: "Schnell noch mal die Welt retten mit 125.000 Geldsäcken…"

So ist es also gewesen. Jetzt habt ihr die totale Kennung, liebe LeserInnen.

Unsere Redaktion wünscht euch
den aalglatten Rutsch ins Jahr 1
des neuen Maya-Kalenders!

Kommentare (8)

Einen Kommentar verfassen

0 Zeichen
Leserbriefe dürfen nicht länger sein als der Artikel
Anhänge (0 / 3)
Deinen Standort teilen
Gib den Text aus dem Bild ein. Nicht zu erkennen?
This comment was minimized by the moderator on the site

..hübsch geschrieben.
Gut, machen wir weiter - im Jahr 1...

wünscht Dir (und Deinem Aufsichtsrat...) und uns
Johannes

Johannes M. Becker, PD Dr.
This comment was minimized by the moderator on the site

Dieser Botho Cude ist ein Gewitter von Einfällen, Nachdenklichkeit und Witz. So kommt man lachend ins Neue Jahr. Ihnen allen ein gutes 2013.

Marina Hölters
This comment was minimized by the moderator on the site

Endlich mal ein Artikel der RATIONALGALERIE der nicht verbissen politisiert. Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht!

Friedhelm Werner
This comment was minimized by the moderator on the site

Das ist mal ein kluger und intelligenter Artikel. Davon hätte ich gern im kommenden Jahr mehr. Guten Rutsch!

Vera Berghausen
This comment was minimized by the moderator on the site

Lieber Uri Geller,
wir haben in unserem atombombensicheren Keller gehockt und nix ist passiert. Doch. Auf den harten Bänken ist uns der Arsch eingeschlafen. Geweckt hat uns dann aber Deine "Rationalgalerie". Die erweckt selbst Tote zum Leben.
Wir...

Lieber Uri Geller,
wir haben in unserem atombombensicheren Keller gehockt und nix ist passiert. Doch. Auf den harten Bänken ist uns der Arsch eingeschlafen. Geweckt hat uns dann aber Deine "Rationalgalerie". Die erweckt selbst Tote zum Leben.
Wir freuen uns auf Deine Machwerke in 2013.

Weiterlesen
Inge Trambowsky & Jürgen Schuh
This comment was minimized by the moderator on the site

Hat dieser Geller-Mann den gar keinen Geschmack? Lässt sich mit der Merkel ein! Das hätte ich nie gedacht.

Rena Werkmeister
This comment was minimized by the moderator on the site

Es ruft aus Berlin an ein Engelchen
den Gellermanns Uli, das Bengelchen:
Bitte rette die Welt!
Und er tut's ohne Geld.
Wer könnt' das dem Cude bemängeln denn?!

Wolfgang Blaschka
This comment was minimized by the moderator on the site

Ein wunderbares neues Jahr mit viel Sich-ärgern und mindestens ebensoviel Erfolgen und auch mit dem nötigen Glück! Hab Dank für Deine Mühen, die - zumindest bei mir - sich lohnen mit immer neuem Erkenntnisgewinn.

Christian Ziewer
Bisher wurden hier noch keine Kommentare veröffentlicht