Sehen Sie, sagte die wohl frisierte ältere Dame, ich muss nur aus dem Fenster schauen, dann ist sie da, die Realität. Leute, überall Leute, ja und? Lohnt es sich dafür, die Gardine zu heben? Ja, wenn der Google-Street-View-Wagen jetzt vorbei käme, dann könnte ich rausschauen und winken und mein Foto wäre bei Google für immer gespeichert. Ich, mitten in meinem Haus am Kupfergraben in Berlin, das wäre doch toll, oder? Diejenigen, die finden, dass dies ein Eingriff in ihre private Sphäre ist, können von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen.

Was meinen Sie damit, ich sei doch auch der Gesetzgeber, warum ich denn nicht vorher, per Gesetz Einspruch anmelden würde? Wo kämen wir denn dahin? Nur weil irgendwelche 35.000 Leute Einsprüche gegen unsere Vorratsdatenspeicherung eingelegt haben, sollen wir unsere gehorteten Daten einfach wegwerfen? Aber hier ging es ja gar nicht um den Eingriff in eine Sphäre, das war doch eher als Prophylaxe gegen den Terrorismus gemeint. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, das sage ich Ihnen, und so haben wir es auch gemeint. Wenn da nun jeder seine Bombenpläne per e-mail an alle anderen versendet? Und später, wenn wir dann genug Daten im Vorrat haben, dann können die ja immer noch Einspruch anmelden.

Die Dame zieht jetzt heftig an ihrem Kostümjäckchen, als fröre sie. Das ist überhaupt die Idee, sagt sie triumphierend, wir lassen alles wie es ist: Die soziale Lage, den Afghanistan-Krieg, den Bildungsnotstand, die schiefe Verteilung der Steuerlasten. Und wenn denen da draussen, sagt sie, und zeigt zum Fenster, wenn denen was nicht passt, dann können die doch Einspruch erheben. Zum ersten mal seit Beginn unseres Gespräches zieht sie die Mundwinkel nach oben. Nicht, dass sie lächelt, sie grinst. Das ist meine Regierungsmethode, sagt sie, die habe ich erfunden: Nichts machen und dann warten, ob einer Einspruch erhebt.

Während von draußen leise Straßengeräusche hereindringen, klopft es dumpf im Inneren der Wohnung: Mit der Handkante schlägt die Dame Kniffe in die Sofakissen. Insbesondere geht es aber auch um einen selbstbewussten Umgang der Nutzer mit dem Internet, murmelt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Das sollen die Leute doch selber machen, das ist meine Regierungsmethode! Und derweil sie so den Kissen zusetzt, reicht ihr ein Bediensteter ein Papier. Von den Kissen ablassend schaut sie auf die Botschaft und sinkt ganz langsam auf das Sofa. Kein Laut kommt von ihren Lippen, nur schweres Atmen erfüllt den Raum. Das Papier ist zu Boden geglitten.

Während die Dame noch um ihre Fassung ringt, hebe ich das Papier auf: Worte wie "verfassungswidrig", "nichtig" und "unverzüglich zu löschen" kann ich lesen und auch, die Vorratsdatenspeicherung sei "ein schwerer Eingriff in die Rechte der Bürger", Hochachtungsvoll Bundesverfassungsgericht. Vom Sofa ist so etwas wie ein Stöhnen zu hören. Nur um die Dame zu beruhigen, sage ich ihr, dass sei doch genau das, was sie wolle: Sie müsse nur abwarten, dann käme das Gericht und spräche ein, schon könne sie weiter abwarten. Vielleicht fände sich auch ein Gericht, dass Herrn Westerwelle wegen Volksverhetzung verurteile und ein anderes, das Herrn Guttenberg der Beihilfe zum Mord anklage, sie könne dann beruhigt das Strassen-Guck-Auto von Google abwarten und winken. Warum Angela Merkel dann ein zweites mal in Ohnmacht fiel, werde ich wohl nie heraus finden.

Alle rot markierten Sätze sind Zitate aus dem aktuellen Podcast der Kanzlerin. Der restliche Text stammt aus einem erfolgreichen Lauschangriff auf die Regierungswirklichkeit.